Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Der Messias. Bd. 1. Halle, 1751.

Bild:
<< vorherige Seite

Der Meßias.

Jhr schweigt alle? Kein einziger singt von dem ewigen Sohne?
Alle Flügel hat über sich her, und über ihr Antlitz,
Bang die Natur verbreitet, den Ewigen anzubeten?
Willst du dich, Gott, aufmachen, und über eine der Erden
Weltgericht halten? Denn so ist das Angesicht eines Verderbers!
Dieß sind Blicke des ernsten Gerichts! Oder hast du beschlossen,
Satans Reich zu zerstören? Den Lästrer Gottes zu schlagen?
Willst du ausziehn, im Dunkeln daher, den ewigen Sünder
Zu vernichten? Und um ihn herum die Tiefen der Hölle?
Soll sein Name nicht mehr im Buche der Lebenden stehen,
Die du erschufst? Und er unter den Ewigen ganz vertilgt seyn?
Oder willst du ihn nur, an seines Thrones Gebirgen,
Jhn und sein Haupt zerschmettern? Damit er sinnlos im Staube
Vor dir liege, gedrückt von der Nacht, und deinem Donner?
Daß das Heulen seiner Verzweiflung die Höll und der Himmel,
Und die Welten vernehmen, und ein Gestirne dem andern
Jm Vorübergehn sage: da liegt er verderbt, der Empörer!
Wenn du das willst, so wafne mich, Gott, und laß mich mit ausziehn,
Gegen des Schrecklichen Angesicht! Gieb mir aus diesen Gewittern
Tausend Donner, und Nacht um mich her, und göttliche Stärke,
Daß ich, deinem Antlitz vorüber, im Thore des Todes,
Deiner Feinde hochdrohende Häupter zu tausenden schlage.
Ach wie schrecklich bist du! Wie sendet dein tödtendes Auge
Lauter Zorn und Gericht! Zorn, ohn Erbarmen, Jehovah!
Lange schon war ich, ich schau in Ewigkeiten zurücke!
Als du wurdest, o Welt, da war schon manches Jahrhundert
Ueber mein Haupt vorübergeflossen, und meine Tage

Sind

Der Meßias.

Jhr ſchweigt alle? Kein einziger ſingt von dem ewigen Sohne?
Alle Fluͤgel hat uͤber ſich her, und uͤber ihr Antlitz,
Bang die Natur verbreitet, den Ewigen anzubeten?
Willſt du dich, Gott, aufmachen, und uͤber eine der Erden
Weltgericht halten? Denn ſo iſt das Angeſicht eines Verderbers!
Dieß ſind Blicke des ernſten Gerichts! Oder haſt du beſchloſſen,
Satans Reich zu zerſtoͤren? Den Laͤſtrer Gottes zu ſchlagen?
Willſt du ausziehn, im Dunkeln daher, den ewigen Suͤnder
Zu vernichten? Und um ihn herum die Tiefen der Hoͤlle?
Soll ſein Name nicht mehr im Buche der Lebenden ſtehen,
Die du erſchufſt? Und er unter den Ewigen ganz vertilgt ſeyn?
Oder willſt du ihn nur, an ſeines Thrones Gebirgen,
Jhn und ſein Haupt zerſchmettern? Damit er ſinnlos im Staube
Vor dir liege, gedruͤckt von der Nacht, und deinem Donner?
Daß das Heulen ſeiner Verzweiflung die Hoͤll und der Himmel,
Und die Welten vernehmen, und ein Geſtirne dem andern
Jm Voruͤbergehn ſage: da liegt er verderbt, der Empoͤrer!
Wenn du das willſt, ſo wafne mich, Gott, und laß mich mit ausziehn,
Gegen des Schrecklichen Angeſicht! Gieb mir aus dieſen Gewittern
Tauſend Donner, und Nacht um mich her, und goͤttliche Staͤrke,
Daß ich, deinem Antlitz voruͤber, im Thore des Todes,
Deiner Feinde hochdrohende Haͤupter zu tauſenden ſchlage.
Ach wie ſchrecklich biſt du! Wie ſendet dein toͤdtendes Auge
Lauter Zorn und Gericht! Zorn, ohn Erbarmen, Jehovah!
Lange ſchon war ich, ich ſchau in Ewigkeiten zuruͤcke!
Als du wurdeſt, o Welt, da war ſchon manches Jahrhundert
Ueber mein Haupt voruͤbergefloſſen, und meine Tage

Sind
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <lg type="poem">
            <lg n="1">
              <l>
                <pb facs="#f0168" n="156"/>
                <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Der Meßias.</hi> </fw>
              </l><lb/>
              <l>Jhr &#x017F;chweigt alle? Kein einziger &#x017F;ingt von dem ewigen Sohne?</l><lb/>
              <l>Alle Flu&#x0364;gel hat u&#x0364;ber &#x017F;ich her, und u&#x0364;ber ihr Antlitz,</l><lb/>
              <l>Bang die Natur verbreitet, den Ewigen anzubeten?</l><lb/>
              <l>Will&#x017F;t du dich, Gott, aufmachen, und u&#x0364;ber eine der Erden</l><lb/>
              <l>Weltgericht halten? Denn &#x017F;o i&#x017F;t das Ange&#x017F;icht eines Verderbers!</l><lb/>
              <l>Dieß &#x017F;ind Blicke des ern&#x017F;ten Gerichts! Oder ha&#x017F;t du be&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en,</l><lb/>
              <l>Satans Reich zu zer&#x017F;to&#x0364;ren? Den La&#x0364;&#x017F;trer Gottes zu &#x017F;chlagen?</l><lb/>
              <l>Will&#x017F;t du ausziehn, im Dunkeln daher, den ewigen Su&#x0364;nder</l><lb/>
              <l>Zu vernichten? Und um ihn herum die Tiefen der Ho&#x0364;lle?</l><lb/>
              <l>Soll &#x017F;ein Name nicht mehr im Buche der Lebenden &#x017F;tehen,</l><lb/>
              <l>Die du er&#x017F;chuf&#x017F;t? Und er unter den Ewigen ganz vertilgt &#x017F;eyn?</l><lb/>
              <l>Oder will&#x017F;t du ihn nur, an &#x017F;eines Thrones Gebirgen,</l><lb/>
              <l>Jhn und &#x017F;ein Haupt zer&#x017F;chmettern? Damit er &#x017F;innlos im Staube</l><lb/>
              <l>Vor dir liege, gedru&#x0364;ckt von der Nacht, und deinem Donner?</l><lb/>
              <l>Daß das Heulen &#x017F;einer Verzweiflung die Ho&#x0364;ll und der Himmel,</l><lb/>
              <l>Und die Welten vernehmen, und ein Ge&#x017F;tirne dem andern</l><lb/>
              <l>Jm Voru&#x0364;bergehn &#x017F;age: da liegt er verderbt, der Empo&#x0364;rer!</l><lb/>
              <l>Wenn du das will&#x017F;t, &#x017F;o wafne mich, Gott, und laß mich mit ausziehn,</l><lb/>
              <l>Gegen des Schrecklichen Ange&#x017F;icht! Gieb mir aus die&#x017F;en Gewittern</l><lb/>
              <l>Tau&#x017F;end Donner, und Nacht um mich her, und go&#x0364;ttliche Sta&#x0364;rke,</l><lb/>
              <l>Daß ich, deinem Antlitz voru&#x0364;ber, im Thore des Todes,</l><lb/>
              <l>Deiner Feinde hochdrohende Ha&#x0364;upter zu tau&#x017F;enden &#x017F;chlage.</l><lb/>
              <l>Ach wie &#x017F;chrecklich bi&#x017F;t du! Wie &#x017F;endet dein to&#x0364;dtendes Auge</l><lb/>
              <l>Lauter Zorn und Gericht! Zorn, ohn Erbarmen, Jehovah!</l><lb/>
              <l>Lange &#x017F;chon war ich, ich &#x017F;chau in Ewigkeiten zuru&#x0364;cke!</l><lb/>
              <l>Als du wurde&#x017F;t, o Welt, da war &#x017F;chon manches Jahrhundert</l><lb/>
              <l>Ueber mein Haupt voru&#x0364;bergeflo&#x017F;&#x017F;en, und meine Tage<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Sind</fw><lb/></l>
            </lg>
          </lg>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[156/0168] Der Meßias. Jhr ſchweigt alle? Kein einziger ſingt von dem ewigen Sohne? Alle Fluͤgel hat uͤber ſich her, und uͤber ihr Antlitz, Bang die Natur verbreitet, den Ewigen anzubeten? Willſt du dich, Gott, aufmachen, und uͤber eine der Erden Weltgericht halten? Denn ſo iſt das Angeſicht eines Verderbers! Dieß ſind Blicke des ernſten Gerichts! Oder haſt du beſchloſſen, Satans Reich zu zerſtoͤren? Den Laͤſtrer Gottes zu ſchlagen? Willſt du ausziehn, im Dunkeln daher, den ewigen Suͤnder Zu vernichten? Und um ihn herum die Tiefen der Hoͤlle? Soll ſein Name nicht mehr im Buche der Lebenden ſtehen, Die du erſchufſt? Und er unter den Ewigen ganz vertilgt ſeyn? Oder willſt du ihn nur, an ſeines Thrones Gebirgen, Jhn und ſein Haupt zerſchmettern? Damit er ſinnlos im Staube Vor dir liege, gedruͤckt von der Nacht, und deinem Donner? Daß das Heulen ſeiner Verzweiflung die Hoͤll und der Himmel, Und die Welten vernehmen, und ein Geſtirne dem andern Jm Voruͤbergehn ſage: da liegt er verderbt, der Empoͤrer! Wenn du das willſt, ſo wafne mich, Gott, und laß mich mit ausziehn, Gegen des Schrecklichen Angeſicht! Gieb mir aus dieſen Gewittern Tauſend Donner, und Nacht um mich her, und goͤttliche Staͤrke, Daß ich, deinem Antlitz voruͤber, im Thore des Todes, Deiner Feinde hochdrohende Haͤupter zu tauſenden ſchlage. Ach wie ſchrecklich biſt du! Wie ſendet dein toͤdtendes Auge Lauter Zorn und Gericht! Zorn, ohn Erbarmen, Jehovah! Lange ſchon war ich, ich ſchau in Ewigkeiten zuruͤcke! Als du wurdeſt, o Welt, da war ſchon manches Jahrhundert Ueber mein Haupt voruͤbergefloſſen, und meine Tage Sind

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_messias01_1751
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_messias01_1751/168
Zitationshilfe: [Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Der Messias. Bd. 1. Halle, 1751, S. 156. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_messias01_1751/168>, abgerufen am 21.11.2024.