[Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Der Messias. Bd. 3. Halle, 1769.Der Messias. Und, an das weichende Rohr nur unserer Tröstung, uns lehnen.Thomas empfands. So wendet' er sich zu dem, der allein hilft: Gott! Verborgner! zu dir, wie sehr auch Dunkel die Tiefen Deines Rathes bedeckt, zu dir nur kann, in dem Zagen Jhrer Traurigkeit, meine verwundete Seele sich wenden! Nacht sind seine Pfade; der Weg, den ich wandl', ist noch mehr Nacht, Als die Pfade des Todes! Unauszuforschender Herrscher Dessen, was ist, und was seyn wird! ach schau herunter ins Elend, Schau auf mich, der ein Wurm in Mitternächten sich windet. Hätt ich dich nicht, und starrte mein hülfeverlangendes Auge, Einziger Fels, nach dir nicht empor; die gerungnen, die matten, Ausgebreiteten Hände nach dir nicht empor; so wär ich Lange der Angst der wütenden Zweifel erlegen! ich wäre Schon vergangen! ... Wie sie, die um ihn jetzt blutet, ihn liebte Meine Seele, wie sie an ihm hieng, das weist du, Jehova! Weist, Er war mir Alles! Du hattest ihn, Vater, mit jeder Deiner Gnaden zu uns gesendet, mit jeder Erbarmung! Alles war er mir! den hast du kreuzigen lassen, Sterben! Ach, er ist todt! mir mehr, wie den Uebrigen allen Todt! ... O Mitternacht, die ihn auf der Schädelhöh deckt, Oder in einer noch dunkleren Gruft, die der Erd' Erschüttrung Nicht zerrüttete, möchtest bey ihm auch mich du decken! Möcht' ich liegen bey ihm, und schlummern, müde von Wunden Meiner Seele! ... So bin ich ohn' ihn denn? Jch leb', und ich sterbe, Ach ohn' ihn? du schreckliche Nacht, die mich ringsum einschließt, Wehe mir! ohn' ihn! auf Gebirgen, Gebirg', und Abgrund Dicht
Der Meſſias. Und, an das weichende Rohr nur unſerer Troͤſtung, uns lehnen.Thomas empfands. So wendet’ er ſich zu dem, der allein hilft: Gott! Verborgner! zu dir, wie ſehr auch Dunkel die Tiefen Deines Rathes bedeckt, zu dir nur kann, in dem Zagen Jhrer Traurigkeit, meine verwundete Seele ſich wenden! Nacht ſind ſeine Pfade; der Weg, den ich wandl’, iſt noch mehr Nacht, Als die Pfade des Todes! Unauszuforſchender Herrſcher Deſſen, was iſt, und was ſeyn wird! ach ſchau herunter ins Elend, Schau auf mich, der ein Wurm in Mitternaͤchten ſich windet. Haͤtt ich dich nicht, und ſtarrte mein huͤlfeverlangendes Auge, Einziger Fels, nach dir nicht empor; die gerungnen, die matten, Ausgebreiteten Haͤnde nach dir nicht empor; ſo waͤr ich Lange der Angſt der wuͤtenden Zweifel erlegen! ich waͤre Schon vergangen! … Wie ſie, die um ihn jetzt blutet, ihn liebte Meine Seele, wie ſie an ihm hieng, das weiſt du, Jehova! Weiſt, Er war mir Alles! Du hatteſt ihn, Vater, mit jeder Deiner Gnaden zu uns geſendet, mit jeder Erbarmung! Alles war er mir! den haſt du kreuzigen laſſen, Sterben! Ach, er iſt todt! mir mehr, wie den Uebrigen allen Todt! … O Mitternacht, die ihn auf der Schaͤdelhoͤh deckt, Oder in einer noch dunkleren Gruft, die der Erd’ Erſchuͤttrung Nicht zerruͤttete, moͤchteſt bey ihm auch mich du decken! Moͤcht’ ich liegen bey ihm, und ſchlummern, muͤde von Wunden Meiner Seele! … So bin ich ohn’ ihn denn? Jch leb’, und ich ſterbe, Ach ohn’ ihn? du ſchreckliche Nacht, die mich ringsum einſchließt, Wehe mir! ohn’ ihn! auf Gebirgen, Gebirg’, und Abgrund Dicht
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Der Meſſias.
Und, an das weichende Rohr nur unſerer Troͤſtung, uns lehnen.
Thomas empfands. So wendet’ er ſich zu dem, der allein hilft:
Gott! Verborgner! zu dir, wie ſehr auch Dunkel die Tiefen
Deines Rathes bedeckt, zu dir nur kann, in dem Zagen
Jhrer Traurigkeit, meine verwundete Seele ſich wenden!
Nacht ſind ſeine Pfade; der Weg, den ich wandl’, iſt noch mehr Nacht,
Als die Pfade des Todes! Unauszuforſchender Herrſcher
Deſſen, was iſt, und was ſeyn wird! ach ſchau herunter ins Elend,
Schau auf mich, der ein Wurm in Mitternaͤchten ſich windet.
Haͤtt ich dich nicht, und ſtarrte mein huͤlfeverlangendes Auge,
Einziger Fels, nach dir nicht empor; die gerungnen, die matten,
Ausgebreiteten Haͤnde nach dir nicht empor; ſo waͤr ich
Lange der Angſt der wuͤtenden Zweifel erlegen! ich waͤre
Schon vergangen! … Wie ſie, die um ihn jetzt blutet, ihn liebte
Meine Seele, wie ſie an ihm hieng, das weiſt du, Jehova!
Weiſt, Er war mir Alles! Du hatteſt ihn, Vater, mit jeder
Deiner Gnaden zu uns geſendet, mit jeder Erbarmung!
Alles war er mir! den haſt du kreuzigen laſſen,
Sterben! Ach, er iſt todt! mir mehr, wie den Uebrigen allen
Todt! … O Mitternacht, die ihn auf der Schaͤdelhoͤh deckt,
Oder in einer noch dunkleren Gruft, die der Erd’ Erſchuͤttrung
Nicht zerruͤttete, moͤchteſt bey ihm auch mich du decken!
Moͤcht’ ich liegen bey ihm, und ſchlummern, muͤde von Wunden
Meiner Seele! … So bin ich ohn’ ihn denn? Jch leb’, und ich ſterbe,
Ach ohn’ ihn? du ſchreckliche Nacht, die mich ringsum einſchließt,
Wehe mir! ohn’ ihn! auf Gebirgen, Gebirg’, und Abgrund
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