[Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Der Messias. Bd. 3. Halle, 1769.Zwölfter Gesang. Himmlischer Freund, der Schmerz, der die Seele der Mutter zerreisset, Hat zu sehr mich umwölkt. Verzeih es, Salem, es war ja Christus Mutter, und unter dem Kreuze sah ich sie leiden! Breitete nur wohlthätiger Schlummer sich über ihr Haupt aus; O so wollt' ich mit heiteren Träumen die Seel' ihr umschweben, Und den bang aufschreckenden Anfall neuer Leiden, Ach den Jammer der Schuellerwachten, durch die Erinnrung Dieser Träume, besänftigen. Aber Ruhe vom Elend Kommt auf sie nicht! Ach der Erquickung, dem himmlischen Labsal Gottes wird sie, sie denket dem Tod', entgegen wachen! Als sie so mit einander sich unterredeten, goß sich Kurzer Schlaf auf den Thränenblick Johannes, und Salem Schwebte mit Eil' herzu; und schon entflammet des Jüngers Lautes Herz ein Traum mit neuem Lebensgefühle. Libanon wars, auf Libanon, unter rauschenden Cedern, Ging er, als flög' er Flüge daher. Der Morgen mit Purpur, Keinen sah er erwachen wie den, und mit Golde bekleidet, Schimmerte durch die Wipfel des thauenden Haines. Die Bäche Tönten ins Thal, wie Tempelgesang. Bald tönten ihm lauter, Viel entzückender noch, beseelte Harfen, und Stimmen Unter den Harfen, die sangen: O Sohn der himmlischen Mutter! Trockn', o Sohn der himmlischen Mutter, die Thräne der Wehmuth. Aber ihm deucht es, als ob er dennoch die Thräne nicht trockne. Dieses Gefühl vermochte noch nicht des mächtigen Seraphs Traum zu tilgen. So floß auch im Schlafe der bittere Quell noch. Und der röthliche leuchtende Morgen bewölkte den Schimmer, Und in unabhörbarer Fern' erstarb der Harfe Ton, III Band. G
Zwoͤlfter Geſang. Himmliſcher Freund, der Schmerz, der die Seele der Mutter zerreiſſet, Hat zu ſehr mich umwoͤlkt. Verzeih es, Salem, es war ja Chriſtus Mutter, und unter dem Kreuze ſah ich ſie leiden! Breitete nur wohlthaͤtiger Schlummer ſich uͤber ihr Haupt aus; O ſo wollt’ ich mit heiteren Traͤumen die Seel’ ihr umſchweben, Und den bang aufſchreckenden Anfall neuer Leiden, Ach den Jammer der Schuellerwachten, durch die Erinnrung Dieſer Traͤume, beſaͤnftigen. Aber Ruhe vom Elend Kommt auf ſie nicht! Ach der Erquickung, dem himmliſchen Labſal Gottes wird ſie, ſie denket dem Tod’, entgegen wachen! Als ſie ſo mit einander ſich unterredeten, goß ſich Kurzer Schlaf auf den Thraͤnenblick Johannes, und Salem Schwebte mit Eil’ herzu; und ſchon entflammet des Juͤngers Lautes Herz ein Traum mit neuem Lebensgefuͤhle. Libanon wars, auf Libanon, unter rauſchenden Cedern, Ging er, als floͤg’ er Fluͤge daher. Der Morgen mit Purpur, Keinen ſah er erwachen wie den, und mit Golde bekleidet, Schimmerte durch die Wipfel des thauenden Haines. Die Baͤche Toͤnten ins Thal, wie Tempelgeſang. Bald toͤnten ihm lauter, Viel entzuͤckender noch, beſeelte Harfen, und Stimmen Unter den Harfen, die ſangen: O Sohn der himmliſchen Mutter! Trockn’, o Sohn der himmliſchen Mutter, die Thraͤne der Wehmuth. Aber ihm deucht es, als ob er dennoch die Thraͤne nicht trockne. Dieſes Gefuͤhl vermochte noch nicht des maͤchtigen Seraphs Traum zu tilgen. So floß auch im Schlafe der bittere Quell noch. Und der roͤthliche leuchtende Morgen bewoͤlkte den Schimmer, Und in unabhoͤrbarer Fern’ erſtarb der Harfe Ton, III Band. G
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Zwoͤlfter Geſang.
Himmliſcher Freund, der Schmerz, der die Seele der Mutter zerreiſſet,
Hat zu ſehr mich umwoͤlkt. Verzeih es, Salem, es war ja
Chriſtus Mutter, und unter dem Kreuze ſah ich ſie leiden!
Breitete nur wohlthaͤtiger Schlummer ſich uͤber ihr Haupt aus;
O ſo wollt’ ich mit heiteren Traͤumen die Seel’ ihr umſchweben,
Und den bang aufſchreckenden Anfall neuer Leiden,
Ach den Jammer der Schuellerwachten, durch die Erinnrung
Dieſer Traͤume, beſaͤnftigen. Aber Ruhe vom Elend
Kommt auf ſie nicht! Ach der Erquickung, dem himmliſchen Labſal
Gottes wird ſie, ſie denket dem Tod’, entgegen wachen!
Als ſie ſo mit einander ſich unterredeten, goß ſich
Kurzer Schlaf auf den Thraͤnenblick Johannes, und Salem
Schwebte mit Eil’ herzu; und ſchon entflammet des Juͤngers
Lautes Herz ein Traum mit neuem Lebensgefuͤhle.
Libanon wars, auf Libanon, unter rauſchenden Cedern,
Ging er, als floͤg’ er Fluͤge daher. Der Morgen mit Purpur,
Keinen ſah er erwachen wie den, und mit Golde bekleidet,
Schimmerte durch die Wipfel des thauenden Haines. Die Baͤche
Toͤnten ins Thal, wie Tempelgeſang. Bald toͤnten ihm lauter,
Viel entzuͤckender noch, beſeelte Harfen, und Stimmen
Unter den Harfen, die ſangen: O Sohn der himmliſchen Mutter!
Trockn’, o Sohn der himmliſchen Mutter, die Thraͤne der Wehmuth.
Aber ihm deucht es, als ob er dennoch die Thraͤne nicht trockne.
Dieſes Gefuͤhl vermochte noch nicht des maͤchtigen Seraphs
Traum zu tilgen. So floß auch im Schlafe der bittere Quell noch.
Und der roͤthliche leuchtende Morgen bewoͤlkte den Schimmer,
Und in unabhoͤrbarer Fern’ erſtarb der Harfe
Ton,
III Band. G
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