[Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Der Messias. Bd. 3. Halle, 1769.Vierzehnter Gesang. Aber was anders, als da er mit uns in dem Leben am GrabeUnser Erbarmer lebte, war nun in des Göttlichen Antlitz! Euch nur erschiene der Herr? nicht mir? von mir will ich schweigen! Nicht der weinenden Mutter? nicht ihrem Sohne Johannes? Dem nicht, den er der heiligen Mutter am Kreuze zum Sohne, Der nicht, die er dem Sohne zur Mutter in seinem Blut gab? Also sprachen sie untereinander. Die Hörenden rissen Mächtige Zweifel itzt fort, dann wieder siegender Glaube. Beyde wechselten oft, und durchflammten die Seele. Wenn Petrus, Wenn die freudigen Zeuginnen redten, wenn Magdale redte; Gingen sie auf dem Meere! wenn Didymus redte, sanken Sie vor der kommenden Woge. Der zweifelnde Jünger verließ sie Und Jerusalem, ging zu den fernsten Gräbern des Oelbergs, Sich im Einsamen dort in seiner Traurigkeit Quaalen Tiefer zu stürzen. Er wollte das nicht; er wollte die müde, Tiefverwundete Seele durch Ruh der Einsamkeit lindern. Einen Becher der Freuden hat in der Rechten; der Linken Einen wütenden Dolch die Einsamkeit, reicht dem Beglückten Jhren Becher; dem Leidenden reicht sie den wütenden Dolch hin! Jn der nächtlichsten eines der fernen Todtengewölbe War jetzt Thomas gekommen; und seiner Traurigkeit Lasten Wurden schwerer auf ihm, die Gedanken schwärzer, des Herzens Quaalen trostbedürftiger. Seine Seel' arbeitet, Sich aus diesen Tiefen, die stets mehr sanken, zu heben; Und arbeitet umsonst. Hätt' er nicht zu Gott sich gewendet, Zu der einzigen Stütze des Müden; er wär erlegen! Zu dem einzigen Stabe, wenn wir in Finsterniß wandeln, Und,
Vierzehnter Geſang. Aber was anders, als da er mit uns in dem Leben am GrabeUnſer Erbarmer lebte, war nun in des Goͤttlichen Antlitz! Euch nur erſchiene der Herr? nicht mir? von mir will ich ſchweigen! Nicht der weinenden Mutter? nicht ihrem Sohne Johannes? Dem nicht, den er der heiligen Mutter am Kreuze zum Sohne, Der nicht, die er dem Sohne zur Mutter in ſeinem Blut gab? Alſo ſprachen ſie untereinander. Die Hoͤrenden riſſen Maͤchtige Zweifel itzt fort, dann wieder ſiegender Glaube. Beyde wechſelten oft, und durchflammten die Seele. Wenn Petrus, Wenn die freudigen Zeuginnen redten, wenn Magdale redte; Gingen ſie auf dem Meere! wenn Didymus redte, ſanken Sie vor der kommenden Woge. Der zweifelnde Juͤnger verließ ſie Und Jeruſalem, ging zu den fernſten Graͤbern des Oelbergs, Sich im Einſamen dort in ſeiner Traurigkeit Quaalen Tiefer zu ſtuͤrzen. Er wollte das nicht; er wollte die muͤde, Tiefverwundete Seele durch Ruh der Einſamkeit lindern. Einen Becher der Freuden hat in der Rechten; der Linken Einen wuͤtenden Dolch die Einſamkeit, reicht dem Begluͤckten Jhren Becher; dem Leidenden reicht ſie den wuͤtenden Dolch hin! Jn der naͤchtlichſten eines der fernen Todtengewoͤlbe War jetzt Thomas gekommen; und ſeiner Traurigkeit Laſten Wurden ſchwerer auf ihm, die Gedanken ſchwaͤrzer, des Herzens Quaalen troſtbeduͤrftiger. Seine Seel’ arbeitet, Sich aus dieſen Tiefen, die ſtets mehr ſanken, zu heben; Und arbeitet umſonſt. Haͤtt’ er nicht zu Gott ſich gewendet, Zu der einzigen Stuͤtze des Muͤden; er waͤr erlegen! Zu dem einzigen Stabe, wenn wir in Finſterniß wandeln, Und,
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Vierzehnter Geſang.
Aber was anders, als da er mit uns in dem Leben am Grabe
Unſer Erbarmer lebte, war nun in des Goͤttlichen Antlitz!
Euch nur erſchiene der Herr? nicht mir? von mir will ich ſchweigen!
Nicht der weinenden Mutter? nicht ihrem Sohne Johannes?
Dem nicht, den er der heiligen Mutter am Kreuze zum Sohne,
Der nicht, die er dem Sohne zur Mutter in ſeinem Blut gab?
Alſo ſprachen ſie untereinander. Die Hoͤrenden riſſen
Maͤchtige Zweifel itzt fort, dann wieder ſiegender Glaube.
Beyde wechſelten oft, und durchflammten die Seele. Wenn Petrus,
Wenn die freudigen Zeuginnen redten, wenn Magdale redte;
Gingen ſie auf dem Meere! wenn Didymus redte, ſanken
Sie vor der kommenden Woge. Der zweifelnde Juͤnger verließ ſie
Und Jeruſalem, ging zu den fernſten Graͤbern des Oelbergs,
Sich im Einſamen dort in ſeiner Traurigkeit Quaalen
Tiefer zu ſtuͤrzen. Er wollte das nicht; er wollte die muͤde,
Tiefverwundete Seele durch Ruh der Einſamkeit lindern.
Einen Becher der Freuden hat in der Rechten; der Linken
Einen wuͤtenden Dolch die Einſamkeit, reicht dem Begluͤckten
Jhren Becher; dem Leidenden reicht ſie den wuͤtenden Dolch hin!
Jn der naͤchtlichſten eines der fernen Todtengewoͤlbe
War jetzt Thomas gekommen; und ſeiner Traurigkeit Laſten
Wurden ſchwerer auf ihm, die Gedanken ſchwaͤrzer, des Herzens
Quaalen troſtbeduͤrftiger. Seine Seel’ arbeitet,
Sich aus dieſen Tiefen, die ſtets mehr ſanken, zu heben;
Und arbeitet umſonſt. Haͤtt’ er nicht zu Gott ſich gewendet,
Zu der einzigen Stuͤtze des Muͤden; er waͤr erlegen!
Zu dem einzigen Stabe, wenn wir in Finſterniß wandeln,
Und,
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