[Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Der Messias. Bd. 2. Halle, 1756.Von der Nachahmung der deutschen Sprache. Wem dieser Umstand zu unwichtigvorkömmt, eine Regel daraus zu machen, dem gestehe ich zu, daß der zehnsylbigte Jambe die Wahl eines epischen Dichters verdiente, wenn der Hexameter unnachahmbar wäre. Der Trochäe ist zu lang, zu schleppend, und in grössern Wer- ken noch schwerer auszuhalten, als der zwölfsylbigte Jambe. Was soll also der Verfasser einer Epopee wählen? Wenn ich nicht ganz irre; so muß er entweder nicht in Versen schreiben, und sich seine Worte wie Demosthenes, oder Fe- nelon von derjenigen Harmonie, welcher die Prosa fähig ist, zuzählen lassen; oder er muß sich zu dem Verse der Alten entschließen. Aber vielleicht ist in lyrischen Werken diese Entschliessung die
Von der Nachahmung der deutſchen Sprache. Wem dieſer Umſtand zu unwichtigvorkoͤmmt, eine Regel daraus zu machen, dem geſtehe ich zu, daß der zehnſylbigte Jambe die Wahl eines epiſchen Dichters verdiente, wenn der Hexameter unnachahmbar waͤre. Der Trochaͤe iſt zu lang, zu ſchleppend, und in groͤſſern Wer- ken noch ſchwerer auszuhalten, als der zwoͤlfſylbigte Jambe. Was ſoll alſo der Verfaſſer einer Epopee waͤhlen? Wenn ich nicht ganz irre; ſo muß er entweder nicht in Verſen ſchreiben, und ſich ſeine Worte wie Demoſthenes, oder Fe- nelon von derjenigen Harmonie, welcher die Proſa faͤhig iſt, zuzaͤhlen laſſen; oder er muß ſich zu dem Verſe der Alten entſchließen. Aber vielleicht iſt in lyriſchen Werken dieſe Entſchlieſſung die
<TEI> <text> <front> <div n="1"> <p><pb facs="#f0012"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Von der Nachahmung</hi></fw><lb/> der deutſchen Sprache. Wem dieſer Umſtand zu unwichtig<lb/> vorkoͤmmt, eine Regel daraus zu machen, dem geſtehe ich<lb/> zu, daß der zehnſylbigte Jambe die Wahl eines epiſchen<lb/> Dichters verdiente, wenn der Hexameter unnachahmbar waͤre.<lb/> Der Trochaͤe iſt zu lang, zu ſchleppend, und in groͤſſern Wer-<lb/> ken noch ſchwerer auszuhalten, als der zwoͤlfſylbigte Jambe.<lb/> Was ſoll alſo der Verfaſſer einer Epopee waͤhlen? Wenn<lb/> ich nicht ganz irre; ſo muß er entweder nicht in Verſen<lb/> ſchreiben, und ſich ſeine Worte wie Demoſthenes, oder Fe-<lb/> nelon von derjenigen Harmonie, welcher die Proſa faͤhig iſt,<lb/> zuzaͤhlen laſſen; oder er muß ſich zu dem Verſe der Alten<lb/> entſchließen.</p><lb/> <p>Aber vielleicht iſt in lyriſchen Werken dieſe Entſchlieſſung<lb/> nicht ſo nothwendig? Und wir koͤnnen, ohne die Sylben-<lb/> maſſe der alten Ode, Pindariſch oder Horaziſch ſeyn? Jch<lb/> gebe zu, daß unſre lyriſchen Verſe einer groͤſſern Mannich-<lb/> faltigkeit faͤhig ſind, als die andern; daß wir einige gluͤck-<lb/> liche Arten gefunden haben, wo, durch die Abwechslung der<lb/> laͤngern und kuͤrzern Zeilen; durch die gute Stellung der<lb/> Reime; und ſelbſt manchmal durch die Verbindung zwoer<lb/> Versarten in Einer Strophe, viel Klang in einige unſrer<lb/> Oden gekommen iſt. Aber daraus folgt nicht, daß ſie die<lb/> horaziſchen erreicht haben; daß es unſern Jamben oder Tro-<lb/> chaͤen moͤglich ſey, es der maͤchtigen alcaͤiſchen Strophe, ih-<lb/> rem Schwunge, ihrer Fuͤlle, ihrem fallenden Schlage gleich<lb/> zu thun; mit den beyden choriambiſchen zu fliegen; mit der<lb/> einen im beſtaͤndigen ſchnellen Fluge; mit der andern mitten<lb/> im Fluge, zu ſchweben, dann auf einmal den Flug wieder<lb/> fortzuſetzen; dem ſanften Fluſſe der ſapphiſchen, beſonders<lb/> wenn ſie Sappho ſelbſt gemacht hat, aͤhnlich zu werden;<lb/> oder die feine Ruͤnde derjenigen Oden im Horaz zu erreichen;<lb/> <fw place="bottom" type="catch">die</fw><lb/></p> </div> </front> </text> </TEI> [0012]
Von der Nachahmung
der deutſchen Sprache. Wem dieſer Umſtand zu unwichtig
vorkoͤmmt, eine Regel daraus zu machen, dem geſtehe ich
zu, daß der zehnſylbigte Jambe die Wahl eines epiſchen
Dichters verdiente, wenn der Hexameter unnachahmbar waͤre.
Der Trochaͤe iſt zu lang, zu ſchleppend, und in groͤſſern Wer-
ken noch ſchwerer auszuhalten, als der zwoͤlfſylbigte Jambe.
Was ſoll alſo der Verfaſſer einer Epopee waͤhlen? Wenn
ich nicht ganz irre; ſo muß er entweder nicht in Verſen
ſchreiben, und ſich ſeine Worte wie Demoſthenes, oder Fe-
nelon von derjenigen Harmonie, welcher die Proſa faͤhig iſt,
zuzaͤhlen laſſen; oder er muß ſich zu dem Verſe der Alten
entſchließen.
Aber vielleicht iſt in lyriſchen Werken dieſe Entſchlieſſung
nicht ſo nothwendig? Und wir koͤnnen, ohne die Sylben-
maſſe der alten Ode, Pindariſch oder Horaziſch ſeyn? Jch
gebe zu, daß unſre lyriſchen Verſe einer groͤſſern Mannich-
faltigkeit faͤhig ſind, als die andern; daß wir einige gluͤck-
liche Arten gefunden haben, wo, durch die Abwechslung der
laͤngern und kuͤrzern Zeilen; durch die gute Stellung der
Reime; und ſelbſt manchmal durch die Verbindung zwoer
Versarten in Einer Strophe, viel Klang in einige unſrer
Oden gekommen iſt. Aber daraus folgt nicht, daß ſie die
horaziſchen erreicht haben; daß es unſern Jamben oder Tro-
chaͤen moͤglich ſey, es der maͤchtigen alcaͤiſchen Strophe, ih-
rem Schwunge, ihrer Fuͤlle, ihrem fallenden Schlage gleich
zu thun; mit den beyden choriambiſchen zu fliegen; mit der
einen im beſtaͤndigen ſchnellen Fluge; mit der andern mitten
im Fluge, zu ſchweben, dann auf einmal den Flug wieder
fortzuſetzen; dem ſanften Fluſſe der ſapphiſchen, beſonders
wenn ſie Sappho ſelbſt gemacht hat, aͤhnlich zu werden;
oder die feine Ruͤnde derjenigen Oden im Horaz zu erreichen;
die
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |