[Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Der Messias. Bd. 3. Halle, 1769.Vierzehnter Gesang. Hätte vergebens den Heiden erfleht? Wir hätten vergebens,Unter die Thränen unsers Jammers einige Zähren Trüber Freude gemischt? Denn ach, wie kann ich es glauben: Auferstanden sey er? erschienen so gar? das glauben? Bängster unter den Schmerzen, du hast die blutenden Seelen Ueberströmt, sie dahin in deinen Fluthen gerissen, Und sie haben, getäuscht von der Angst, ihn erstanden gesehen! Auferstanden! erschienen! und ich wär dieser Wonne Nicht erlegen? noch nicht, ach, unter dieser Entzückung, Diesem Gefühle des ewigen Lebens, noch nicht versunken? Kreuz des Todten! (er hub sein trübes Auge zum Kreuz auf,) Kreuz des Todten! du zeugest zu laut, und Himmel und Erde Haben dein furchtbares Zeugniß gehört! Gestorben, gestorben, Ja, gestorben ist er! Da gieng ein Schwert durch die Seele Seiner Mutter! ein tödtender Schwert durch seine Seele! Wiedersehen? ach das werd ich einst wahrhaftig, ich werd ihn Wiedersehen! allein am Throne des Ewigen! hier nicht. Warum zitterst du, meine Seele, vor dieser Ruhe, Deiner einzigen Ruhe zurück? Ja, zittre vor ihr nur, Meine Seele, zurück! Zwar bist du erhört, und dein Richter Hat die Reue, mit der du büßtest, erbarmend gesehen; Aber du darfst dich nicht freun! Noch steht der furchtbare Zeuge Seines Todes, das Kreuz! Noch liegen die Berge, die Felsen, Und die Gräber, wie sie der Allmacht Rechte zermalmte! Nein, du darfst dich nicht freun! So dacht', und stammelt', und rief er, Starrte wieder ins offene Grab. Nicht ferne vom Grabe Sah er Magdale, die gen Himmel weinend kniete, Und K 5
Vierzehnter Geſang. Haͤtte vergebens den Heiden erfleht? Wir haͤtten vergebens,Unter die Thraͤnen unſers Jammers einige Zaͤhren Truͤber Freude gemiſcht? Denn ach, wie kann ich es glauben: Auferſtanden ſey er? erſchienen ſo gar? das glauben? Baͤngſter unter den Schmerzen, du haſt die blutenden Seelen Ueberſtroͤmt, ſie dahin in deinen Fluthen geriſſen, Und ſie haben, getaͤuſcht von der Angſt, ihn erſtanden geſehen! Auferſtanden! erſchienen! und ich waͤr dieſer Wonne Nicht erlegen? noch nicht, ach, unter dieſer Entzuͤckung, Dieſem Gefuͤhle des ewigen Lebens, noch nicht verſunken? Kreuz des Todten! (er hub ſein truͤbes Auge zum Kreuz auf,) Kreuz des Todten! du zeugeſt zu laut, und Himmel und Erde Haben dein furchtbares Zeugniß gehoͤrt! Geſtorben, geſtorben, Ja, geſtorben iſt er! Da gieng ein Schwert durch die Seele Seiner Mutter! ein toͤdtender Schwert durch ſeine Seele! Wiederſehen? ach das werd ich einſt wahrhaftig, ich werd ihn Wiederſehen! allein am Throne des Ewigen! hier nicht. Warum zitterſt du, meine Seele, vor dieſer Ruhe, Deiner einzigen Ruhe zuruͤck? Ja, zittre vor ihr nur, Meine Seele, zuruͤck! Zwar biſt du erhoͤrt, und dein Richter Hat die Reue, mit der du buͤßteſt, erbarmend geſehen; Aber du darfſt dich nicht freun! Noch ſteht der furchtbare Zeuge Seines Todes, das Kreuz! Noch liegen die Berge, die Felſen, Und die Graͤber, wie ſie der Allmacht Rechte zermalmte! Nein, du darfſt dich nicht freun! So dacht’, und ſtammelt’, und rief er, Starrte wieder ins offene Grab. Nicht ferne vom Grabe Sah er Magdale, die gen Himmel weinend kniete, Und K 5
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <lg type="poem"> <lg n="35"> <pb facs="#f0169" n="153"/> <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Vierzehnter Geſang.</hi> </fw><lb/> <l>Haͤtte vergebens den Heiden erfleht? Wir haͤtten vergebens,</l><lb/> <l>Unter die Thraͤnen unſers Jammers einige Zaͤhren</l><lb/> <l>Truͤber Freude gemiſcht? Denn ach, wie kann ich es glauben:</l><lb/> <l>Auferſtanden ſey er? erſchienen ſo gar? das glauben?</l><lb/> <l>Baͤngſter unter den Schmerzen, du haſt die blutenden Seelen</l><lb/> <l>Ueberſtroͤmt, ſie dahin in deinen Fluthen geriſſen,</l><lb/> <l>Und ſie haben, getaͤuſcht von der Angſt, ihn erſtanden geſehen!</l><lb/> <l>Auferſtanden! erſchienen! und ich waͤr dieſer Wonne</l><lb/> <l>Nicht erlegen? noch nicht, ach, unter dieſer Entzuͤckung,</l><lb/> <l>Dieſem Gefuͤhle des ewigen Lebens, noch nicht verſunken?</l><lb/> <l>Kreuz des Todten! (er hub ſein truͤbes Auge zum Kreuz auf,)</l><lb/> <l>Kreuz des Todten! du zeugeſt zu laut, und Himmel und Erde</l><lb/> <l>Haben dein furchtbares Zeugniß gehoͤrt! Geſtorben, geſtorben,</l><lb/> <l>Ja, geſtorben iſt er! Da gieng ein Schwert durch die Seele</l><lb/> <l>Seiner Mutter! ein toͤdtender Schwert durch ſeine Seele!</l><lb/> <l>Wiederſehen? ach das werd ich einſt wahrhaftig, ich werd ihn</l><lb/> <l>Wiederſehen! allein am Throne des Ewigen! hier nicht.</l><lb/> <l>Warum zitterſt du, meine Seele, vor dieſer Ruhe,</l><lb/> <l>Deiner einzigen Ruhe zuruͤck? Ja, zittre vor ihr nur,</l><lb/> <l>Meine Seele, zuruͤck! Zwar biſt du erhoͤrt, und dein Richter</l><lb/> <l>Hat die Reue, mit der du buͤßteſt, erbarmend geſehen;</l><lb/> <l>Aber du darfſt dich nicht freun! Noch ſteht der furchtbare Zeuge</l><lb/> <l>Seines Todes, das Kreuz! Noch liegen die Berge, die Felſen,</l><lb/> <l>Und die Graͤber, wie ſie der Allmacht Rechte zermalmte!</l><lb/> <l>Nein, du darfſt dich nicht freun! So dacht’, und ſtammelt’, und rief er,</l><lb/> <l>Starrte wieder ins offene Grab. Nicht ferne vom Grabe</l><lb/> <l>Sah er Magdale, die gen Himmel weinend kniete,</l><lb/> <fw place="bottom" type="sig">K 5</fw> <fw place="bottom" type="catch">Und</fw><lb/> </lg> </lg> </div> </body> </text> </TEI> [153/0169]
Vierzehnter Geſang.
Haͤtte vergebens den Heiden erfleht? Wir haͤtten vergebens,
Unter die Thraͤnen unſers Jammers einige Zaͤhren
Truͤber Freude gemiſcht? Denn ach, wie kann ich es glauben:
Auferſtanden ſey er? erſchienen ſo gar? das glauben?
Baͤngſter unter den Schmerzen, du haſt die blutenden Seelen
Ueberſtroͤmt, ſie dahin in deinen Fluthen geriſſen,
Und ſie haben, getaͤuſcht von der Angſt, ihn erſtanden geſehen!
Auferſtanden! erſchienen! und ich waͤr dieſer Wonne
Nicht erlegen? noch nicht, ach, unter dieſer Entzuͤckung,
Dieſem Gefuͤhle des ewigen Lebens, noch nicht verſunken?
Kreuz des Todten! (er hub ſein truͤbes Auge zum Kreuz auf,)
Kreuz des Todten! du zeugeſt zu laut, und Himmel und Erde
Haben dein furchtbares Zeugniß gehoͤrt! Geſtorben, geſtorben,
Ja, geſtorben iſt er! Da gieng ein Schwert durch die Seele
Seiner Mutter! ein toͤdtender Schwert durch ſeine Seele!
Wiederſehen? ach das werd ich einſt wahrhaftig, ich werd ihn
Wiederſehen! allein am Throne des Ewigen! hier nicht.
Warum zitterſt du, meine Seele, vor dieſer Ruhe,
Deiner einzigen Ruhe zuruͤck? Ja, zittre vor ihr nur,
Meine Seele, zuruͤck! Zwar biſt du erhoͤrt, und dein Richter
Hat die Reue, mit der du buͤßteſt, erbarmend geſehen;
Aber du darfſt dich nicht freun! Noch ſteht der furchtbare Zeuge
Seines Todes, das Kreuz! Noch liegen die Berge, die Felſen,
Und die Graͤber, wie ſie der Allmacht Rechte zermalmte!
Nein, du darfſt dich nicht freun! So dacht’, und ſtammelt’, und rief er,
Starrte wieder ins offene Grab. Nicht ferne vom Grabe
Sah er Magdale, die gen Himmel weinend kniete,
Und
K 5
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |