[Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Der Messias. Bd. 2. Halle, 1756.
Also sagt er. Es hält mit unbeweglichen Händen Noch den Felsen Lebbäus; allein er wendet sein Antliz Doch nach Lazarus um. Zwar blickt' er mit starrendem Auge; Aber er sah zum Freunde doch auf. Da lief, da umarmte Lazarus ihn, und entriß den Jammervollen dem Grabmal! Faßt' ihn bey der Rechten, und blieb mit ihm stehn. Sie sahen Unter hangenden Nächten die stolze Jerusalem liegen; Sahn den entschimmerten Tempel, den überschatteten Sion, Und ... auch Golgatha! ... Hebe, (so sprach zum zitternden Freunde Lazarus,) hebe, Lebbäus, dein Aug auf, und sieh! ... Jch sehe Gottes Gegenwart auf dem benachteten, graunvollen Schauplaz! Einen Tag, wie dieser ist, hast du den iemals gesehen? Haben, Lebbäus, mit dir dein Vater, und der ihn gezeugt hat, Jemals von einem Tage, wie dieser Tag ist, gesprochen? Welche Feyerlichkeit hat Gott ihm gegeben! Wie furchtbar Hat er die Erd und den Himmel, mit seinen Schrecken, bekleidet! Wie, mit todter Stille, die Schauenden alle gefesselt! Wenn nun Gott, durch den Tod des Heiligen, Dinge vollbrächte, Welche wir nicht verstünden? ... Dir kann ich es sagen, Geliebter, Und zwar, weil es vielleicht dir deine Traurigkeit lindert; Sonst verschwieg ich es noch! Seitdem der Göttliche blutet, Fühl ich in mir ... wie soll ichs genau und würdig dir sagen? Fühl ich so was Stilles und Friedenvolles, das selber Meine Wehmut, mit der ich ihn leiden sehe, besänftigt! Ringsum ist alles heilig um mich! Wohin ich mich wende, Find
Alſo ſagt er. Es haͤlt mit unbeweglichen Haͤnden Noch den Felſen Lebbaͤus; allein er wendet ſein Antliz Doch nach Lazarus um. Zwar blickt’ er mit ſtarrendem Auge; Aber er ſah zum Freunde doch auf. Da lief, da umarmte Lazarus ihn, und entriß den Jammervollen dem Grabmal! Faßt’ ihn bey der Rechten, und blieb mit ihm ſtehn. Sie ſahen Unter hangenden Naͤchten die ſtolze Jeruſalem liegen; Sahn den entſchimmerten Tempel, den uͤberſchatteten Sion, Und … auch Golgatha! … Hebe, (ſo ſprach zum zitternden Freunde Lazarus,) hebe, Lebbaͤus, dein Aug auf, und ſieh! … Jch ſehe Gottes Gegenwart auf dem benachteten, graunvollen Schauplaz! Einen Tag, wie dieſer iſt, haſt du den iemals geſehen? Haben, Lebbaͤus, mit dir dein Vater, und der ihn gezeugt hat, Jemals von einem Tage, wie dieſer Tag iſt, geſprochen? Welche Feyerlichkeit hat Gott ihm gegeben! Wie furchtbar Hat er die Erd und den Himmel, mit ſeinen Schrecken, bekleidet! Wie, mit todter Stille, die Schauenden alle gefeſſelt! Wenn nun Gott, durch den Tod des Heiligen, Dinge vollbraͤchte, Welche wir nicht verſtuͤnden? … Dir kann ich es ſagen, Geliebter, Und zwar, weil es vielleicht dir deine Traurigkeit lindert; Sonſt verſchwieg ich es noch! Seitdem der Goͤttliche blutet, Fuͤhl ich in mir … wie ſoll ichs genau und wuͤrdig dir ſagen? Fuͤhl ich ſo was Stilles und Friedenvolles, das ſelber Meine Wehmut, mit der ich ihn leiden ſehe, beſaͤnftigt! Ringsum iſt alles heilig um mich! Wohin ich mich wende, Find
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Der Meſſias.
Jeſus, des angebeteten Sohn! der Himmelgeſandte!
Der vor Abraham war! iſts moͤglich, daß er verweſe?
Alſo ſagt er. Es haͤlt mit unbeweglichen Haͤnden
Noch den Felſen Lebbaͤus; allein er wendet ſein Antliz
Doch nach Lazarus um. Zwar blickt’ er mit ſtarrendem Auge;
Aber er ſah zum Freunde doch auf. Da lief, da umarmte
Lazarus ihn, und entriß den Jammervollen dem Grabmal!
Faßt’ ihn bey der Rechten, und blieb mit ihm ſtehn. Sie ſahen
Unter hangenden Naͤchten die ſtolze Jeruſalem liegen;
Sahn den entſchimmerten Tempel, den uͤberſchatteten Sion,
Und … auch Golgatha! … Hebe, (ſo ſprach zum zitternden Freunde
Lazarus,) hebe, Lebbaͤus, dein Aug auf, und ſieh! … Jch ſehe
Gottes Gegenwart auf dem benachteten, graunvollen Schauplaz!
Einen Tag, wie dieſer iſt, haſt du den iemals geſehen?
Haben, Lebbaͤus, mit dir dein Vater, und der ihn gezeugt hat,
Jemals von einem Tage, wie dieſer Tag iſt, geſprochen?
Welche Feyerlichkeit hat Gott ihm gegeben! Wie furchtbar
Hat er die Erd und den Himmel, mit ſeinen Schrecken, bekleidet!
Wie, mit todter Stille, die Schauenden alle gefeſſelt!
Wenn nun Gott, durch den Tod des Heiligen, Dinge vollbraͤchte,
Welche wir nicht verſtuͤnden? … Dir kann ich es ſagen, Geliebter,
Und zwar, weil es vielleicht dir deine Traurigkeit lindert;
Sonſt verſchwieg ich es noch! Seitdem der Goͤttliche blutet,
Fuͤhl ich in mir … wie ſoll ichs genau und wuͤrdig dir ſagen?
Fuͤhl ich ſo was Stilles und Friedenvolles, das ſelber
Meine Wehmut, mit der ich ihn leiden ſehe, beſaͤnftigt!
Ringsum iſt alles heilig um mich! Wohin ich mich wende,
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