Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Der Messias. Bd. 2. Halle, 1756.

Bild:
<< vorherige Seite

Der Messias.

Ach nun reißt sie von neuem mir auf die Wund in der Seele!
Deine Gespräche von Gott bedekten sie leise. Run reißt sie
Wieder auf, und blutet, die tiefe Wunde! ... Dich segne
Gott, ja Abrahams Gott, er segne dich! Aber, o wende
Dieß dein weinendes Auge von mir! Es tröstet umsonst mich!
Denn er beschloß, zu sterben! und ... stirbt! ... Hier verließ sie die Stimme,
Lange standen sie beyde mit weggewendetem Antliz.
Endlich, wie ein Sterbender sich noch einmal zum Freunde
Kehrt, sprach Portia noch: O du! du Theurste der Mütter!
Mutter! ich geh, und weine mit dir, ... bey dem Grabe des Todten!

So besprachen sie sich. Die Hohenpriester begleiten
Zu Herodes den göttlichen Sohn, mit ihnen die Menge.
Und schon lief ein Geschrey durch des Fürsten Palast: Den Jesus
Aus Galiäa, den Wunderthäter sende Pilatus
Zu Herodes! Der Fürst versammelt der Höflinge Haufen
Eilend um sich, und sitzt. Drauf sagt er zu ihnen: Es soll mir
Dieser Tag es entscheiden! Jhr habt es alle vernommen,
Was der erhöhende Ruf nicht verschwieg: Die Kranken mit Worten
Heilen? Mit Worten die Todten erwecken? Und dennoch gefangen?
Seht, ich staune, wie ihr! So sagt' er, und sagte nicht alles,
Was er dachte. Sein Herz war ihm viel stolzer geschwollen.
Ja, der größte Prophet von unsern Propheten, er neigt sich,
Als Verklagter, vor mir! Jch bin sein Richter! gebiet ihm,
Wunder zu thun! Wofern er sie thut; (wie könnt er? Es sind ja
Keine möglich!) doch thut er so etwas: so hat ihm Herodes
Wunder geboten! Und thut er sie nicht; so ist er doch immer
Jener

Der Meſſias.

Ach nun reißt ſie von neuem mir auf die Wund in der Seele!
Deine Geſpraͤche von Gott bedekten ſie leiſe. Run reißt ſie
Wieder auf, und blutet, die tiefe Wunde! … Dich ſegne
Gott, ja Abrahams Gott, er ſegne dich! Aber, o wende
Dieß dein weinendes Auge von mir! Es troͤſtet umſonſt mich!
Denn er beſchloß, zu ſterben! und … ſtirbt! … Hier verließ ſie die Stimme,
Lange ſtanden ſie beyde mit weggewendetem Antliz.
Endlich, wie ein Sterbender ſich noch einmal zum Freunde
Kehrt, ſprach Portia noch: O du! du Theurſte der Muͤtter!
Mutter! ich geh, und weine mit dir, … bey dem Grabe des Todten!

So beſprachen ſie ſich. Die Hohenprieſter begleiten
Zu Herodes den goͤttlichen Sohn, mit ihnen die Menge.
Und ſchon lief ein Geſchrey durch des Fuͤrſten Palaſt: Den Jeſus
Aus Galiaͤa, den Wunderthaͤter ſende Pilatus
Zu Herodes! Der Fuͤrſt verſammelt der Hoͤflinge Haufen
Eilend um ſich, und ſitzt. Drauf ſagt er zu ihnen: Es ſoll mir
Dieſer Tag es entſcheiden! Jhr habt es alle vernommen,
Was der erhoͤhende Ruf nicht verſchwieg: Die Kranken mit Worten
Heilen? Mit Worten die Todten erwecken? Und dennoch gefangen?
Seht, ich ſtaune, wie ihr! So ſagt’ er, und ſagte nicht alles,
Was er dachte. Sein Herz war ihm viel ſtolzer geſchwollen.
Ja, der groͤßte Prophet von unſern Propheten, er neigt ſich,
Als Verklagter, vor mir! Jch bin ſein Richter! gebiet ihm,
Wunder zu thun! Wofern er ſie thut; (wie koͤnnt er? Es ſind ja
Keine moͤglich!) doch thut er ſo etwas: ſo hat ihm Herodes
Wunder geboten! Und thut er ſie nicht; ſo iſt er doch immer
Jener
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <lg type="poem">
            <lg n="28">
              <l>
                <pb facs="#f0072" n="48"/>
                <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Der Me&#x017F;&#x017F;ias.</hi> </fw>
              </l><lb/>
              <l>Ach nun reißt &#x017F;ie von neuem mir auf die Wund in der Seele!</l><lb/>
              <l>Deine Ge&#x017F;pra&#x0364;che von Gott bedekten &#x017F;ie lei&#x017F;e. Run reißt &#x017F;ie</l><lb/>
              <l>Wieder auf, und blutet, die tiefe Wunde! &#x2026; Dich &#x017F;egne</l><lb/>
              <l>Gott, ja Abrahams Gott, er &#x017F;egne dich! Aber, o wende</l><lb/>
              <l>Dieß dein weinendes Auge von mir! Es tro&#x0364;&#x017F;tet um&#x017F;on&#x017F;t mich!</l><lb/>
              <l>Denn er be&#x017F;chloß, zu &#x017F;terben! und &#x2026; &#x017F;tirbt! &#x2026; Hier verließ &#x017F;ie die Stimme,</l><lb/>
              <l>Lange &#x017F;tanden &#x017F;ie beyde mit weggewendetem Antliz.</l><lb/>
              <l>Endlich, wie ein Sterbender &#x017F;ich noch einmal zum Freunde</l><lb/>
              <l>Kehrt, &#x017F;prach Portia noch: O du! du Theur&#x017F;te der Mu&#x0364;tter!</l><lb/>
              <l>Mutter! ich geh, und weine mit dir, &#x2026; bey dem Grabe des Todten!</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="29">
              <l>So be&#x017F;prachen &#x017F;ie &#x017F;ich. Die Hohenprie&#x017F;ter begleiten</l><lb/>
              <l>Zu Herodes den go&#x0364;ttlichen Sohn, mit ihnen die Menge.</l><lb/>
              <l>Und &#x017F;chon lief ein Ge&#x017F;chrey durch des Fu&#x0364;r&#x017F;ten Pala&#x017F;t: Den Je&#x017F;us</l><lb/>
              <l>Aus Galia&#x0364;a, den Wundertha&#x0364;ter &#x017F;ende Pilatus</l><lb/>
              <l>Zu Herodes! Der Fu&#x0364;r&#x017F;t ver&#x017F;ammelt der Ho&#x0364;flinge Haufen</l><lb/>
              <l>Eilend um &#x017F;ich, und &#x017F;itzt. Drauf &#x017F;agt er zu ihnen: Es &#x017F;oll mir</l><lb/>
              <l>Die&#x017F;er Tag es ent&#x017F;cheiden! Jhr habt es alle vernommen,</l><lb/>
              <l>Was der erho&#x0364;hende Ruf nicht ver&#x017F;chwieg: Die Kranken mit Worten</l><lb/>
              <l>Heilen? Mit Worten die Todten erwecken? Und dennoch gefangen?</l><lb/>
              <l>Seht, ich &#x017F;taune, wie ihr! So &#x017F;agt&#x2019; er, und &#x017F;agte nicht alles,</l><lb/>
              <l>Was er dachte. Sein Herz war ihm viel &#x017F;tolzer ge&#x017F;chwollen.</l><lb/>
              <l>Ja, der gro&#x0364;ßte Prophet von un&#x017F;ern Propheten, er neigt &#x017F;ich,</l><lb/>
              <l>Als Verklagter, vor mir! Jch bin &#x017F;ein Richter! gebiet ihm,</l><lb/>
              <l>Wunder zu thun! Wofern er &#x017F;ie thut; (wie ko&#x0364;nnt er? Es &#x017F;ind ja</l><lb/>
              <l>Keine mo&#x0364;glich!) doch thut er &#x017F;o etwas: &#x017F;o hat ihm Herodes</l><lb/>
              <l>Wunder geboten! Und thut er &#x017F;ie nicht; &#x017F;o i&#x017F;t er doch immer<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Jener</fw><lb/></l>
            </lg>
          </lg>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[48/0072] Der Meſſias. Ach nun reißt ſie von neuem mir auf die Wund in der Seele! Deine Geſpraͤche von Gott bedekten ſie leiſe. Run reißt ſie Wieder auf, und blutet, die tiefe Wunde! … Dich ſegne Gott, ja Abrahams Gott, er ſegne dich! Aber, o wende Dieß dein weinendes Auge von mir! Es troͤſtet umſonſt mich! Denn er beſchloß, zu ſterben! und … ſtirbt! … Hier verließ ſie die Stimme, Lange ſtanden ſie beyde mit weggewendetem Antliz. Endlich, wie ein Sterbender ſich noch einmal zum Freunde Kehrt, ſprach Portia noch: O du! du Theurſte der Muͤtter! Mutter! ich geh, und weine mit dir, … bey dem Grabe des Todten! So beſprachen ſie ſich. Die Hohenprieſter begleiten Zu Herodes den goͤttlichen Sohn, mit ihnen die Menge. Und ſchon lief ein Geſchrey durch des Fuͤrſten Palaſt: Den Jeſus Aus Galiaͤa, den Wunderthaͤter ſende Pilatus Zu Herodes! Der Fuͤrſt verſammelt der Hoͤflinge Haufen Eilend um ſich, und ſitzt. Drauf ſagt er zu ihnen: Es ſoll mir Dieſer Tag es entſcheiden! Jhr habt es alle vernommen, Was der erhoͤhende Ruf nicht verſchwieg: Die Kranken mit Worten Heilen? Mit Worten die Todten erwecken? Und dennoch gefangen? Seht, ich ſtaune, wie ihr! So ſagt’ er, und ſagte nicht alles, Was er dachte. Sein Herz war ihm viel ſtolzer geſchwollen. Ja, der groͤßte Prophet von unſern Propheten, er neigt ſich, Als Verklagter, vor mir! Jch bin ſein Richter! gebiet ihm, Wunder zu thun! Wofern er ſie thut; (wie koͤnnt er? Es ſind ja Keine moͤglich!) doch thut er ſo etwas: ſo hat ihm Herodes Wunder geboten! Und thut er ſie nicht; ſo iſt er doch immer Jener

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_messias02_1756
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_messias02_1756/72
Zitationshilfe: [Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Der Messias. Bd. 2. Halle, 1756, S. 48. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_messias02_1756/72>, abgerufen am 26.11.2024.