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[Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Der Messias. Bd. 2. Halle, 1756.

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des griechischen Sylbenmasses im Deutschen.
zu behaupten. Gleichwohl liebe ich meine Landsleute so sehr,
daß ich von ihnen glaube, daß sie in den Städten, wo es
nicht mehr unbekannt ist, daß Achtung und Sorge für ein-
heimische schöne Wissenschaften eine von den vorzüglichsten
Ehren einer Nation sind, sich bemühen werden, ihre Sprache
recht auszusprechen; und, wofern sie sich auch hierinn noch ei-
nige Nachlässigkeit verzeihen wollten, doch, wenn sie öffentlich
reden, oder gute Schriften in Gesellschaften vorlesen, sich selbst
und ihren Scribenten die Ehre erweisen werden, daß sie ihre
volltönige und mächtige Sprache richtig aussprechen.

Diese Aussprache vorausgesetzt, ahmen wir dem homeri-
schen Verse so nach. Wir haben Daktylen, wie die Grie-
chen, und ob wir gleich wenige Spondäen haben; so verliert
doch unser Hexameter dadurch, daß wir statt der Spondäen
meistentheils Trochäen brauchen, so wenig, daß er vielmehr
fliessender, durch die Trochäen, wird; weil in unsern Syl-
ben überhaupt mehr Buchstaben sind, als bey den Griechen.
Es ist wahr, die Griechen unterscheiden die Länge und Kürze
ihrer Sylben nach einer viel feinern Regel, als wir. Wenn
wir unsre Sprache nach ihrer Regel reden wollten, so hätten
wir fast lauter lange Sylben. Dieses ist der Natur des Ge-
hörs zuwider, welches eine ungefähr gleiche Abwechslung von
langen und kurzen Sylben verlangt. Die Aussprache hat
sich daher nach den Fordrungen des Ohrs gerichtet. Und
dieses ist biegsam genug gewesen, sich an die Kürze eines
Vocals zu gewöhnen, auf den zween oder auch wohl drey
Buchstaben folgen; und es wird nur alsdann verdrießlich,
wenn diese Buchstaben mit einer gewissen Ungelenkigkeit der
Zunge ausgesprochen werden. Ob wir nun gleich auf der
einen Seite, in Absicht auf die Feinheit des Wohlklangs ver-
lieren; so gewinnen wir, in Betrachtung einer ganz neuen
Mannichfaltigkeit, welche die Griechen nicht hatten, bey-

nahe
)( 4

des griechiſchen Sylbenmaſſes im Deutſchen.
zu behaupten. Gleichwohl liebe ich meine Landsleute ſo ſehr,
daß ich von ihnen glaube, daß ſie in den Staͤdten, wo es
nicht mehr unbekannt iſt, daß Achtung und Sorge fuͤr ein-
heimiſche ſchoͤne Wiſſenſchaften eine von den vorzuͤglichſten
Ehren einer Nation ſind, ſich bemuͤhen werden, ihre Sprache
recht auszuſprechen; und, wofern ſie ſich auch hierinn noch ei-
nige Nachlaͤſſigkeit verzeihen wollten, doch, wenn ſie oͤffentlich
reden, oder gute Schriften in Geſellſchaften vorleſen, ſich ſelbſt
und ihren Scribenten die Ehre erweiſen werden, daß ſie ihre
volltoͤnige und maͤchtige Sprache richtig ausſprechen.

Dieſe Ausſprache vorausgeſetzt, ahmen wir dem homeri-
ſchen Verſe ſo nach. Wir haben Daktylen, wie die Grie-
chen, und ob wir gleich wenige Spondaͤen haben; ſo verliert
doch unſer Hexameter dadurch, daß wir ſtatt der Spondaͤen
meiſtentheils Trochaͤen brauchen, ſo wenig, daß er vielmehr
flieſſender, durch die Trochaͤen, wird; weil in unſern Syl-
ben uͤberhaupt mehr Buchſtaben ſind, als bey den Griechen.
Es iſt wahr, die Griechen unterſcheiden die Laͤnge und Kuͤrze
ihrer Sylben nach einer viel feinern Regel, als wir. Wenn
wir unſre Sprache nach ihrer Regel reden wollten, ſo haͤtten
wir faſt lauter lange Sylben. Dieſes iſt der Natur des Ge-
hoͤrs zuwider, welches eine ungefaͤhr gleiche Abwechslung von
langen und kurzen Sylben verlangt. Die Ausſprache hat
ſich daher nach den Fordrungen des Ohrs gerichtet. Und
dieſes iſt biegſam genug geweſen, ſich an die Kuͤrze eines
Vocals zu gewoͤhnen, auf den zween oder auch wohl drey
Buchſtaben folgen; und es wird nur alsdann verdrießlich,
wenn dieſe Buchſtaben mit einer gewiſſen Ungelenkigkeit der
Zunge ausgeſprochen werden. Ob wir nun gleich auf der
einen Seite, in Abſicht auf die Feinheit des Wohlklangs ver-
lieren; ſo gewinnen wir, in Betrachtung einer ganz neuen
Mannichfaltigkeit, welche die Griechen nicht hatten, bey-

nahe
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[0007] des griechiſchen Sylbenmaſſes im Deutſchen. zu behaupten. Gleichwohl liebe ich meine Landsleute ſo ſehr, daß ich von ihnen glaube, daß ſie in den Staͤdten, wo es nicht mehr unbekannt iſt, daß Achtung und Sorge fuͤr ein- heimiſche ſchoͤne Wiſſenſchaften eine von den vorzuͤglichſten Ehren einer Nation ſind, ſich bemuͤhen werden, ihre Sprache recht auszuſprechen; und, wofern ſie ſich auch hierinn noch ei- nige Nachlaͤſſigkeit verzeihen wollten, doch, wenn ſie oͤffentlich reden, oder gute Schriften in Geſellſchaften vorleſen, ſich ſelbſt und ihren Scribenten die Ehre erweiſen werden, daß ſie ihre volltoͤnige und maͤchtige Sprache richtig ausſprechen. Dieſe Ausſprache vorausgeſetzt, ahmen wir dem homeri- ſchen Verſe ſo nach. Wir haben Daktylen, wie die Grie- chen, und ob wir gleich wenige Spondaͤen haben; ſo verliert doch unſer Hexameter dadurch, daß wir ſtatt der Spondaͤen meiſtentheils Trochaͤen brauchen, ſo wenig, daß er vielmehr flieſſender, durch die Trochaͤen, wird; weil in unſern Syl- ben uͤberhaupt mehr Buchſtaben ſind, als bey den Griechen. Es iſt wahr, die Griechen unterſcheiden die Laͤnge und Kuͤrze ihrer Sylben nach einer viel feinern Regel, als wir. Wenn wir unſre Sprache nach ihrer Regel reden wollten, ſo haͤtten wir faſt lauter lange Sylben. Dieſes iſt der Natur des Ge- hoͤrs zuwider, welches eine ungefaͤhr gleiche Abwechslung von langen und kurzen Sylben verlangt. Die Ausſprache hat ſich daher nach den Fordrungen des Ohrs gerichtet. Und dieſes iſt biegſam genug geweſen, ſich an die Kuͤrze eines Vocals zu gewoͤhnen, auf den zween oder auch wohl drey Buchſtaben folgen; und es wird nur alsdann verdrießlich, wenn dieſe Buchſtaben mit einer gewiſſen Ungelenkigkeit der Zunge ausgeſprochen werden. Ob wir nun gleich auf der einen Seite, in Abſicht auf die Feinheit des Wohlklangs ver- lieren; ſo gewinnen wir, in Betrachtung einer ganz neuen Mannichfaltigkeit, welche die Griechen nicht hatten, bey- nahe )( 4

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Zitationshilfe: [Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Der Messias. Bd. 2. Halle, 1756, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_messias02_1756/7>, abgerufen am 24.04.2024.