Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Der Messias. Bd. 1. Halle, 1751.

Bild:
<< vorherige Seite

Der Meßias.

Jn ihr Elend vertieft, stirbt eine theure Geliebte
An der Brust des zärtlichen Jünglings. Die himmlische Liebe
Jst bey nah nur allein, in paradiesischer Schönheit,
Einer einsamen Zahl von edleren Sterblichen übrig!
Aber nicht lange! Sie sterben: Und Gott erbarmt sich nicht ihrer!
Nicht des abschiednehmenden Lächelns der frommen Geliebten,
Nicht der brechenden Augen, die gern noch weinten, der Angst nicht,
Die sie betet, und Gott, nur um eine Stunde noch, anfleht;
Nicht der Verzweiflung des bebenden Jünglings, der stumm sie umarmet
Deiner auch nicht, bekümmerte Tugend, zu welcher die Liebe
Und ihr zartes Gefühl, die sterblichen Beyden erhöhte.

Also sagt er. Jhn unterbrach ein wehmütiges Weinen
Seiner Kinder um ihn. Die Väter drückten die Söhne,
Und die Mütter die Töchter, bethränt, an die schlagenden Herzen.
Knaben faßten das Knie sich niederbiegender Väter,
Und entküßten die männliche Thräne dem Auge der Väter.
Hand in Hand saß Schwester und Bruder und sahen sich bang an.
Und an die Brust der theuren Geliebten, hinsinkend und seufzend,
Legten unsterbliche Jünglinge sich, und fühlten das Leben
Von den Herzen der himmlischen Mädchen gewaltiger schlagen.
Aber der Vater dieses Geschlechts ermannte sich wieder,
Und die Mutter der Menschen stand sanftgelehnt an ihm, er sagte:
Wenns nur diese nicht sind, zu denen im Zorne Gott hingeht,
Gegen deren unheiliges Antlitz der Ewige wandelt.
Ach, sie haben vielleicht zu sehr den Richter entrüstet,
Und

Der Meßias.

Jn ihr Elend vertieft, ſtirbt eine theure Geliebte
An der Bruſt des zaͤrtlichen Juͤnglings. Die himmliſche Liebe
Jſt bey nah nur allein, in paradieſiſcher Schoͤnheit,
Einer einſamen Zahl von edleren Sterblichen uͤbrig!
Aber nicht lange! Sie ſterben: Und Gott erbarmt ſich nicht ihrer!
Nicht des abſchiednehmenden Laͤchelns der frommen Geliebten,
Nicht der brechenden Augen, die gern noch weinten, der Angſt nicht,
Die ſie betet, und Gott, nur um eine Stunde noch, anfleht;
Nicht der Verzweiflung des bebenden Juͤnglings, der ſtumm ſie umarmet
Deiner auch nicht, bekuͤmmerte Tugend, zu welcher die Liebe
Und ihr zartes Gefuͤhl, die ſterblichen Beyden erhoͤhte.

Alſo ſagt er. Jhn unterbrach ein wehmuͤtiges Weinen
Seiner Kinder um ihn. Die Vaͤter druͤckten die Soͤhne,
Und die Muͤtter die Toͤchter, bethraͤnt, an die ſchlagenden Herzen.
Knaben faßten das Knie ſich niederbiegender Vaͤter,
Und entkuͤßten die maͤnnliche Thraͤne dem Auge der Vaͤter.
Hand in Hand ſaß Schweſter und Bruder und ſahen ſich bang an.
Und an die Bruſt der theuren Geliebten, hinſinkend und ſeufzend,
Legten unſterbliche Juͤnglinge ſich, und fuͤhlten das Leben
Von den Herzen der himmliſchen Maͤdchen gewaltiger ſchlagen.
Aber der Vater dieſes Geſchlechts ermannte ſich wieder,
Und die Mutter der Menſchen ſtand ſanftgelehnt an ihm, er ſagte:
Wenns nur dieſe nicht ſind, zu denen im Zorne Gott hingeht,
Gegen deren unheiliges Antlitz der Ewige wandelt.
Ach, ſie haben vielleicht zu ſehr den Richter entruͤſtet,
Und
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <lg type="poem">
            <lg n="4">
              <l>
                <pb facs="#f0176" n="164"/>
                <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Der Meßias.</hi> </fw>
              </l><lb/>
              <l>Jn ihr Elend vertieft, &#x017F;tirbt eine theure Geliebte</l><lb/>
              <l>An der Bru&#x017F;t des za&#x0364;rtlichen Ju&#x0364;nglings. Die himmli&#x017F;che Liebe</l><lb/>
              <l>J&#x017F;t bey nah nur allein, in paradie&#x017F;i&#x017F;cher Scho&#x0364;nheit,</l><lb/>
              <l>Einer ein&#x017F;amen Zahl von edleren Sterblichen u&#x0364;brig!</l><lb/>
              <l>Aber nicht lange! Sie &#x017F;terben: Und Gott erbarmt &#x017F;ich nicht ihrer!</l><lb/>
              <l>Nicht des ab&#x017F;chiednehmenden La&#x0364;chelns der frommen Geliebten,</l><lb/>
              <l>Nicht der brechenden Augen, die gern noch weinten, der Ang&#x017F;t nicht,</l><lb/>
              <l>Die &#x017F;ie betet, und Gott, nur um eine Stunde noch, anfleht;</l><lb/>
              <l>Nicht der Verzweiflung des bebenden Ju&#x0364;nglings, der &#x017F;tumm &#x017F;ie umarmet</l><lb/>
              <l>Deiner auch nicht, beku&#x0364;mmerte Tugend, zu welcher die Liebe</l><lb/>
              <l>Und ihr zartes Gefu&#x0364;hl, die &#x017F;terblichen Beyden erho&#x0364;hte.</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="5">
              <l>Al&#x017F;o &#x017F;agt er. Jhn unterbrach ein wehmu&#x0364;tiges Weinen</l><lb/>
              <l>Seiner Kinder um ihn. Die Va&#x0364;ter dru&#x0364;ckten die So&#x0364;hne,</l><lb/>
              <l>Und die Mu&#x0364;tter die To&#x0364;chter, bethra&#x0364;nt, an die &#x017F;chlagenden Herzen.</l><lb/>
              <l>Knaben faßten das Knie &#x017F;ich niederbiegender Va&#x0364;ter,</l><lb/>
              <l>Und entku&#x0364;ßten die ma&#x0364;nnliche Thra&#x0364;ne dem Auge der Va&#x0364;ter.</l><lb/>
              <l>Hand in Hand &#x017F;aß Schwe&#x017F;ter und Bruder und &#x017F;ahen &#x017F;ich bang an.</l><lb/>
              <l>Und an die Bru&#x017F;t der theuren Geliebten, hin&#x017F;inkend und &#x017F;eufzend,</l><lb/>
              <l>Legten un&#x017F;terbliche Ju&#x0364;nglinge &#x017F;ich, und fu&#x0364;hlten das Leben</l><lb/>
              <l>Von den Herzen der himmli&#x017F;chen Ma&#x0364;dchen gewaltiger &#x017F;chlagen.</l><lb/>
              <l>Aber der Vater die&#x017F;es Ge&#x017F;chlechts ermannte &#x017F;ich wieder,</l><lb/>
              <l>Und die Mutter der Men&#x017F;chen &#x017F;tand &#x017F;anftgelehnt an ihm, er &#x017F;agte:</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="6">
              <l>Wenns nur die&#x017F;e nicht &#x017F;ind, zu denen im Zorne Gott hingeht,</l><lb/>
              <l>Gegen deren unheiliges Antlitz der Ewige wandelt.</l><lb/>
              <l>Ach, &#x017F;ie haben vielleicht zu &#x017F;ehr den Richter entru&#x0364;&#x017F;tet,<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Und</fw><lb/></l>
            </lg>
          </lg>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[164/0176] Der Meßias. Jn ihr Elend vertieft, ſtirbt eine theure Geliebte An der Bruſt des zaͤrtlichen Juͤnglings. Die himmliſche Liebe Jſt bey nah nur allein, in paradieſiſcher Schoͤnheit, Einer einſamen Zahl von edleren Sterblichen uͤbrig! Aber nicht lange! Sie ſterben: Und Gott erbarmt ſich nicht ihrer! Nicht des abſchiednehmenden Laͤchelns der frommen Geliebten, Nicht der brechenden Augen, die gern noch weinten, der Angſt nicht, Die ſie betet, und Gott, nur um eine Stunde noch, anfleht; Nicht der Verzweiflung des bebenden Juͤnglings, der ſtumm ſie umarmet Deiner auch nicht, bekuͤmmerte Tugend, zu welcher die Liebe Und ihr zartes Gefuͤhl, die ſterblichen Beyden erhoͤhte. Alſo ſagt er. Jhn unterbrach ein wehmuͤtiges Weinen Seiner Kinder um ihn. Die Vaͤter druͤckten die Soͤhne, Und die Muͤtter die Toͤchter, bethraͤnt, an die ſchlagenden Herzen. Knaben faßten das Knie ſich niederbiegender Vaͤter, Und entkuͤßten die maͤnnliche Thraͤne dem Auge der Vaͤter. Hand in Hand ſaß Schweſter und Bruder und ſahen ſich bang an. Und an die Bruſt der theuren Geliebten, hinſinkend und ſeufzend, Legten unſterbliche Juͤnglinge ſich, und fuͤhlten das Leben Von den Herzen der himmliſchen Maͤdchen gewaltiger ſchlagen. Aber der Vater dieſes Geſchlechts ermannte ſich wieder, Und die Mutter der Menſchen ſtand ſanftgelehnt an ihm, er ſagte: Wenns nur dieſe nicht ſind, zu denen im Zorne Gott hingeht, Gegen deren unheiliges Antlitz der Ewige wandelt. Ach, ſie haben vielleicht zu ſehr den Richter entruͤſtet, Und

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_messias01_1751
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_messias01_1751/176
Zitationshilfe: [Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Der Messias. Bd. 1. Halle, 1751, S. 164. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_messias01_1751/176>, abgerufen am 21.11.2024.