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[Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Der Messias. Bd. 1. Halle, 1751.

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Vierter Gesang.

Hat der Nachkommen Fuß, mit säumendem Schritte, gewandelt!
Ach, ist unter den Freuden der jauchzenden Ewigkeit eine
Meiner Seligkeit zu vergleichen? Sie werden erwachen!
All, an einem Tage der Wonne, des lauten Weinens,
Und des Triumphs, der Feyer, der Jubellieder erwachen!
Weil mein Körper in diesem Bezirke von Erde geschlummert,
Und ich des Menschensohnes Gebein, zum Leben ohn Ende,
Auferweckt habe! Dann wird des zweifelnden Staubes Besorgniß,
Jede Thräne wird schweigen. Der Tod wird werden des Lächelns
Und des Triumphs ein süßer Gedanke. Kein drohendes Grabmal,
Und kein Tod wird mehr seyn auf der neuen Erde Gefilden.
Sinn ich ihm nach, so zittert Entzückung durch meine Gebeine,
Und der Menschheit Empfindung verstummt! Sie kommen und wandeln,
Hell, mit weißen Kleidern geschmückt. Viel tragen auch Wunden
Wie der Menschensohn, schimmernde Wunden! Sie jauchzen dem Sieger
Jubellieder! Und nennen ihn, Sohn! und nennen ihn, Bruder!
Wer kann auf Erden sie zählen? Wer unter den Himmeln? Jhr Nam ist
Myriade! Die alle sind mein! Das Alt ist vergangen!
Alles hab ich verjüngt zur ersten Unschuld! ... Doch erst muß,
Golgatha sterben mich sehn, und dieses Grabmal mich decken!
Also denkt er, und eilt. Jhn fand an Jerusalems Mauren,
Judas, der in der Dämmerung stund. Er mischte sich schweigend
Unter die Heiligen; bildete schon die Mine der Unschuld
Jm betrügenden heitern Gesicht. Doch schlug ihm sein Herz noch.
Aber Jthuriel geht vor ihm her, und hört von dem Wipfel
Eines Oelbaums dem kommenden Fuß des Meßias entgegen.
Schlüpft aus den Aesten herunter, da Jesus den Oelbaum vorbeygeht,

Wan-

Vierter Geſang.

Hat der Nachkommen Fuß, mit ſaͤumendem Schritte, gewandelt!
Ach, iſt unter den Freuden der jauchzenden Ewigkeit eine
Meiner Seligkeit zu vergleichen? Sie werden erwachen!
All, an einem Tage der Wonne, des lauten Weinens,
Und des Triumphs, der Feyer, der Jubellieder erwachen!
Weil mein Koͤrper in dieſem Bezirke von Erde geſchlummert,
Und ich des Menſchenſohnes Gebein, zum Leben ohn Ende,
Auferweckt habe! Dann wird des zweifelnden Staubes Beſorgniß,
Jede Thraͤne wird ſchweigen. Der Tod wird werden des Laͤchelns
Und des Triumphs ein ſuͤßer Gedanke. Kein drohendes Grabmal,
Und kein Tod wird mehr ſeyn auf der neuen Erde Gefilden.
Sinn ich ihm nach, ſo zittert Entzuͤckung durch meine Gebeine,
Und der Menſchheit Empfindung verſtummt! Sie kommen und wandeln,
Hell, mit weißen Kleidern geſchmuͤckt. Viel tragen auch Wunden
Wie der Menſchenſohn, ſchimmernde Wunden! Sie jauchzen dem Sieger
Jubellieder! Und nennen ihn, Sohn! und nennen ihn, Bruder!
Wer kann auf Erden ſie zaͤhlen? Wer unter den Himmeln? Jhr Nam iſt
Myriade! Die alle ſind mein! Das Alt iſt vergangen!
Alles hab ich verjuͤngt zur erſten Unſchuld! … Doch erſt muß,
Golgatha ſterben mich ſehn, und dieſes Grabmal mich decken!
Alſo denkt er, und eilt. Jhn fand an Jeruſalems Mauren,
Judas, der in der Daͤmmerung ſtund. Er miſchte ſich ſchweigend
Unter die Heiligen; bildete ſchon die Mine der Unſchuld
Jm betruͤgenden heitern Geſicht. Doch ſchlug ihm ſein Herz noch.
Aber Jthuriel geht vor ihm her, und hoͤrt von dem Wipfel
Eines Oelbaums dem kommenden Fuß des Meßias entgegen.
Schluͤpft aus den Aeſten herunter, da Jeſus den Oelbaum vorbeygeht,

Wan-
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[139/0151] Vierter Geſang. Hat der Nachkommen Fuß, mit ſaͤumendem Schritte, gewandelt! Ach, iſt unter den Freuden der jauchzenden Ewigkeit eine Meiner Seligkeit zu vergleichen? Sie werden erwachen! All, an einem Tage der Wonne, des lauten Weinens, Und des Triumphs, der Feyer, der Jubellieder erwachen! Weil mein Koͤrper in dieſem Bezirke von Erde geſchlummert, Und ich des Menſchenſohnes Gebein, zum Leben ohn Ende, Auferweckt habe! Dann wird des zweifelnden Staubes Beſorgniß, Jede Thraͤne wird ſchweigen. Der Tod wird werden des Laͤchelns Und des Triumphs ein ſuͤßer Gedanke. Kein drohendes Grabmal, Und kein Tod wird mehr ſeyn auf der neuen Erde Gefilden. Sinn ich ihm nach, ſo zittert Entzuͤckung durch meine Gebeine, Und der Menſchheit Empfindung verſtummt! Sie kommen und wandeln, Hell, mit weißen Kleidern geſchmuͤckt. Viel tragen auch Wunden Wie der Menſchenſohn, ſchimmernde Wunden! Sie jauchzen dem Sieger Jubellieder! Und nennen ihn, Sohn! und nennen ihn, Bruder! Wer kann auf Erden ſie zaͤhlen? Wer unter den Himmeln? Jhr Nam iſt Myriade! Die alle ſind mein! Das Alt iſt vergangen! Alles hab ich verjuͤngt zur erſten Unſchuld! … Doch erſt muß, Golgatha ſterben mich ſehn, und dieſes Grabmal mich decken! Alſo denkt er, und eilt. Jhn fand an Jeruſalems Mauren, Judas, der in der Daͤmmerung ſtund. Er miſchte ſich ſchweigend Unter die Heiligen; bildete ſchon die Mine der Unſchuld Jm betruͤgenden heitern Geſicht. Doch ſchlug ihm ſein Herz noch. Aber Jthuriel geht vor ihm her, und hoͤrt von dem Wipfel Eines Oelbaums dem kommenden Fuß des Meßias entgegen. Schluͤpft aus den Aeſten herunter, da Jeſus den Oelbaum vorbeygeht, Wan-

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Zitationshilfe: [Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Der Messias. Bd. 1. Halle, 1751, S. 139. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_messias01_1751/151>, abgerufen am 21.11.2024.