[Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Der Messias. Bd. 3. Halle, 1769.Vierzehnter Gesang. Nur die Quelle das schreyende Reh; die Sonne, die aufgeht,Sieht es nicht, es fühlt nicht die wehenden Schatten des Waldes. Weib, was weinest du? sprachen zu ihr die Boten der Wonne. Ach, sie haben, den meine Seele liebet, genommen, Und ich weis nicht, wohin sie ihn legten? So sprach sie, und wandte Sich von dem Grabe. Da sieht sie Jesus stehen, und weis nicht. Daß es Jesus ist. Was weinest du, Weib? wen suchst du? Doch dieß sprach er noch nicht mit der Stimme des ewigen Lebens! Und sie erwiedert dem Gärtner, sie meinte, sie sähe den Gärtner; Hast du ihn weggenommen; wohin hast du ihn getragen? Ach in welche Finsterniß, daß ich eil', und ihn suche. Nahe, wie sie, der unaussprechlichsten Seligkeit, weint so Selbst ein Geliebter des Herrn, wenn seiner Sterblichkeit letztes, Aber stärkstes Gefühl die ganze Seel' ihm erschüttert. Ach er liegt, und ringt mit dem Tod', und dürstet nach Hülfe! Weint zu Christus, und kennt, so schreckt ihn der Prüfungen letzte! Kennt den Liebenden kaum; sieht nur den Richter der Welten! Doch zwo Thränen nur nach; und welche Wonn ist die seine! Selber von dem, mit dem sie von Jesus redete, wendet, Jn der Traurigkeit ihrer Seele, Maria ihr Antlitz, Aber wie Harfen am Throne, wie Jubel der Ueberwinder, Singen sie, ganz in Liebe zerflossen, das Lamm, das erwürgt ward, Nicht wie Harfen der Ueberwinder, und Jubel am Throne, Jnniger, herzlicher, liebevoller, erscholl des Erstandnen, Jesus Stimme der Weinenden, Jesus Stimme: Maria! ... Und sie hört', und erkannte die Stimme des Herrn, und indem sie Kaum sich ihrer bewußt, in der Angst der Freude hinsank, Bebend, III Band. K
Vierzehnter Geſang. Nur die Quelle das ſchreyende Reh; die Sonne, die aufgeht,Sieht es nicht, es fuͤhlt nicht die wehenden Schatten des Waldes. Weib, was weineſt du? ſprachen zu ihr die Boten der Wonne. Ach, ſie haben, den meine Seele liebet, genommen, Und ich weis nicht, wohin ſie ihn legten? So ſprach ſie, und wandte Sich von dem Grabe. Da ſieht ſie Jeſus ſtehen, und weis nicht. Daß es Jeſus iſt. Was weineſt du, Weib? wen ſuchſt du? Doch dieß ſprach er noch nicht mit der Stimme des ewigen Lebens! Und ſie erwiedert dem Gaͤrtner, ſie meinte, ſie ſaͤhe den Gaͤrtner; Haſt du ihn weggenommen; wohin haſt du ihn getragen? Ach in welche Finſterniß, daß ich eil’, und ihn ſuche. Nahe, wie ſie, der unausſprechlichſten Seligkeit, weint ſo Selbſt ein Geliebter des Herrn, wenn ſeiner Sterblichkeit letztes, Aber ſtaͤrkſtes Gefuͤhl die ganze Seel’ ihm erſchuͤttert. Ach er liegt, und ringt mit dem Tod’, und duͤrſtet nach Huͤlfe! Weint zu Chriſtus, und kennt, ſo ſchreckt ihn der Pruͤfungen letzte! Kennt den Liebenden kaum; ſieht nur den Richter der Welten! Doch zwo Thraͤnen nur nach; und welche Wonn iſt die ſeine! Selber von dem, mit dem ſie von Jeſus redete, wendet, Jn der Traurigkeit ihrer Seele, Maria ihr Antlitz, Aber wie Harfen am Throne, wie Jubel der Ueberwinder, Singen ſie, ganz in Liebe zerfloſſen, das Lamm, das erwuͤrgt ward, Nicht wie Harfen der Ueberwinder, und Jubel am Throne, Jnniger, herzlicher, liebevoller, erſcholl des Erſtandnen, Jeſus Stimme der Weinenden, Jeſus Stimme: Maria! … Und ſie hoͤrt’, und erkannte die Stimme des Herrn, und indem ſie Kaum ſich ihrer bewußt, in der Angſt der Freude hinſank, Bebend, III Band. K
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <lg type="poem"> <lg n="6"> <pb facs="#f0161" n="145"/> <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Vierzehnter Geſang.</hi> </fw><lb/> <l>Nur die Quelle das ſchreyende Reh; die Sonne, die aufgeht,</l><lb/> <l>Sieht es nicht, es fuͤhlt nicht die wehenden Schatten des Waldes.</l> </lg><lb/> <lg n="7"> <l>Weib, was weineſt du? ſprachen zu ihr die Boten der Wonne.</l><lb/> <l>Ach, ſie haben, den meine Seele liebet, genommen,</l><lb/> <l>Und ich weis nicht, wohin ſie ihn legten? So ſprach ſie, und wandte</l><lb/> <l>Sich von dem Grabe. Da ſieht ſie Jeſus ſtehen, und weis nicht.</l><lb/> <l>Daß es Jeſus iſt. Was weineſt du, Weib? wen ſuchſt du?</l><lb/> <l>Doch dieß ſprach er noch nicht mit der Stimme des ewigen Lebens!</l><lb/> <l>Und ſie erwiedert dem Gaͤrtner, ſie meinte, ſie ſaͤhe den Gaͤrtner;</l> </lg><lb/> <lg n="8"> <l>Haſt du ihn weggenommen; wohin haſt du ihn getragen?</l><lb/> <l>Ach in welche Finſterniß, daß ich eil’, und ihn ſuche.</l> </lg><lb/> <lg n="9"> <l>Nahe, wie ſie, der unausſprechlichſten Seligkeit, weint ſo</l><lb/> <l>Selbſt ein Geliebter des Herrn, wenn ſeiner Sterblichkeit letztes,</l><lb/> <l>Aber ſtaͤrkſtes Gefuͤhl die ganze Seel’ ihm erſchuͤttert.</l><lb/> <l>Ach er liegt, und ringt mit dem Tod’, und duͤrſtet nach Huͤlfe!</l><lb/> <l>Weint zu Chriſtus, und kennt, ſo ſchreckt ihn der Pruͤfungen letzte!</l><lb/> <l>Kennt den Liebenden kaum; ſieht nur den Richter der Welten!</l><lb/> <l>Doch zwo Thraͤnen nur nach; und welche Wonn iſt die ſeine!</l><lb/> <l>Selber von dem, mit dem ſie von Jeſus redete, wendet,</l><lb/> <l>Jn der Traurigkeit ihrer Seele, Maria ihr Antlitz,</l><lb/> <l>Aber wie Harfen am Throne, wie Jubel der Ueberwinder,</l><lb/> <l>Singen ſie, ganz in Liebe zerfloſſen, das Lamm, das erwuͤrgt ward,</l><lb/> <l>Nicht wie Harfen der Ueberwinder, und Jubel am Throne,</l><lb/> <l>Jnniger, herzlicher, liebevoller, erſcholl des Erſtandnen,</l><lb/> <l>Jeſus Stimme der Weinenden, Jeſus Stimme: Maria! …</l> </lg><lb/> <lg n="10"> <l>Und ſie hoͤrt’, und erkannte die Stimme des Herrn, und indem ſie</l><lb/> <l>Kaum ſich ihrer bewußt, in der Angſt der Freude hinſank,</l><lb/> <fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#aq">III</hi><hi rendition="#fr">Band.</hi> K</fw> <fw place="bottom" type="catch">Bebend,</fw><lb/> </lg> </lg> </div> </body> </text> </TEI> [145/0161]
Vierzehnter Geſang.
Nur die Quelle das ſchreyende Reh; die Sonne, die aufgeht,
Sieht es nicht, es fuͤhlt nicht die wehenden Schatten des Waldes.
Weib, was weineſt du? ſprachen zu ihr die Boten der Wonne.
Ach, ſie haben, den meine Seele liebet, genommen,
Und ich weis nicht, wohin ſie ihn legten? So ſprach ſie, und wandte
Sich von dem Grabe. Da ſieht ſie Jeſus ſtehen, und weis nicht.
Daß es Jeſus iſt. Was weineſt du, Weib? wen ſuchſt du?
Doch dieß ſprach er noch nicht mit der Stimme des ewigen Lebens!
Und ſie erwiedert dem Gaͤrtner, ſie meinte, ſie ſaͤhe den Gaͤrtner;
Haſt du ihn weggenommen; wohin haſt du ihn getragen?
Ach in welche Finſterniß, daß ich eil’, und ihn ſuche.
Nahe, wie ſie, der unausſprechlichſten Seligkeit, weint ſo
Selbſt ein Geliebter des Herrn, wenn ſeiner Sterblichkeit letztes,
Aber ſtaͤrkſtes Gefuͤhl die ganze Seel’ ihm erſchuͤttert.
Ach er liegt, und ringt mit dem Tod’, und duͤrſtet nach Huͤlfe!
Weint zu Chriſtus, und kennt, ſo ſchreckt ihn der Pruͤfungen letzte!
Kennt den Liebenden kaum; ſieht nur den Richter der Welten!
Doch zwo Thraͤnen nur nach; und welche Wonn iſt die ſeine!
Selber von dem, mit dem ſie von Jeſus redete, wendet,
Jn der Traurigkeit ihrer Seele, Maria ihr Antlitz,
Aber wie Harfen am Throne, wie Jubel der Ueberwinder,
Singen ſie, ganz in Liebe zerfloſſen, das Lamm, das erwuͤrgt ward,
Nicht wie Harfen der Ueberwinder, und Jubel am Throne,
Jnniger, herzlicher, liebevoller, erſcholl des Erſtandnen,
Jeſus Stimme der Weinenden, Jeſus Stimme: Maria! …
Und ſie hoͤrt’, und erkannte die Stimme des Herrn, und indem ſie
Kaum ſich ihrer bewußt, in der Angſt der Freude hinſank,
Bebend,
III Band. K
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |