Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Der Messias. Bd. 3. Halle, 1769.

Bild:
<< vorherige Seite

Der Messias.
Sich in diesem Leben, und fehlen sich dennoch. Jn Salem
Sehn sie sich erst, verwundernd, daß sie sich hier nicht fanden.
Kephas sprach zur Gefährtinn, indem sie dem Führer mit Mühe
Und von ferne nur folgte: Genommen wäre der Leichnam?
Von den Priestern? Allein die haben, sagt man, den Grabstein
Ja versiegelt! So haben ihn denn Elende genommen,
Jhn des Todtengewands zu berauben. Er sprachs, und Johannes
War dem Grabe schon nah. Gelegt erblickt' er die Leinen,
Aber er ging, voll unentschlossenen Kummers und Ehrfurcht,
Nicht hinein. Nun kam auch athemlos Petrus, und eilte
So wie er kam, in das Grab. Er sahe das Tuch, das des Todten
Haupt umwand, besonders gelegt, und nicht bey den Leinen,
Fand es zusammengewickelt. Jhm folgte Johannes ins Grabmaal,
Sahs, und überzeugte sich ganz von Magdale's Botschaft.
Aber davon, daß, nach der Propheten Gesichte, der Mittler
Aufstehn müsse, wußten sie nichts. Sie liessen das Grabmaal,
Und Maria. Wofern, sprach Petrus im Gehn zu Johannes,
Sich die Priester anders entschlossen, und ihrer Versieglung
Nicht gnung trauten, gewiß ihn zu haben; so nahmen die Wüter
Jhm das Todtengewand, um seine Wunden noch Einmal,
Heiß vom Durste der Rache, zu sehn. Sie gingen verstummt fort.

Magdale stand vor dem Grab, und blickt', und wischte die Thränen
Schnell mit Heftigkeit weg, um zu sehen, sie blickt', und starrte
Aengstlich hinunter ins Grab. Zwar waren Engel im Grabe,
Und die erschienen ihr; doch kaum sah sie die Engel. Denn Jesus
Sahe sie nicht! nicht Jesus! So sucht, mit lechzender Zunge,
Nur

Der Meſſias.
Sich in dieſem Leben, und fehlen ſich dennoch. Jn Salem
Sehn ſie ſich erſt, verwundernd, daß ſie ſich hier nicht fanden.
Kephas ſprach zur Gefaͤhrtinn, indem ſie dem Fuͤhrer mit Muͤhe
Und von ferne nur folgte: Genommen waͤre der Leichnam?
Von den Prieſtern? Allein die haben, ſagt man, den Grabſtein
Ja verſiegelt! So haben ihn denn Elende genommen,
Jhn des Todtengewands zu berauben. Er ſprachs, und Johannes
War dem Grabe ſchon nah. Gelegt erblickt’ er die Leinen,
Aber er ging, voll unentſchloſſenen Kummers und Ehrfurcht,
Nicht hinein. Nun kam auch athemlos Petrus, und eilte
So wie er kam, in das Grab. Er ſahe das Tuch, das des Todten
Haupt umwand, beſonders gelegt, und nicht bey den Leinen,
Fand es zuſammengewickelt. Jhm folgte Johannes ins Grabmaal,
Sahs, und uͤberzeugte ſich ganz von Magdale’s Botſchaft.
Aber davon, daß, nach der Propheten Geſichte, der Mittler
Aufſtehn muͤſſe, wußten ſie nichts. Sie lieſſen das Grabmaal,
Und Maria. Wofern, ſprach Petrus im Gehn zu Johannes,
Sich die Prieſter anders entſchloſſen, und ihrer Verſieglung
Nicht gnung trauten, gewiß ihn zu haben; ſo nahmen die Wuͤter
Jhm das Todtengewand, um ſeine Wunden noch Einmal,
Heiß vom Durſte der Rache, zu ſehn. Sie gingen verſtummt fort.

Magdale ſtand vor dem Grab, und blickt’, und wiſchte die Thraͤnen
Schnell mit Heftigkeit weg, um zu ſehen, ſie blickt’, und ſtarrte
Aengſtlich hinunter ins Grab. Zwar waren Engel im Grabe,
Und die erſchienen ihr; doch kaum ſah ſie die Engel. Denn Jeſus
Sahe ſie nicht! nicht Jeſus! So ſucht, mit lechzender Zunge,
Nur
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <lg type="poem">
          <lg n="5">
            <pb facs="#f0160" n="144"/>
            <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Der Me&#x017F;&#x017F;ias.</hi> </fw><lb/>
            <l>Sich in die&#x017F;em Leben, und fehlen &#x017F;ich dennoch. Jn Salem</l><lb/>
            <l>Sehn &#x017F;ie &#x017F;ich er&#x017F;t, verwundernd, daß &#x017F;ie &#x017F;ich hier nicht fanden.</l><lb/>
            <l>Kephas &#x017F;prach zur Gefa&#x0364;hrtinn, indem &#x017F;ie dem Fu&#x0364;hrer mit Mu&#x0364;he</l><lb/>
            <l>Und von ferne nur folgte: Genommen wa&#x0364;re der Leichnam?</l><lb/>
            <l>Von den Prie&#x017F;tern? Allein die haben, &#x017F;agt man, den Grab&#x017F;tein</l><lb/>
            <l>Ja ver&#x017F;iegelt! So haben ihn denn Elende genommen,</l><lb/>
            <l>Jhn des Todtengewands zu berauben. Er &#x017F;prachs, und Johannes</l><lb/>
            <l>War dem Grabe &#x017F;chon nah. Gelegt erblickt&#x2019; er die Leinen,</l><lb/>
            <l>Aber er ging, voll unent&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;enen Kummers und Ehrfurcht,</l><lb/>
            <l>Nicht hinein. Nun kam auch athemlos Petrus, und eilte</l><lb/>
            <l>So wie er kam, in das Grab. Er &#x017F;ahe das Tuch, das des Todten</l><lb/>
            <l>Haupt umwand, be&#x017F;onders gelegt, und nicht bey den Leinen,</l><lb/>
            <l>Fand es zu&#x017F;ammengewickelt. Jhm folgte Johannes ins Grabmaal,</l><lb/>
            <l>Sahs, und u&#x0364;berzeugte &#x017F;ich ganz von Magdale&#x2019;s Bot&#x017F;chaft.</l><lb/>
            <l>Aber davon, daß, nach der Propheten Ge&#x017F;ichte, der Mittler</l><lb/>
            <l>Auf&#x017F;tehn mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e, wußten &#x017F;ie nichts. Sie lie&#x017F;&#x017F;en das Grabmaal,</l><lb/>
            <l>Und Maria. Wofern, &#x017F;prach Petrus im Gehn zu Johannes,</l><lb/>
            <l>Sich die Prie&#x017F;ter anders ent&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en, und ihrer Ver&#x017F;ieglung</l><lb/>
            <l>Nicht gnung trauten, gewiß ihn zu haben; &#x017F;o nahmen die Wu&#x0364;ter</l><lb/>
            <l>Jhm das Todtengewand, um &#x017F;eine Wunden noch Einmal,</l><lb/>
            <l>Heiß vom Dur&#x017F;te der Rache, zu &#x017F;ehn. Sie gingen ver&#x017F;tummt fort.</l>
          </lg><lb/>
          <lg n="6">
            <l>Magdale &#x017F;tand vor dem Grab, und blickt&#x2019;, und wi&#x017F;chte die Thra&#x0364;nen</l><lb/>
            <l>Schnell mit Heftigkeit weg, um zu &#x017F;ehen, &#x017F;ie blickt&#x2019;, und &#x017F;tarrte</l><lb/>
            <l>Aeng&#x017F;tlich hinunter ins Grab. Zwar waren Engel im Grabe,</l><lb/>
            <l>Und die er&#x017F;chienen ihr; doch kaum &#x017F;ah &#x017F;ie die Engel. Denn Je&#x017F;us</l><lb/>
            <l>Sahe &#x017F;ie nicht! nicht Je&#x017F;us! So &#x017F;ucht, mit lechzender Zunge,</l><lb/>
            <fw place="bottom" type="catch">Nur</fw><lb/>
          </lg>
        </lg>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[144/0160] Der Meſſias. Sich in dieſem Leben, und fehlen ſich dennoch. Jn Salem Sehn ſie ſich erſt, verwundernd, daß ſie ſich hier nicht fanden. Kephas ſprach zur Gefaͤhrtinn, indem ſie dem Fuͤhrer mit Muͤhe Und von ferne nur folgte: Genommen waͤre der Leichnam? Von den Prieſtern? Allein die haben, ſagt man, den Grabſtein Ja verſiegelt! So haben ihn denn Elende genommen, Jhn des Todtengewands zu berauben. Er ſprachs, und Johannes War dem Grabe ſchon nah. Gelegt erblickt’ er die Leinen, Aber er ging, voll unentſchloſſenen Kummers und Ehrfurcht, Nicht hinein. Nun kam auch athemlos Petrus, und eilte So wie er kam, in das Grab. Er ſahe das Tuch, das des Todten Haupt umwand, beſonders gelegt, und nicht bey den Leinen, Fand es zuſammengewickelt. Jhm folgte Johannes ins Grabmaal, Sahs, und uͤberzeugte ſich ganz von Magdale’s Botſchaft. Aber davon, daß, nach der Propheten Geſichte, der Mittler Aufſtehn muͤſſe, wußten ſie nichts. Sie lieſſen das Grabmaal, Und Maria. Wofern, ſprach Petrus im Gehn zu Johannes, Sich die Prieſter anders entſchloſſen, und ihrer Verſieglung Nicht gnung trauten, gewiß ihn zu haben; ſo nahmen die Wuͤter Jhm das Todtengewand, um ſeine Wunden noch Einmal, Heiß vom Durſte der Rache, zu ſehn. Sie gingen verſtummt fort. Magdale ſtand vor dem Grab, und blickt’, und wiſchte die Thraͤnen Schnell mit Heftigkeit weg, um zu ſehen, ſie blickt’, und ſtarrte Aengſtlich hinunter ins Grab. Zwar waren Engel im Grabe, Und die erſchienen ihr; doch kaum ſah ſie die Engel. Denn Jeſus Sahe ſie nicht! nicht Jeſus! So ſucht, mit lechzender Zunge, Nur

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_messias03_1769
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_messias03_1769/160
Zitationshilfe: [Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Der Messias. Bd. 3. Halle, 1769, S. 144. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_messias03_1769/160>, abgerufen am 24.11.2024.