Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Der Messias. Bd. 1. Halle, 1751.

Bild:
<< vorherige Seite

Vierter Gesang.

Sulamith, als die Mutter sie unter dem Apfelbanm weckte,
Wo sie die Tochter gebar, die hernach hier auch Salomo weckte.
Sanft rief sie der schlummernden Tochter; mit lispelnder Stimme
Rief sie: Sulamith! Sulamith folgte der führenden Mutter,
Unter die Myrrhen, und unter die Schauer einladender Schatten,
Wo, in Wolken süßer Gerüche, die himmlische Liebe
Unsichtbar stand, in ihr Herz die ersten Empfindungen hauchte,
Und das verlangende Zittern sie lehrte, den Jüngling zu finden,
Der, erschaffen für sie, dieß heilige Zittern auch fühlte.
So gieng Cidli. Sie hieng an der Hand der jungen Maria.
Aber die Mutter Jesu erhub ihr Antlitz und sahe
Petrum stehn. Da eilte sie schnell, den Meßias zu finden.
Petrus war in den Saal herunter gegangen, und kam ihr
Mit Johannes entgegen. Sie sahn sie kommen, und staunten,
Als sie sie sahn. So viel sprach von dem Adel des Geistes
Jhre Bildung! So hatte sie der mit Würde bekleidet,
Der, eh er Mensch ward, Schöpfer gewesen, und wieder es seyn wird,
Wenn er neue, nicht sterbliche Leiber den ewigen Seelen
Aus dem Staube der Auferstehung wird heißen hervorgehn?
Jhre Begleiterinnen, die unter den Töchtern Judäa
Zwo der liebenswürdigsten waren, und werth, von der Mutter
Des Propheten geliebt, und übertroffen zu werden,
Giengen mit sanfter vertraulicher Demuth neben Maria.
Wie vor allen Bergen Judäa Tabor hervorragt,
Und ein Zeug ist der Herrlichkeit Jesu; zwar ruhet auch Sion
Lieblich vor Gott; zwar nahm auch der Oelberg den großen Meßias
Auf, wenn er rang im Gebet; zwar trägt auch die Stirne Moria

Hoch
J

Vierter Geſang.

Sulamith, als die Mutter ſie unter dem Apfelbanm weckte,
Wo ſie die Tochter gebar, die hernach hier auch Salomo weckte.
Sanft rief ſie der ſchlummernden Tochter; mit lispelnder Stimme
Rief ſie: Sulamith! Sulamith folgte der fuͤhrenden Mutter,
Unter die Myrrhen, und unter die Schauer einladender Schatten,
Wo, in Wolken ſuͤßer Geruͤche, die himmliſche Liebe
Unſichtbar ſtand, in ihr Herz die erſten Empfindungen hauchte,
Und das verlangende Zittern ſie lehrte, den Juͤngling zu finden,
Der, erſchaffen fuͤr ſie, dieß heilige Zittern auch fuͤhlte.
So gieng Cidli. Sie hieng an der Hand der jungen Maria.
Aber die Mutter Jeſu erhub ihr Antlitz und ſahe
Petrum ſtehn. Da eilte ſie ſchnell, den Meßias zu finden.
Petrus war in den Saal herunter gegangen, und kam ihr
Mit Johannes entgegen. Sie ſahn ſie kommen, und ſtaunten,
Als ſie ſie ſahn. So viel ſprach von dem Adel des Geiſtes
Jhre Bildung! So hatte ſie der mit Wuͤrde bekleidet,
Der, eh er Menſch ward, Schoͤpfer geweſen, und wieder es ſeyn wird,
Wenn er neue, nicht ſterbliche Leiber den ewigen Seelen
Aus dem Staube der Auferſtehung wird heißen hervorgehn?
Jhre Begleiterinnen, die unter den Toͤchtern Judaͤa
Zwo der liebenswuͤrdigſten waren, und werth, von der Mutter
Des Propheten geliebt, und uͤbertroffen zu werden,
Giengen mit ſanfter vertraulicher Demuth neben Maria.
Wie vor allen Bergen Judaͤa Tabor hervorragt,
Und ein Zeug iſt der Herrlichkeit Jeſu; zwar ruhet auch Sion
Lieblich vor Gott; zwar nahm auch der Oelberg den großen Meßias
Auf, wenn er rang im Gebet; zwar traͤgt auch die Stirne Moria

Hoch
J
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <lg type="poem">
            <lg n="4">
              <l>
                <pb facs="#f0141" n="129"/>
                <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Vierter Ge&#x017F;ang.</hi> </fw>
              </l><lb/>
              <l>Sulamith, als die Mutter &#x017F;ie unter dem Apfelbanm weckte,</l><lb/>
              <l>Wo &#x017F;ie die Tochter gebar, die hernach hier auch Salomo weckte.</l><lb/>
              <l>Sanft rief &#x017F;ie der &#x017F;chlummernden Tochter; mit lispelnder Stimme</l><lb/>
              <l>Rief &#x017F;ie: Sulamith! Sulamith folgte der fu&#x0364;hrenden Mutter,</l><lb/>
              <l>Unter die Myrrhen, und unter die Schauer einladender Schatten,</l><lb/>
              <l>Wo, in Wolken &#x017F;u&#x0364;ßer Geru&#x0364;che, die himmli&#x017F;che Liebe</l><lb/>
              <l>Un&#x017F;ichtbar &#x017F;tand, in ihr Herz die er&#x017F;ten Empfindungen hauchte,</l><lb/>
              <l>Und das verlangende Zittern &#x017F;ie lehrte, den Ju&#x0364;ngling zu finden,</l><lb/>
              <l>Der, er&#x017F;chaffen fu&#x0364;r &#x017F;ie, dieß heilige Zittern auch fu&#x0364;hlte.</l><lb/>
              <l>So gieng Cidli. Sie hieng an der Hand der jungen Maria.</l><lb/>
              <l>Aber die Mutter Je&#x017F;u erhub ihr Antlitz und &#x017F;ahe</l><lb/>
              <l>Petrum &#x017F;tehn. Da eilte &#x017F;ie &#x017F;chnell, den Meßias zu finden.</l><lb/>
              <l>Petrus war in den Saal herunter gegangen, und kam ihr</l><lb/>
              <l>Mit Johannes entgegen. Sie &#x017F;ahn &#x017F;ie kommen, und &#x017F;taunten,</l><lb/>
              <l>Als &#x017F;ie &#x017F;ie &#x017F;ahn. So viel &#x017F;prach von dem Adel des Gei&#x017F;tes</l><lb/>
              <l>Jhre Bildung! So hatte &#x017F;ie der mit Wu&#x0364;rde bekleidet,</l><lb/>
              <l>Der, eh er Men&#x017F;ch ward, Scho&#x0364;pfer gewe&#x017F;en, und wieder es &#x017F;eyn wird,</l><lb/>
              <l>Wenn er neue, nicht &#x017F;terbliche Leiber den ewigen Seelen</l><lb/>
              <l>Aus dem Staube der Aufer&#x017F;tehung wird heißen hervorgehn?</l><lb/>
              <l>Jhre Begleiterinnen, die unter den To&#x0364;chtern Juda&#x0364;a</l><lb/>
              <l>Zwo der liebenswu&#x0364;rdig&#x017F;ten waren, und werth, von der Mutter</l><lb/>
              <l>Des Propheten geliebt, und u&#x0364;bertroffen zu werden,</l><lb/>
              <l>Giengen mit &#x017F;anfter vertraulicher Demuth neben Maria.</l><lb/>
              <l>Wie vor allen Bergen Juda&#x0364;a Tabor hervorragt,</l><lb/>
              <l>Und ein Zeug i&#x017F;t der Herrlichkeit Je&#x017F;u; zwar ruhet auch Sion</l><lb/>
              <l>Lieblich vor Gott; zwar nahm auch der Oelberg den großen Meßias</l><lb/>
              <l>Auf, wenn er rang im Gebet; zwar tra&#x0364;gt auch die Stirne Moria<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">J</fw><fw place="bottom" type="catch">Hoch</fw><lb/></l>
            </lg>
          </lg>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[129/0141] Vierter Geſang. Sulamith, als die Mutter ſie unter dem Apfelbanm weckte, Wo ſie die Tochter gebar, die hernach hier auch Salomo weckte. Sanft rief ſie der ſchlummernden Tochter; mit lispelnder Stimme Rief ſie: Sulamith! Sulamith folgte der fuͤhrenden Mutter, Unter die Myrrhen, und unter die Schauer einladender Schatten, Wo, in Wolken ſuͤßer Geruͤche, die himmliſche Liebe Unſichtbar ſtand, in ihr Herz die erſten Empfindungen hauchte, Und das verlangende Zittern ſie lehrte, den Juͤngling zu finden, Der, erſchaffen fuͤr ſie, dieß heilige Zittern auch fuͤhlte. So gieng Cidli. Sie hieng an der Hand der jungen Maria. Aber die Mutter Jeſu erhub ihr Antlitz und ſahe Petrum ſtehn. Da eilte ſie ſchnell, den Meßias zu finden. Petrus war in den Saal herunter gegangen, und kam ihr Mit Johannes entgegen. Sie ſahn ſie kommen, und ſtaunten, Als ſie ſie ſahn. So viel ſprach von dem Adel des Geiſtes Jhre Bildung! So hatte ſie der mit Wuͤrde bekleidet, Der, eh er Menſch ward, Schoͤpfer geweſen, und wieder es ſeyn wird, Wenn er neue, nicht ſterbliche Leiber den ewigen Seelen Aus dem Staube der Auferſtehung wird heißen hervorgehn? Jhre Begleiterinnen, die unter den Toͤchtern Judaͤa Zwo der liebenswuͤrdigſten waren, und werth, von der Mutter Des Propheten geliebt, und uͤbertroffen zu werden, Giengen mit ſanfter vertraulicher Demuth neben Maria. Wie vor allen Bergen Judaͤa Tabor hervorragt, Und ein Zeug iſt der Herrlichkeit Jeſu; zwar ruhet auch Sion Lieblich vor Gott; zwar nahm auch der Oelberg den großen Meßias Auf, wenn er rang im Gebet; zwar traͤgt auch die Stirne Moria Hoch J

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_messias01_1751
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_messias01_1751/141
Zitationshilfe: [Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Der Messias. Bd. 1. Halle, 1751, S. 129. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_messias01_1751/141>, abgerufen am 21.11.2024.