[Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Der Messias. Bd. 2. Halle, 1756.des griechischen Sylbenmasses im Deutschen. die nicht in Strophen getheilt sind. Horaz ist ein solcherMeister in der lyrischen Harmonie, daß seine Versarten ei- nige besondre Anmerkungen verdienen, um uns recht auf- merksam auf ihre Schönheit zu machen, eine Schönheit, die in seinen meisten Arten mit einer so glücklichen Sorgfalt erreicht ist, daß sie verführen könnte, einige Kleinigkeiten wider ein paar andre Arten bey ihm zu sagen, welche die feine Wahl der übrigen nicht ganz zeigen. Wenn Horaz am höchsten steigen will, so wählt er die Alcäen; ein Syl- benmaß, welches, selbst für den Schwung eines Psalms, noch tönend genung wäre. Er läuft da am oftesten mit dem Gedanken in die andre Strophe hinüber, weil es, so zu verfahren, dem Enthusiasmus des Ohres und der Ein- bildungskraft gemäß ist; da jenes oft noch mehr als den poetischen Perioden, der nur in eine Strophe eingeschlossen ist, verlangt, und diese den Strom des schnellfortgesetzten Gedanken nicht selten fordert. Horaz wuste entweder den Einwurf nicht, daß, wegen des Singens, die Strophe und der Periode zugleich schliessen müßten, weil ihm die Sänger und die lyrische Musik seiner Zeit denselben nicht machten; oder er opferte die kleinere Regel der grössern auf. Die eine Choriambe, die aus vier Versen, und nur Einem ungleichen besteht, hat viel Feuer, sanfteres, und heftige- res, wie Horaz will, dazu eine ihr eigne lyrische Fülle. Aber sie dürfte wohl, wegen der Gleichheit ihrer drey ersten Zeilen, nur sehr selten aus so vielen Strophen bestehen, als die Alcäische. Die zweyte Choriambe, die der vorigen bis auf den dritten Vers gleicht, welcher sich, mit einem sanf- ten Abfalle herunter läßt, würde denjenigen Oden vorzüg- lich angemessen seyn, die sich von der hohen Ode etwas zu dem Liede herablassen. Die Stellung dieser dritten Zeile allein sollte uns schon abschrecken, neue Sylbenmasse zu machen.
des griechiſchen Sylbenmaſſes im Deutſchen. die nicht in Strophen getheilt ſind. Horaz iſt ein ſolcherMeiſter in der lyriſchen Harmonie, daß ſeine Versarten ei- nige beſondre Anmerkungen verdienen, um uns recht auf- merkſam auf ihre Schoͤnheit zu machen, eine Schoͤnheit, die in ſeinen meiſten Arten mit einer ſo gluͤcklichen Sorgfalt erreicht iſt, daß ſie verfuͤhren koͤnnte, einige Kleinigkeiten wider ein paar andre Arten bey ihm zu ſagen, welche die feine Wahl der uͤbrigen nicht ganz zeigen. Wenn Horaz am hoͤchſten ſteigen will, ſo waͤhlt er die Alcaͤen; ein Syl- benmaß, welches, ſelbſt fuͤr den Schwung eines Pſalms, noch toͤnend genung waͤre. Er laͤuft da am ofteſten mit dem Gedanken in die andre Strophe hinuͤber, weil es, ſo zu verfahren, dem Enthuſiaſmus des Ohres und der Ein- bildungskraft gemaͤß iſt; da jenes oft noch mehr als den poetiſchen Perioden, der nur in eine Strophe eingeſchloſſen iſt, verlangt, und dieſe den Strom des ſchnellfortgeſetzten Gedanken nicht ſelten fordert. Horaz wuſte entweder den Einwurf nicht, daß, wegen des Singens, die Strophe und der Periode zugleich ſchlieſſen muͤßten, weil ihm die Saͤnger und die lyriſche Muſik ſeiner Zeit denſelben nicht machten; oder er opferte die kleinere Regel der groͤſſern auf. Die eine Choriambe, die aus vier Verſen, und nur Einem ungleichen beſteht, hat viel Feuer, ſanfteres, und heftige- res, wie Horaz will, dazu eine ihr eigne lyriſche Fuͤlle. Aber ſie duͤrfte wohl, wegen der Gleichheit ihrer drey erſten Zeilen, nur ſehr ſelten aus ſo vielen Strophen beſtehen, als die Alcaͤiſche. Die zweyte Choriambe, die der vorigen bis auf den dritten Vers gleicht, welcher ſich, mit einem ſanf- ten Abfalle herunter laͤßt, wuͤrde denjenigen Oden vorzuͤg- lich angemeſſen ſeyn, die ſich von der hohen Ode etwas zu dem Liede herablaſſen. Die Stellung dieſer dritten Zeile allein ſollte uns ſchon abſchrecken, neue Sylbenmaſſe zu machen.
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des griechiſchen Sylbenmaſſes im Deutſchen.
die nicht in Strophen getheilt ſind. Horaz iſt ein ſolcher
Meiſter in der lyriſchen Harmonie, daß ſeine Versarten ei-
nige beſondre Anmerkungen verdienen, um uns recht auf-
merkſam auf ihre Schoͤnheit zu machen, eine Schoͤnheit,
die in ſeinen meiſten Arten mit einer ſo gluͤcklichen Sorgfalt
erreicht iſt, daß ſie verfuͤhren koͤnnte, einige Kleinigkeiten
wider ein paar andre Arten bey ihm zu ſagen, welche die
feine Wahl der uͤbrigen nicht ganz zeigen. Wenn Horaz
am hoͤchſten ſteigen will, ſo waͤhlt er die Alcaͤen; ein Syl-
benmaß, welches, ſelbſt fuͤr den Schwung eines Pſalms,
noch toͤnend genung waͤre. Er laͤuft da am ofteſten mit
dem Gedanken in die andre Strophe hinuͤber, weil es, ſo
zu verfahren, dem Enthuſiaſmus des Ohres und der Ein-
bildungskraft gemaͤß iſt; da jenes oft noch mehr als den
poetiſchen Perioden, der nur in eine Strophe eingeſchloſſen
iſt, verlangt, und dieſe den Strom des ſchnellfortgeſetzten
Gedanken nicht ſelten fordert. Horaz wuſte entweder den
Einwurf nicht, daß, wegen des Singens, die Strophe
und der Periode zugleich ſchlieſſen muͤßten, weil ihm die
Saͤnger und die lyriſche Muſik ſeiner Zeit denſelben nicht
machten; oder er opferte die kleinere Regel der groͤſſern auf.
Die eine Choriambe, die aus vier Verſen, und nur Einem
ungleichen beſteht, hat viel Feuer, ſanfteres, und heftige-
res, wie Horaz will, dazu eine ihr eigne lyriſche Fuͤlle.
Aber ſie duͤrfte wohl, wegen der Gleichheit ihrer drey erſten
Zeilen, nur ſehr ſelten aus ſo vielen Strophen beſtehen, als
die Alcaͤiſche. Die zweyte Choriambe, die der vorigen bis
auf den dritten Vers gleicht, welcher ſich, mit einem ſanf-
ten Abfalle herunter laͤßt, wuͤrde denjenigen Oden vorzuͤg-
lich angemeſſen ſeyn, die ſich von der hohen Ode etwas zu
dem Liede herablaſſen. Die Stellung dieſer dritten Zeile
allein ſollte uns ſchon abſchrecken, neue Sylbenmaſſe zu
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