[Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Der Messias. Bd. 1. Halle, 1751.
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<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <lg type="poem"> <lg n="4"> <l> <pb facs="#f0143" n="131"/> <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Vierter Geſang.</hi> </fw> </l><lb/> <l>Und ſie blickte ſeitwaͤrts ihn an, und ſah die Empfindung</l><lb/> <l>Seiner Seelen im Auge voll Wehmut, ſahe die Hoheit,</l><lb/> <l>Welche mit Zuͤgen der Himmliſchen ſchmuͤckt die leidende Tugend.</l><lb/> <l>Da zerfloß ihr das Herz, und lispelte dieſe Gedanken:</l><lb/> <l>Edler Juͤngling, um mich bringſt du dein Leben mit Wehmut,</l><lb/> <l>Deine Tage mit Traurigkeit zu! Ach, war ichs auch wuͤrdig?</l><lb/> <l>Daß du ſo himmliſch mich liebſt, wars deine Cidli auch wuͤrdig?</l><lb/> <l>Lange ſchon wuͤnſch ich, die Deine zu ſeyn, und von dir zu lernen,</l><lb/> <l>Wie ſie ſo ſchoͤn iſt, die ſelige Tugend! Dich zaͤrtlich zu lieben,</l><lb/> <l>Wie zu den Zeiten der Vaͤter die Toͤchter Jeruſalems liebten;</l><lb/> <l>Wie ein jugendlich Lamm um deine Winke zu ſpielen;</l><lb/> <l>Gleich den Roſen im Thal, die der fruͤhe Tag ſich erziehet,</l><lb/> <l>So in deiner reinen Umarmung gebildet zu werden,</l><lb/> <l>Dein zu ſeyn, und dich ewig zu lieben! Ach, meine Mutter,</l><lb/> <l>Warum geboteſt du doch das himmliſche ſtrenge Gebot mir?</l><lb/> <l>Zwar ich ſchweig, und gehorche der Weisheit der liebenden Mutter,</l><lb/> <l>Und der Stimme Gottes in ihr! Dem bin ich gewidmet!</l><lb/> <l>Jch bin auferſtanden! Jch bin zu heilig, die Mutter</l><lb/> <l>Sterblicher Soͤhne zu werden! Nur du muſt deine Betruͤbniß,</l><lb/> <l>Deine zaͤrtlichen Klagen, du edler Juͤngling, auch mindern!</l><lb/> <l>Wuͤrde doch meinem Leben der Troſt noch einmal gegeben,</l><lb/> <l>Daß ich in deinem Geſicht das ſuͤße Laͤcheln erblickte,</l><lb/> <l>Da du keine Thraͤnen noch kannteſt, als Thraͤnen der Freude,</l><lb/> <l>Da du ein Knabe noch warſt, und ich aus dem ſchmeichelnden Arme</l><lb/> <l>Deiner ſchoͤnen Schweſter, Maria, in deinen Arm hinflog.</l><lb/> <l>Alſo denkt ſie. Es bricht ihr das Herz, ſie kann ſich nicht halten,</l><lb/> <l>Stille Thraͤnen zu weinen. Es ſah ſie Lazarus weinen,<lb/> <fw place="bottom" type="sig">J 2</fw><fw place="bottom" type="catch">Ob</fw><lb/></l> </lg> </lg> </div> </div> </body> </text> </TEI> [131/0143]
Vierter Geſang.
Und ſie blickte ſeitwaͤrts ihn an, und ſah die Empfindung
Seiner Seelen im Auge voll Wehmut, ſahe die Hoheit,
Welche mit Zuͤgen der Himmliſchen ſchmuͤckt die leidende Tugend.
Da zerfloß ihr das Herz, und lispelte dieſe Gedanken:
Edler Juͤngling, um mich bringſt du dein Leben mit Wehmut,
Deine Tage mit Traurigkeit zu! Ach, war ichs auch wuͤrdig?
Daß du ſo himmliſch mich liebſt, wars deine Cidli auch wuͤrdig?
Lange ſchon wuͤnſch ich, die Deine zu ſeyn, und von dir zu lernen,
Wie ſie ſo ſchoͤn iſt, die ſelige Tugend! Dich zaͤrtlich zu lieben,
Wie zu den Zeiten der Vaͤter die Toͤchter Jeruſalems liebten;
Wie ein jugendlich Lamm um deine Winke zu ſpielen;
Gleich den Roſen im Thal, die der fruͤhe Tag ſich erziehet,
So in deiner reinen Umarmung gebildet zu werden,
Dein zu ſeyn, und dich ewig zu lieben! Ach, meine Mutter,
Warum geboteſt du doch das himmliſche ſtrenge Gebot mir?
Zwar ich ſchweig, und gehorche der Weisheit der liebenden Mutter,
Und der Stimme Gottes in ihr! Dem bin ich gewidmet!
Jch bin auferſtanden! Jch bin zu heilig, die Mutter
Sterblicher Soͤhne zu werden! Nur du muſt deine Betruͤbniß,
Deine zaͤrtlichen Klagen, du edler Juͤngling, auch mindern!
Wuͤrde doch meinem Leben der Troſt noch einmal gegeben,
Daß ich in deinem Geſicht das ſuͤße Laͤcheln erblickte,
Da du keine Thraͤnen noch kannteſt, als Thraͤnen der Freude,
Da du ein Knabe noch warſt, und ich aus dem ſchmeichelnden Arme
Deiner ſchoͤnen Schweſter, Maria, in deinen Arm hinflog.
Alſo denkt ſie. Es bricht ihr das Herz, ſie kann ſich nicht halten,
Stille Thraͤnen zu weinen. Es ſah ſie Lazarus weinen,
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