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[Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Der Messias. Bd. 2. Halle, 1756.

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Von der Nachahmung
nahe mehr, als uns, durch die genaue Feinheit, entgeht.
Zum Beweise dessen wähle ich vorzüglich den Daktylus, weil
er hinter der langen Sylbe zwo kurze hat. Da unsre kurze
Sylbe auf zwo Arten, und bisweilen auch auf die dritte, kurz
ist; der Griechen ihre hingegen nur auf Eine und selten auf
Zwo Arten: so entstehn daher so verschiedne Daktylen, und
zugleich so viel Mannichfaltigkeit mehr, daß diese in Einem
Perioden die Harmonie schon ungemein erhöht, und denn
einem ganzen Werke zu einem Vortheile gereicht, der nicht
sorgfältig genung gebraucht werden kann. Dazu kömmt,
daß uns die Verschiedenheit der Daktylen auch deßwegen an-
genehm seyn muß, weil sie in unsern Hexametern mehr, als
in den griechischen vorkommen. Dieser in einigen Fällen
nothwendige öftere Gebrauch der Daktylen, ist auch wohl
Ursach gewesen, warum einige Neuere den sogenannten spon-
däischen Vers, der den Hexameter mit zween Spondäen, statt
eines Daktyls und Spondäen, schließt, mit dem Homer öf-
ters brauchen, ohne deßwegen etwas wider den Virgil zu ha-
ben, der die Ursach nicht hatte, und es daher nur selten that.

Wenn wir also unsern Hexameter, nach der Prosodie un-
srer Sprache, und nach seinen übrigen Regeln, mit Richtig-
keit ausarbeiten; wenn wir in der Aussuchung harmonischer
Wörter sorgfältig sind; wenn wir ferner das Verhältniß,
das ein Vers gegen den andern in dem Perioden bekömmt,
verstehen; wenn wir endlich die Mannichfaltigkeit auf viele
Arten von einander unterschiedner Perioden nicht nur kennen,
sondern auch diese abwechselnde Perioden, nach Absichten, zu
ordnen wissen: dann erst dürfen wir glauben, einen hohen
Grad der poetischen Harmonie erreicht zu haben. Aber die
Gedanken des Gedichts sind noch besonders; und der Wohl-
klang ist auch besonders. Sie haben noch kein anders Ver-
hältniß unter einander, als daß die Seele zu eben der Zeit

durch

Von der Nachahmung
nahe mehr, als uns, durch die genaue Feinheit, entgeht.
Zum Beweiſe deſſen waͤhle ich vorzuͤglich den Daktylus, weil
er hinter der langen Sylbe zwo kurze hat. Da unſre kurze
Sylbe auf zwo Arten, und bisweilen auch auf die dritte, kurz
iſt; der Griechen ihre hingegen nur auf Eine und ſelten auf
Zwo Arten: ſo entſtehn daher ſo verſchiedne Daktylen, und
zugleich ſo viel Mannichfaltigkeit mehr, daß dieſe in Einem
Perioden die Harmonie ſchon ungemein erhoͤht, und denn
einem ganzen Werke zu einem Vortheile gereicht, der nicht
ſorgfaͤltig genung gebraucht werden kann. Dazu koͤmmt,
daß uns die Verſchiedenheit der Daktylen auch deßwegen an-
genehm ſeyn muß, weil ſie in unſern Hexametern mehr, als
in den griechiſchen vorkommen. Dieſer in einigen Faͤllen
nothwendige oͤftere Gebrauch der Daktylen, iſt auch wohl
Urſach geweſen, warum einige Neuere den ſogenannten ſpon-
daͤiſchen Vers, der den Hexameter mit zween Spondaͤen, ſtatt
eines Daktyls und Spondaͤen, ſchließt, mit dem Homer oͤf-
ters brauchen, ohne deßwegen etwas wider den Virgil zu ha-
ben, der die Urſach nicht hatte, und es daher nur ſelten that.

Wenn wir alſo unſern Hexameter, nach der Proſodie un-
ſrer Sprache, und nach ſeinen uͤbrigen Regeln, mit Richtig-
keit ausarbeiten; wenn wir in der Ausſuchung harmoniſcher
Woͤrter ſorgfaͤltig ſind; wenn wir ferner das Verhaͤltniß,
das ein Vers gegen den andern in dem Perioden bekoͤmmt,
verſtehen; wenn wir endlich die Mannichfaltigkeit auf viele
Arten von einander unterſchiedner Perioden nicht nur kennen,
ſondern auch dieſe abwechſelnde Perioden, nach Abſichten, zu
ordnen wiſſen: dann erſt duͤrfen wir glauben, einen hohen
Grad der poetiſchen Harmonie erreicht zu haben. Aber die
Gedanken des Gedichts ſind noch beſonders; und der Wohl-
klang iſt auch beſonders. Sie haben noch kein anders Ver-
haͤltniß unter einander, als daß die Seele zu eben der Zeit

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[0008] Von der Nachahmung nahe mehr, als uns, durch die genaue Feinheit, entgeht. Zum Beweiſe deſſen waͤhle ich vorzuͤglich den Daktylus, weil er hinter der langen Sylbe zwo kurze hat. Da unſre kurze Sylbe auf zwo Arten, und bisweilen auch auf die dritte, kurz iſt; der Griechen ihre hingegen nur auf Eine und ſelten auf Zwo Arten: ſo entſtehn daher ſo verſchiedne Daktylen, und zugleich ſo viel Mannichfaltigkeit mehr, daß dieſe in Einem Perioden die Harmonie ſchon ungemein erhoͤht, und denn einem ganzen Werke zu einem Vortheile gereicht, der nicht ſorgfaͤltig genung gebraucht werden kann. Dazu koͤmmt, daß uns die Verſchiedenheit der Daktylen auch deßwegen an- genehm ſeyn muß, weil ſie in unſern Hexametern mehr, als in den griechiſchen vorkommen. Dieſer in einigen Faͤllen nothwendige oͤftere Gebrauch der Daktylen, iſt auch wohl Urſach geweſen, warum einige Neuere den ſogenannten ſpon- daͤiſchen Vers, der den Hexameter mit zween Spondaͤen, ſtatt eines Daktyls und Spondaͤen, ſchließt, mit dem Homer oͤf- ters brauchen, ohne deßwegen etwas wider den Virgil zu ha- ben, der die Urſach nicht hatte, und es daher nur ſelten that. Wenn wir alſo unſern Hexameter, nach der Proſodie un- ſrer Sprache, und nach ſeinen uͤbrigen Regeln, mit Richtig- keit ausarbeiten; wenn wir in der Ausſuchung harmoniſcher Woͤrter ſorgfaͤltig ſind; wenn wir ferner das Verhaͤltniß, das ein Vers gegen den andern in dem Perioden bekoͤmmt, verſtehen; wenn wir endlich die Mannichfaltigkeit auf viele Arten von einander unterſchiedner Perioden nicht nur kennen, ſondern auch dieſe abwechſelnde Perioden, nach Abſichten, zu ordnen wiſſen: dann erſt duͤrfen wir glauben, einen hohen Grad der poetiſchen Harmonie erreicht zu haben. Aber die Gedanken des Gedichts ſind noch beſonders; und der Wohl- klang iſt auch beſonders. Sie haben noch kein anders Ver- haͤltniß unter einander, als daß die Seele zu eben der Zeit durch

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Zitationshilfe: [Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Der Messias. Bd. 2. Halle, 1756, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_messias02_1756/8>, abgerufen am 28.03.2024.