[Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Der Messias. Bd. 3. Halle, 1769.Vierzehnter Gesang. Dicht an Abgrund, schreckliche Nacht! ... Mein dunkles Gefühl, ach!Warum quälest auch du mich: Er würde mir einst noch mehr seyn, Als er mir war? warum durchgräbst auch du mir die Seele? Bist du unsterblich, o Seel' in mir, o fallt mich entflohne, Schwarze Zweifel, mit eurem Grimme nicht an, und wütet, Wütet nicht wieder! o die du in mir unsterblich bist, Seele, Tief, zu tief, zu jammervoll ist dein Elend! zerrißne, Wundenvolle, du bist ohn' ihn! ... So hättst du an ihm denn Keinen Theil, elende, so lang ich im Staube mich krümme? Aber vielleicht ist er auch todt mein Helfer? ... Wie kenn' ich Ueber dem Grabe die dunkleren Labyrinthe, die bängern Schwermutsvolleren Pfade, zu denen des Todes Thal führt, Da ich die trüben Wege des Lebens im Staube nicht kenne? Gott auf Ebal! auf Sinai Gott! im Donner! im Sturme! Vater! wo ist dein Sohn? Wo säumte dein Donner? wo schliefen Deine Wetter? als nun das hohe Kreuz sich emporhub! Zwar sie zitterte laut in ihrem Entsetzen die Erde, Warf die Felsen von sich, daß die Himmel erschollen, und Aller Zagende Seele vom Schrecken vor dem, das geschah, zermalmt ward; Aber da war er todt! Kein Fels erreichte die Würger, Keine Kluft verschlang ihr Gebein! ... Allmächtiger Vater! Gott durch des Engels Gericht, der die Erstgebohrnen Aegyptus Schlug, doch die blutbesprengten Hütten in Ramses vorbeyging! Gott im Strome, der stand, daß Jsrael wunderbar durchzog! Dann um Jericho Gott, daß deiner Heere Posaunen Daß sie die hohe thürmende Stadt in das Palmthal stürzten! Herr, Herr! Gott, barmherzig, und gnädig, daß Moses Gebeine Nicht
Vierzehnter Geſang. Dicht an Abgrund, ſchreckliche Nacht! … Mein dunkles Gefuͤhl, ach!Warum quaͤleſt auch du mich: Er wuͤrde mir einſt noch mehr ſeyn, Als er mir war? warum durchgraͤbſt auch du mir die Seele? Biſt du unſterblich, o Seel’ in mir, o fallt mich entflohne, Schwarze Zweifel, mit eurem Grimme nicht an, und wuͤtet, Wuͤtet nicht wieder! o die du in mir unſterblich biſt, Seele, Tief, zu tief, zu jammervoll iſt dein Elend! zerrißne, Wundenvolle, du biſt ohn’ ihn! … So haͤttſt du an ihm denn Keinen Theil, elende, ſo lang ich im Staube mich kruͤmme? Aber vielleicht iſt er auch todt mein Helfer? … Wie kenn’ ich Ueber dem Grabe die dunkleren Labyrinthe, die baͤngern Schwermutsvolleren Pfade, zu denen des Todes Thal fuͤhrt, Da ich die truͤben Wege des Lebens im Staube nicht kenne? Gott auf Ebal! auf Sinai Gott! im Donner! im Sturme! Vater! wo iſt dein Sohn? Wo ſaͤumte dein Donner? wo ſchliefen Deine Wetter? als nun das hohe Kreuz ſich emporhub! Zwar ſie zitterte laut in ihrem Entſetzen die Erde, Warf die Felſen von ſich, daß die Himmel erſchollen, und Aller Zagende Seele vom Schrecken vor dem, das geſchah, zermalmt ward; Aber da war er todt! Kein Fels erreichte die Wuͤrger, Keine Kluft verſchlang ihr Gebein! … Allmaͤchtiger Vater! Gott durch des Engels Gericht, der die Erſtgebohrnen Aegyptus Schlug, doch die blutbeſprengten Huͤtten in Ramſes vorbeyging! Gott im Strome, der ſtand, daß Jſrael wunderbar durchzog! Dann um Jericho Gott, daß deiner Heere Poſaunen Daß ſie die hohe thuͤrmende Stadt in das Palmthal ſtuͤrzten! Herr, Herr! Gott, barmherzig, und gnaͤdig, daß Moſes Gebeine Nicht
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Vierzehnter Geſang.
Dicht an Abgrund, ſchreckliche Nacht! … Mein dunkles Gefuͤhl, ach!
Warum quaͤleſt auch du mich: Er wuͤrde mir einſt noch mehr ſeyn,
Als er mir war? warum durchgraͤbſt auch du mir die Seele?
Biſt du unſterblich, o Seel’ in mir, o fallt mich entflohne,
Schwarze Zweifel, mit eurem Grimme nicht an, und wuͤtet,
Wuͤtet nicht wieder! o die du in mir unſterblich biſt, Seele,
Tief, zu tief, zu jammervoll iſt dein Elend! zerrißne,
Wundenvolle, du biſt ohn’ ihn! … So haͤttſt du an ihm denn
Keinen Theil, elende, ſo lang ich im Staube mich kruͤmme?
Aber vielleicht iſt er auch todt mein Helfer? … Wie kenn’ ich
Ueber dem Grabe die dunkleren Labyrinthe, die baͤngern
Schwermutsvolleren Pfade, zu denen des Todes Thal fuͤhrt,
Da ich die truͤben Wege des Lebens im Staube nicht kenne?
Gott auf Ebal! auf Sinai Gott! im Donner! im Sturme!
Vater! wo iſt dein Sohn? Wo ſaͤumte dein Donner? wo ſchliefen
Deine Wetter? als nun das hohe Kreuz ſich emporhub!
Zwar ſie zitterte laut in ihrem Entſetzen die Erde,
Warf die Felſen von ſich, daß die Himmel erſchollen, und Aller
Zagende Seele vom Schrecken vor dem, das geſchah, zermalmt ward;
Aber da war er todt! Kein Fels erreichte die Wuͤrger,
Keine Kluft verſchlang ihr Gebein! … Allmaͤchtiger Vater!
Gott durch des Engels Gericht, der die Erſtgebohrnen Aegyptus
Schlug, doch die blutbeſprengten Huͤtten in Ramſes vorbeyging!
Gott im Strome, der ſtand, daß Jſrael wunderbar durchzog!
Dann um Jericho Gott, daß deiner Heere Poſaunen
Daß ſie die hohe thuͤrmende Stadt in das Palmthal ſtuͤrzten!
Herr, Herr! Gott, barmherzig, und gnaͤdig, daß Moſes Gebeine
Nicht
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