Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Der Messias. Bd. 2. Halle, 1756.

Bild:
<< vorherige Seite

Der Messias.

Wie gerührt er zugleich, obschon des besseren Lebens
Ruhe so nah, und wie voll Mitleid die Leidenden anblickt.
Aber daß meine Kinder den Allerheiligsten tödten,
Keine Reue sie schmilzt, sie nicht, wie jener, zurückfliehn:
Ach was würd ich darüber, wofern ich noch sterblich am Grabe
Stünde, was würde darüber ihr grauer Vater empfinden!
Was mir Gabriel gern verschweigen wollte, nicht konnte,
Laß Einmal den trüben Gedanken, doch schnell und geflügelt,
Vor dir über, o Sohn, dann zurück zur Vergessenheit gehen!
Er, so mit diesen Wunden zum Weltgerichte wird kommen,
Hat den Gottverlaßnen ihr Urtheil prophetisch gesprochen.
Auch sie haben es, über sich selbst, gesprochen! Der Heide
Wollt' ihn nicht verdammen. Sie aber thatens, und riefen:
Ueber uns komme sein Blut, und über unsere Kinder!
Ach wenn nur die schrecklichen Worte kein Todesengel
Nicht mit eisernem Griffel in ewige Felsen gegraben,
Und vor Gott sie gestellt hat! Jch seh, ich sehe die Völker
Aller Enden, so weit der Aufgang und Untergang strahlen!
Alle Menschen zum Kreuze des Gottversöners versammelt:
Aber meine Kinder nicht mit! ... Jzt erwiederte Moses:

Vater Jsaks, und Jakobs, und jener Treuen, die dennoch,
Ob das Volk zum Bilde gleich lief, Jehova verehrten,
Davids Vater, und der, die den Gottversöner gebohren,
Und des Vater, der nun die grosse Versönung vollendet,
Heb, o Abram, dein Aug auf, und sieh! Zwar was ich dir sage,
Weist du alles; doch ist es gut, die gesehene Wahrheit
Wieder

Der Meſſias.

Wie geruͤhrt er zugleich, obſchon des beſſeren Lebens
Ruhe ſo nah, und wie voll Mitleid die Leidenden anblickt.
Aber daß meine Kinder den Allerheiligſten toͤdten,
Keine Reue ſie ſchmilzt, ſie nicht, wie jener, zuruͤckfliehn:
Ach was wuͤrd ich daruͤber, wofern ich noch ſterblich am Grabe
Stuͤnde, was wuͤrde daruͤber ihr grauer Vater empfinden!
Was mir Gabriel gern verſchweigen wollte, nicht konnte,
Laß Einmal den truͤben Gedanken, doch ſchnell und gefluͤgelt,
Vor dir uͤber, o Sohn, dann zuruͤck zur Vergeſſenheit gehen!
Er, ſo mit dieſen Wunden zum Weltgerichte wird kommen,
Hat den Gottverlaßnen ihr Urtheil prophetiſch geſprochen.
Auch ſie haben es, uͤber ſich ſelbſt, geſprochen! Der Heide
Wollt’ ihn nicht verdammen. Sie aber thatens, und riefen:
Ueber uns komme ſein Blut, und uͤber unſere Kinder!
Ach wenn nur die ſchrecklichen Worte kein Todesengel
Nicht mit eiſernem Griffel in ewige Felſen gegraben,
Und vor Gott ſie geſtellt hat! Jch ſeh, ich ſehe die Voͤlker
Aller Enden, ſo weit der Aufgang und Untergang ſtrahlen!
Alle Menſchen zum Kreuze des Gottverſoͤners verſammelt:
Aber meine Kinder nicht mit! … Jzt erwiederte Moſes:

Vater Jſaks, und Jakobs, und jener Treuen, die dennoch,
Ob das Volk zum Bilde gleich lief, Jehova verehrten,
Davids Vater, und der, die den Gottverſoͤner gebohren,
Und des Vater, der nun die groſſe Verſoͤnung vollendet,
Heb, o Abram, dein Aug auf, und ſieh! Zwar was ich dir ſage,
Weiſt du alles; doch iſt es gut, die geſehene Wahrheit
Wieder
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <lg type="poem">
            <lg n="15">
              <l>
                <pb facs="#f0128" n="100"/>
                <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Der Me&#x017F;&#x017F;ias.</hi> </fw>
              </l><lb/>
              <l>Wie geru&#x0364;hrt er zugleich, ob&#x017F;chon des be&#x017F;&#x017F;eren Lebens</l><lb/>
              <l>Ruhe &#x017F;o nah, und wie voll Mitleid die Leidenden anblickt.</l><lb/>
              <l>Aber daß meine Kinder den Allerheilig&#x017F;ten to&#x0364;dten,</l><lb/>
              <l>Keine Reue &#x017F;ie &#x017F;chmilzt, &#x017F;ie nicht, wie jener, zuru&#x0364;ckfliehn:</l><lb/>
              <l>Ach was wu&#x0364;rd ich daru&#x0364;ber, wofern ich noch &#x017F;terblich am Grabe</l><lb/>
              <l>Stu&#x0364;nde, was wu&#x0364;rde daru&#x0364;ber ihr grauer Vater empfinden!</l><lb/>
              <l>Was mir Gabriel gern ver&#x017F;chweigen wollte, nicht konnte,</l><lb/>
              <l>Laß Einmal den tru&#x0364;ben Gedanken, doch &#x017F;chnell und geflu&#x0364;gelt,</l><lb/>
              <l>Vor dir u&#x0364;ber, o Sohn, dann zuru&#x0364;ck zur Verge&#x017F;&#x017F;enheit gehen!</l><lb/>
              <l>Er, &#x017F;o mit die&#x017F;en Wunden zum Weltgerichte wird kommen,</l><lb/>
              <l>Hat den Gottverlaßnen ihr Urtheil propheti&#x017F;ch ge&#x017F;prochen.</l><lb/>
              <l>Auch &#x017F;ie haben es, u&#x0364;ber &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t, ge&#x017F;prochen! Der Heide</l><lb/>
              <l>Wollt&#x2019; ihn nicht verdammen. Sie aber thatens, und riefen:</l><lb/>
              <l>Ueber uns komme &#x017F;ein Blut, und u&#x0364;ber un&#x017F;ere Kinder!</l><lb/>
              <l>Ach wenn nur die &#x017F;chrecklichen Worte kein Todesengel</l><lb/>
              <l>Nicht mit ei&#x017F;ernem Griffel in ewige Fel&#x017F;en gegraben,</l><lb/>
              <l>Und vor Gott &#x017F;ie ge&#x017F;tellt hat! Jch &#x017F;eh, ich &#x017F;ehe die Vo&#x0364;lker</l><lb/>
              <l>Aller Enden, &#x017F;o weit der Aufgang und Untergang &#x017F;trahlen!</l><lb/>
              <l>Alle Men&#x017F;chen zum Kreuze des Gottver&#x017F;o&#x0364;ners ver&#x017F;ammelt:</l><lb/>
              <l>Aber meine Kinder nicht mit! &#x2026; Jzt erwiederte Mo&#x017F;es:</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="16">
              <l>Vater J&#x017F;aks, und Jakobs, und jener Treuen, die dennoch,</l><lb/>
              <l>Ob das Volk zum Bilde gleich lief, Jehova verehrten,</l><lb/>
              <l>Davids Vater, und der, die den Gottver&#x017F;o&#x0364;ner gebohren,</l><lb/>
              <l>Und des Vater, der nun die gro&#x017F;&#x017F;e Ver&#x017F;o&#x0364;nung vollendet,</l><lb/>
              <l>Heb, o Abram, dein Aug auf, und &#x017F;ieh! Zwar was ich dir &#x017F;age,</l><lb/>
              <l>Wei&#x017F;t du alles; doch i&#x017F;t es gut, die ge&#x017F;ehene Wahrheit<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Wieder</fw><lb/></l>
            </lg>
          </lg>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[100/0128] Der Meſſias. Wie geruͤhrt er zugleich, obſchon des beſſeren Lebens Ruhe ſo nah, und wie voll Mitleid die Leidenden anblickt. Aber daß meine Kinder den Allerheiligſten toͤdten, Keine Reue ſie ſchmilzt, ſie nicht, wie jener, zuruͤckfliehn: Ach was wuͤrd ich daruͤber, wofern ich noch ſterblich am Grabe Stuͤnde, was wuͤrde daruͤber ihr grauer Vater empfinden! Was mir Gabriel gern verſchweigen wollte, nicht konnte, Laß Einmal den truͤben Gedanken, doch ſchnell und gefluͤgelt, Vor dir uͤber, o Sohn, dann zuruͤck zur Vergeſſenheit gehen! Er, ſo mit dieſen Wunden zum Weltgerichte wird kommen, Hat den Gottverlaßnen ihr Urtheil prophetiſch geſprochen. Auch ſie haben es, uͤber ſich ſelbſt, geſprochen! Der Heide Wollt’ ihn nicht verdammen. Sie aber thatens, und riefen: Ueber uns komme ſein Blut, und uͤber unſere Kinder! Ach wenn nur die ſchrecklichen Worte kein Todesengel Nicht mit eiſernem Griffel in ewige Felſen gegraben, Und vor Gott ſie geſtellt hat! Jch ſeh, ich ſehe die Voͤlker Aller Enden, ſo weit der Aufgang und Untergang ſtrahlen! Alle Menſchen zum Kreuze des Gottverſoͤners verſammelt: Aber meine Kinder nicht mit! … Jzt erwiederte Moſes: Vater Jſaks, und Jakobs, und jener Treuen, die dennoch, Ob das Volk zum Bilde gleich lief, Jehova verehrten, Davids Vater, und der, die den Gottverſoͤner gebohren, Und des Vater, der nun die groſſe Verſoͤnung vollendet, Heb, o Abram, dein Aug auf, und ſieh! Zwar was ich dir ſage, Weiſt du alles; doch iſt es gut, die geſehene Wahrheit Wieder

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_messias02_1756
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_messias02_1756/128
Zitationshilfe: [Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Der Messias. Bd. 2. Halle, 1756, S. 100. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_messias02_1756/128>, abgerufen am 05.05.2024.