[Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Der Messias. Bd. 1. Halle, 1751.
Zu J 4
Zu J 4
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <lg type="poem"> <lg n="4"> <l> <pb facs="#f0147" n="135"/> <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Vierter Geſang.</hi> </fw> </l><lb/> <l>Sah ihn ganz, den Gedanken der Ewigkeit; ſahe den Endzweck</l><lb/> <l>Jhres Daſeyns in ihm; von einer Seligkeit trunken,</l><lb/> <l>Welche ſelten ins Herz des Menſchen vom Himmel herabſteigt.</l><lb/> <l>Aber in Traurigkeit, welche kein Maß, kein endendes Ziel kennt,</l><lb/> <l>Und in Schauer der Angſt ohne Namen, in Schlummer des Todes,</l><lb/> <l>Loͤſte meine Seele ſich auf, wenn ich jenen Gedanken,</l><lb/> <l>Jenen andern Gedanken der Nacht und der Einſamkeit, dachte!</l><lb/> <l>Ach, dann war ich von allen verlaſſen! Dann war ich ganz einſam!</l><lb/> <l>Du warſt mir nicht mehr da! Jch war allein in der Schoͤpfung!</l><lb/> <l>O, bey allem, was heilig iſt! Um der Tugend und Liebe,</l><lb/> <l>Um der Goͤttlichkeit willen, die deine Seele voll Unſchuld</l><lb/> <l>Ueber den Staub der Erden erhoͤht: Und wenn was noch theurer,</l><lb/> <l>Wenn was erhabner noch iſt: bey deinem Erwachen vom Tode,</l><lb/> <l>Und bey jeder Unſterblichkeit, die du mit Lichte bekleidet,</l><lb/> <l>Unter des Himmels Bewohnern wirſt leben! Ach, um der Kronen,</l><lb/> <l>Um der Tugend Belohnungen willen, beſchwoͤr ich dich, Cidli!</l><lb/> <l>Sage, was denkt da dein Herz? Was fuͤhlt es? Wie iſt es ihm moͤglich?</l><lb/> <l>Dieß mein Herz, das ſo liebt, mein blutendes Herz zu verkennen!</l><lb/> <l>Um die Mitternachtzeit, bey daͤmmernden traurigen Lampen,</l><lb/> <l>Jn die Stille des Todes verhuͤllt, auf meinem Grabe,</l><lb/> <l>Saß ich, und forſchte den baͤngſten Gedanken durch ihr Labyrinth nach,</l><lb/> <l>Und verſtummte. Wie hat mich der Schmerz mit ehernen Mauren</l><lb/> <l>Jn mich hinein verſchloſſen; und meinen bluͤhenden Jahren</l><lb/> <l>Jhre Kronen geraubt; und das Antlitz der laͤchelnden Freude</l><lb/> <l>Vor dem Verlaſſenſten unter den Menſchen auf ewig verborgen!</l><lb/> <l>Schau her, der du mich ſchufſt! Jſt unter den baͤngſten der Schmerzen</l><lb/> <l>Meinem Schmerz ein Schmerz zu vergleichen? Jch lag ja im Sichern,<lb/> <fw place="bottom" type="sig">J 4</fw><fw place="bottom" type="catch">Zu</fw><lb/></l> </lg> </lg> </div> </div> </body> </text> </TEI> [135/0147]
Vierter Geſang.
Sah ihn ganz, den Gedanken der Ewigkeit; ſahe den Endzweck
Jhres Daſeyns in ihm; von einer Seligkeit trunken,
Welche ſelten ins Herz des Menſchen vom Himmel herabſteigt.
Aber in Traurigkeit, welche kein Maß, kein endendes Ziel kennt,
Und in Schauer der Angſt ohne Namen, in Schlummer des Todes,
Loͤſte meine Seele ſich auf, wenn ich jenen Gedanken,
Jenen andern Gedanken der Nacht und der Einſamkeit, dachte!
Ach, dann war ich von allen verlaſſen! Dann war ich ganz einſam!
Du warſt mir nicht mehr da! Jch war allein in der Schoͤpfung!
O, bey allem, was heilig iſt! Um der Tugend und Liebe,
Um der Goͤttlichkeit willen, die deine Seele voll Unſchuld
Ueber den Staub der Erden erhoͤht: Und wenn was noch theurer,
Wenn was erhabner noch iſt: bey deinem Erwachen vom Tode,
Und bey jeder Unſterblichkeit, die du mit Lichte bekleidet,
Unter des Himmels Bewohnern wirſt leben! Ach, um der Kronen,
Um der Tugend Belohnungen willen, beſchwoͤr ich dich, Cidli!
Sage, was denkt da dein Herz? Was fuͤhlt es? Wie iſt es ihm moͤglich?
Dieß mein Herz, das ſo liebt, mein blutendes Herz zu verkennen!
Um die Mitternachtzeit, bey daͤmmernden traurigen Lampen,
Jn die Stille des Todes verhuͤllt, auf meinem Grabe,
Saß ich, und forſchte den baͤngſten Gedanken durch ihr Labyrinth nach,
Und verſtummte. Wie hat mich der Schmerz mit ehernen Mauren
Jn mich hinein verſchloſſen; und meinen bluͤhenden Jahren
Jhre Kronen geraubt; und das Antlitz der laͤchelnden Freude
Vor dem Verlaſſenſten unter den Menſchen auf ewig verborgen!
Schau her, der du mich ſchufſt! Jſt unter den baͤngſten der Schmerzen
Meinem Schmerz ein Schmerz zu vergleichen? Jch lag ja im Sichern,
Zu
J 4
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |