[Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Der Messias. Bd. 2. Halle, 1756.Zehnter Gesang. Heiden blieben die Eltern der jungen Claudia, Heiden Jhre Brüder und Schwestern. Ein redlicher Mann war ihr Vater, Sanft die Mutter, und liebenswürdig die Schwestern und Brüder. Claudia liebt sie, und wird geliebt von ihnen; allein sie Thuts, wird eine Christinn, und bleibt im Glauben, und stirbt so. Fern von der Welt. (Nicht immer ists menschenfeindlicher Trübsinn, Von der Welt sich entfernen!) vereinigt' Amplias weise, Mit tiefsehender Kenntniß der menschlichen Schwächen entflammten Daurenden Eifer, dem grossen erstaunungvollen Gesetze: Seyd vollkommen, wie Gott! mit bebender Demut zu folgen. Von der Zinne der Ueberwinder umflammt dieß hohe, Göttlichstrahlende Licht den Staubbewohner. Er blickte, Nie gewendet, hinauf zur engen Pforte, durch die es Flammt'; und ging, und strauchelt, und klomm den schmalen Weg auf. Phlegon hatte den schimmernden Kreis der griechischen Weisheit Ganz gemessen; besaß viel Güter der Erde: doch drückten Diese zur Wollust ihn nicht, nicht jene zur Eitelkeit nieder. Wo er hintrat, entfloß des Edlen Gange der Balsam Stiller, geheimerer Milde. Die Kranken labt' er; die Nackten Kleidet' er! Aber er gab noch wesentlichere Gaben, Treuen Rath dem kränkeren Geist, als ein Körper es seyn kann! Volle Tröstung den Seelen, die in lichtdürftige Zweifel Sich verwebten! Er brachte viel halbgewendete Christen Zu dem blutenden Menschenfreunde, zum Himmel zurücke! Nicht aus Bescheidenheit nur, er schien auch selber aus Demut, Nichts von der Weisheit der Erde zu wissen. Er kannte nur Jesum. Jesum, den Sündeversöner, den Helfer im Leben, und Tode! Aber J 5
Zehnter Geſang. Heiden blieben die Eltern der jungen Claudia, Heiden Jhre Bruͤder und Schweſtern. Ein redlicher Mann war ihr Vater, Sanft die Mutter, und liebenswuͤrdig die Schweſtern und Bruͤder. Claudia liebt ſie, und wird geliebt von ihnen; allein ſie Thuts, wird eine Chriſtinn, und bleibt im Glauben, und ſtirbt ſo. Fern von der Welt. (Nicht immer iſts menſchenfeindlicher Truͤbſinn, Von der Welt ſich entfernen!) vereinigt’ Amplias weiſe, Mit tiefſehender Kenntniß der menſchlichen Schwaͤchen entflammten Daurenden Eifer, dem groſſen erſtaunungvollen Geſetze: Seyd vollkommen, wie Gott! mit bebender Demut zu folgen. Von der Zinne der Ueberwinder umflammt dieß hohe, Goͤttlichſtrahlende Licht den Staubbewohner. Er blickte, Nie gewendet, hinauf zur engen Pforte, durch die es Flammt’; und ging, und ſtrauchelt, und klomm den ſchmalen Weg auf. Phlegon hatte den ſchimmernden Kreis der griechiſchen Weisheit Ganz gemeſſen; beſaß viel Guͤter der Erde: doch druͤckten Dieſe zur Wolluſt ihn nicht, nicht jene zur Eitelkeit nieder. Wo er hintrat, entfloß des Edlen Gange der Balſam Stiller, geheimerer Milde. Die Kranken labt’ er; die Nackten Kleidet’ er! Aber er gab noch weſentlichere Gaben, Treuen Rath dem kraͤnkeren Geiſt, als ein Koͤrper es ſeyn kann! Volle Troͤſtung den Seelen, die in lichtduͤrftige Zweifel Sich verwebten! Er brachte viel halbgewendete Chriſten Zu dem blutenden Menſchenfreunde, zum Himmel zuruͤcke! Nicht aus Beſcheidenheit nur, er ſchien auch ſelber aus Demut, Nichts von der Weisheit der Erde zu wiſſen. Er kannte nur Jeſum. Jeſum, den Suͤndeverſoͤner, den Helfer im Leben, und Tode! Aber J 5
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Zehnter Geſang.
Heiden blieben die Eltern der jungen Claudia, Heiden
Jhre Bruͤder und Schweſtern. Ein redlicher Mann war ihr Vater,
Sanft die Mutter, und liebenswuͤrdig die Schweſtern und Bruͤder.
Claudia liebt ſie, und wird geliebt von ihnen; allein ſie
Thuts, wird eine Chriſtinn, und bleibt im Glauben, und ſtirbt ſo.
Fern von der Welt. (Nicht immer iſts menſchenfeindlicher Truͤbſinn,
Von der Welt ſich entfernen!) vereinigt’ Amplias weiſe,
Mit tiefſehender Kenntniß der menſchlichen Schwaͤchen entflammten
Daurenden Eifer, dem groſſen erſtaunungvollen Geſetze:
Seyd vollkommen, wie Gott! mit bebender Demut zu folgen.
Von der Zinne der Ueberwinder umflammt dieß hohe,
Goͤttlichſtrahlende Licht den Staubbewohner. Er blickte,
Nie gewendet, hinauf zur engen Pforte, durch die es
Flammt’; und ging, und ſtrauchelt, und klomm den ſchmalen Weg auf.
Phlegon hatte den ſchimmernden Kreis der griechiſchen Weisheit
Ganz gemeſſen; beſaß viel Guͤter der Erde: doch druͤckten
Dieſe zur Wolluſt ihn nicht, nicht jene zur Eitelkeit nieder.
Wo er hintrat, entfloß des Edlen Gange der Balſam
Stiller, geheimerer Milde. Die Kranken labt’ er; die Nackten
Kleidet’ er! Aber er gab noch weſentlichere Gaben,
Treuen Rath dem kraͤnkeren Geiſt, als ein Koͤrper es ſeyn kann!
Volle Troͤſtung den Seelen, die in lichtduͤrftige Zweifel
Sich verwebten! Er brachte viel halbgewendete Chriſten
Zu dem blutenden Menſchenfreunde, zum Himmel zuruͤcke!
Nicht aus Beſcheidenheit nur, er ſchien auch ſelber aus Demut,
Nichts von der Weisheit der Erde zu wiſſen. Er kannte nur Jeſum.
Jeſum, den Suͤndeverſoͤner, den Helfer im Leben, und Tode!
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