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[Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Der Messias. Bd. 1. Halle, 1751.

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Der Meßias.

Seines Freundes nicht mehr. Er kam im Triumphe zu Satan.
Jammernd und in sich verhüllt, denkt er an diese Geschichte
Seiner heiligen Jugend, und an den lieblichen Morgen
Seiner Geburtszeit zurück; der Ewige schuf sie auf einmal.
Damals besprachen sie sich mit angebohrner Entzückung
Unter einander: ach, Seraph, was sind wir? Woher, mein Geliebter?
Sahst du zuerst mich? Wie lange bist du? Ach, sind wir auch wirklich?
Komm, umarme mich, göttlicher Freund, erzähle, was denkst du?
Jndem kam die Herrlichkeit Gottes aus lichtheller Ferne
Segnend einher. Sie sahen um sich nicht zu zählende Schaaren
Neuer Unsterblichen wandeln. Ein wallend silbern Gewölke
Hub sie zum Ewigen auf: sie sahn ihn, und nannten ihn, Schöpfer.
Diese Gedanken zermarterten Abbadona, sein Auge
Floß von jammernden Thränen. So floß von Bethlehems Bergen
Rinnendes Blut, da die Säuglinge starben. Er hatte den Satan
Schauernd gehört, doch ermuntert er sich, und erhub sich, zu reden.
Dreymal seufzt er noch, eh er was sprach. Wie in blutigen Schlachten
Brüder, die sich erwürgt, und, da sie sterben, sich kennen,
Neben einander aus röchelnder Brust ohnmächtig erseufzen.
Drauf fieng er an und sprach: ob mir gleich diese Versammlung
Ewig entgegen seyn wird, ich wills nichts achten, und reden!
Reden will ich, damit des Ewigen schwere Gerichte
Nicht so ungestüm über mich kommen, wie über dich, Satan!
Ja, ich hasse dich, Satan, dich haß ich, Verruchter! Dieß Wesen
Diesen unsterblichen Geist, den du dem Schöpfer entrissest,
Fordr er, dein Richter, auf ewig von dir! Ein unendliches Wehe
Schreye die ganze Versammlung der Geisterwelt, die du verführt hast!

Ueber

Der Meßias.

Seines Freundes nicht mehr. Er kam im Triumphe zu Satan.
Jammernd und in ſich verhuͤllt, denkt er an dieſe Geſchichte
Seiner heiligen Jugend, und an den lieblichen Morgen
Seiner Geburtszeit zuruͤck; der Ewige ſchuf ſie auf einmal.
Damals beſprachen ſie ſich mit angebohrner Entzuͤckung
Unter einander: ach, Seraph, was ſind wir? Woher, mein Geliebter?
Sahſt du zuerſt mich? Wie lange biſt du? Ach, ſind wir auch wirklich?
Komm, umarme mich, goͤttlicher Freund, erzaͤhle, was denkſt du?
Jndem kam die Herrlichkeit Gottes aus lichtheller Ferne
Segnend einher. Sie ſahen um ſich nicht zu zaͤhlende Schaaren
Neuer Unſterblichen wandeln. Ein wallend ſilbern Gewoͤlke
Hub ſie zum Ewigen auf: ſie ſahn ihn, und nannten ihn, Schoͤpfer.
Dieſe Gedanken zermarterten Abbadona, ſein Auge
Floß von jammernden Thraͤnen. So floß von Bethlehems Bergen
Rinnendes Blut, da die Saͤuglinge ſtarben. Er hatte den Satan
Schauernd gehoͤrt, doch ermuntert er ſich, und erhub ſich, zu reden.
Dreymal ſeufzt er noch, eh er was ſprach. Wie in blutigen Schlachten
Bruͤder, die ſich erwuͤrgt, und, da ſie ſterben, ſich kennen,
Neben einander aus roͤchelnder Bruſt ohnmaͤchtig erſeufzen.
Drauf fieng er an und ſprach: ob mir gleich dieſe Verſammlung
Ewig entgegen ſeyn wird, ich wills nichts achten, und reden!
Reden will ich, damit des Ewigen ſchwere Gerichte
Nicht ſo ungeſtuͤm uͤber mich kommen, wie uͤber dich, Satan!
Ja, ich haſſe dich, Satan, dich haß ich, Verruchter! Dieß Weſen
Dieſen unſterblichen Geiſt, den du dem Schoͤpfer entriſſeſt,
Fordr er, dein Richter, auf ewig von dir! Ein unendliches Wehe
Schreye die ganze Verſammlung der Geiſterwelt, die du verfuͤhrt haſt!

Ueber
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[58/0070] Der Meßias. Seines Freundes nicht mehr. Er kam im Triumphe zu Satan. Jammernd und in ſich verhuͤllt, denkt er an dieſe Geſchichte Seiner heiligen Jugend, und an den lieblichen Morgen Seiner Geburtszeit zuruͤck; der Ewige ſchuf ſie auf einmal. Damals beſprachen ſie ſich mit angebohrner Entzuͤckung Unter einander: ach, Seraph, was ſind wir? Woher, mein Geliebter? Sahſt du zuerſt mich? Wie lange biſt du? Ach, ſind wir auch wirklich? Komm, umarme mich, goͤttlicher Freund, erzaͤhle, was denkſt du? Jndem kam die Herrlichkeit Gottes aus lichtheller Ferne Segnend einher. Sie ſahen um ſich nicht zu zaͤhlende Schaaren Neuer Unſterblichen wandeln. Ein wallend ſilbern Gewoͤlke Hub ſie zum Ewigen auf: ſie ſahn ihn, und nannten ihn, Schoͤpfer. Dieſe Gedanken zermarterten Abbadona, ſein Auge Floß von jammernden Thraͤnen. So floß von Bethlehems Bergen Rinnendes Blut, da die Saͤuglinge ſtarben. Er hatte den Satan Schauernd gehoͤrt, doch ermuntert er ſich, und erhub ſich, zu reden. Dreymal ſeufzt er noch, eh er was ſprach. Wie in blutigen Schlachten Bruͤder, die ſich erwuͤrgt, und, da ſie ſterben, ſich kennen, Neben einander aus roͤchelnder Bruſt ohnmaͤchtig erſeufzen. Drauf fieng er an und ſprach: ob mir gleich dieſe Verſammlung Ewig entgegen ſeyn wird, ich wills nichts achten, und reden! Reden will ich, damit des Ewigen ſchwere Gerichte Nicht ſo ungeſtuͤm uͤber mich kommen, wie uͤber dich, Satan! Ja, ich haſſe dich, Satan, dich haß ich, Verruchter! Dieß Weſen Dieſen unſterblichen Geiſt, den du dem Schoͤpfer entriſſeſt, Fordr er, dein Richter, auf ewig von dir! Ein unendliches Wehe Schreye die ganze Verſammlung der Geiſterwelt, die du verfuͤhrt haſt! Ueber

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Zitationshilfe: [Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Der Messias. Bd. 1. Halle, 1751, S. 58. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_messias01_1751/70>, abgerufen am 16.05.2024.