Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Der Messias. Bd. 3. Halle, 1769.

Bild:
<< vorherige Seite

Vierzehnter Gesang.
Dann der Linken. Und nun vermochte sie auch in des Sohnes
Antlitz hinaufzuschaun. Wie das Angesicht eines Engels
Wurd ihr Angesicht, als sie hinaufsah. ... Meine Mutter,
Hier auch wurd ich durchstochen. Er zeigt' ihr das Maal der Wunde,
Aus der Wasser herab und Blut floß, als ihn des Todes
Nacht schon umgab. Jhr ward, wie das Angesicht eines Engels
Wieder ihr Angesicht. Schon umknieten die Meisten ihn, sahen
Seine Wunden, und reichten ihm die Hände. Die nahmst du,
Sohn des Vaters, und hieltest, und ließest sie sinken, der Andern
Ausgestreckte, zitternde Hände zu nehmen, Erbarmer!
Und, ein Jubelgesang dem Auferstandnen, erhub sich,
Mit gebrochenen Worten, die Stimme des sanften Weinens.
Ueber die Wange des Göttlichen rann jetzt eine Thräne.
Lange hielt Johannes die Rechte des Liebenden, lange
Sah er mit glänzendem Aug' hinauf in sein Antlitz, und wollt' ihn
Fragen, und fragt' ihn nicht! ihm sagen, wie innig, wie herzlich
Er ihm dankte, wie tief er ihn anbetet', und thats nicht!
Jetzo begann er, und schnell verstummt' er noch mehr. Denn der Gottmensch
Redet' ihn an. Du standest am Kreuz, und bliebst bis zum Tode!
Aber wo ist Lebbäus? Lebbäus lag auf der Erde,
Hielt, und küßte den Saum an des Mittlers Gewande. Da stand er
Eilend auf, da die Stimme des Herrn bey dem Namen ihn nannte,
Nahte sich, bleich, wie ein Todter, vor Freude. Der Göttliche sagte:

Hier ist meine Rechte, Lebbäus. Und reicht ihm die Rechte.
Und Lebbäus streckte verstummend die Hand nach dem Herrn aus!
Aber sie sank ihm nieder. Da beugte Jesus sich vorwärts
Nach dem Jüngling, ergriff die Hand des Sinkenden, hielt sie
Lange

Vierzehnter Geſang.
Dann der Linken. Und nun vermochte ſie auch in des Sohnes
Antlitz hinaufzuſchaun. Wie das Angeſicht eines Engels
Wurd ihr Angeſicht, als ſie hinaufſah. … Meine Mutter,
Hier auch wurd ich durchſtochen. Er zeigt’ ihr das Maal der Wunde,
Aus der Waſſer herab und Blut floß, als ihn des Todes
Nacht ſchon umgab. Jhr ward, wie das Angeſicht eines Engels
Wieder ihr Angeſicht. Schon umknieten die Meiſten ihn, ſahen
Seine Wunden, und reichten ihm die Haͤnde. Die nahmſt du,
Sohn des Vaters, und hielteſt, und ließeſt ſie ſinken, der Andern
Ausgeſtreckte, zitternde Haͤnde zu nehmen, Erbarmer!
Und, ein Jubelgeſang dem Auferſtandnen, erhub ſich,
Mit gebrochenen Worten, die Stimme des ſanften Weinens.
Ueber die Wange des Goͤttlichen rann jetzt eine Thraͤne.
Lange hielt Johannes die Rechte des Liebenden, lange
Sah er mit glaͤnzendem Aug’ hinauf in ſein Antlitz, und wollt’ ihn
Fragen, und fragt’ ihn nicht! ihm ſagen, wie innig, wie herzlich
Er ihm dankte, wie tief er ihn anbetet’, und thats nicht!
Jetzo begann er, und ſchnell verſtummt’ er noch mehr. Deñ der Gottmenſch
Redet’ ihn an. Du ſtandeſt am Kreuz, und bliebſt bis zum Tode!
Aber wo iſt Lebbaͤus? Lebbaͤus lag auf der Erde,
Hielt, und kuͤßte den Saum an des Mittlers Gewande. Da ſtand er
Eilend auf, da die Stimme des Herrn bey dem Namen ihn nannte,
Nahte ſich, bleich, wie ein Todter, vor Freude. Der Goͤttliche ſagte:

Hier iſt meine Rechte, Lebbaͤus. Und reicht ihm die Rechte.
Und Lebbaͤus ſtreckte verſtummend die Hand nach dem Herrn aus!
Aber ſie ſank ihm nieder. Da beugte Jeſus ſich vorwaͤrts
Nach dem Juͤngling, ergriff die Hand des Sinkenden, hielt ſie
Lange
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <lg type="poem">
          <lg n="126">
            <pb facs="#f0205" n="189"/>
            <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Vierzehnter Ge&#x017F;ang.</hi> </fw><lb/>
            <l>Dann der Linken. Und nun vermochte &#x017F;ie auch in des Sohnes</l><lb/>
            <l>Antlitz hinaufzu&#x017F;chaun. Wie das Ange&#x017F;icht eines Engels</l><lb/>
            <l>Wurd ihr Ange&#x017F;icht, als &#x017F;ie hinauf&#x017F;ah. &#x2026; Meine Mutter,</l><lb/>
            <l>Hier auch wurd ich durch&#x017F;tochen. Er zeigt&#x2019; ihr das Maal der Wunde,</l><lb/>
            <l>Aus der Wa&#x017F;&#x017F;er herab und Blut floß, als ihn des Todes</l><lb/>
            <l>Nacht &#x017F;chon umgab. Jhr ward, wie das Ange&#x017F;icht eines Engels</l><lb/>
            <l>Wieder ihr Ange&#x017F;icht. Schon umknieten die Mei&#x017F;ten ihn, &#x017F;ahen</l><lb/>
            <l>Seine Wunden, und reichten ihm die Ha&#x0364;nde. Die nahm&#x017F;t du,</l><lb/>
            <l>Sohn des Vaters, und hielte&#x017F;t, und ließe&#x017F;t &#x017F;ie &#x017F;inken, der Andern</l><lb/>
            <l>Ausge&#x017F;treckte, zitternde Ha&#x0364;nde zu nehmen, Erbarmer!</l><lb/>
            <l>Und, ein Jubelge&#x017F;ang dem Aufer&#x017F;tandnen, erhub &#x017F;ich,</l><lb/>
            <l>Mit gebrochenen Worten, die Stimme des &#x017F;anften Weinens.</l><lb/>
            <l>Ueber die Wange des Go&#x0364;ttlichen rann jetzt eine Thra&#x0364;ne.</l><lb/>
            <l>Lange hielt Johannes die Rechte des Liebenden, lange</l><lb/>
            <l>Sah er mit gla&#x0364;nzendem Aug&#x2019; hinauf in &#x017F;ein Antlitz, und wollt&#x2019; ihn</l><lb/>
            <l>Fragen, und fragt&#x2019; ihn nicht! ihm &#x017F;agen, wie innig, wie herzlich</l><lb/>
            <l>Er ihm dankte, wie tief er ihn anbetet&#x2019;, und thats nicht!</l><lb/>
            <l>Jetzo begann er, und &#x017F;chnell ver&#x017F;tummt&#x2019; er noch mehr. Deñ der Gottmen&#x017F;ch</l><lb/>
            <l>Redet&#x2019; ihn an. Du &#x017F;tande&#x017F;t am Kreuz, und blieb&#x017F;t bis zum Tode!</l><lb/>
            <l>Aber wo i&#x017F;t Lebba&#x0364;us? Lebba&#x0364;us lag auf der Erde,</l><lb/>
            <l>Hielt, und ku&#x0364;ßte den Saum an des Mittlers Gewande. Da &#x017F;tand er</l><lb/>
            <l>Eilend auf, da die Stimme des Herrn bey dem Namen ihn nannte,</l><lb/>
            <l>Nahte &#x017F;ich, bleich, wie ein Todter, vor Freude. Der Go&#x0364;ttliche &#x017F;agte:</l>
          </lg><lb/>
          <lg n="127">
            <l>Hier i&#x017F;t meine Rechte, Lebba&#x0364;us. Und reicht ihm die Rechte.</l><lb/>
            <l>Und Lebba&#x0364;us &#x017F;treckte ver&#x017F;tummend die Hand nach dem Herrn aus!</l><lb/>
            <l>Aber &#x017F;ie &#x017F;ank ihm nieder. Da beugte Je&#x017F;us &#x017F;ich vorwa&#x0364;rts</l><lb/>
            <l>Nach dem Ju&#x0364;ngling, ergriff die Hand des Sinkenden, hielt &#x017F;ie</l><lb/>
            <fw place="bottom" type="catch">Lange</fw><lb/>
          </lg>
        </lg>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[189/0205] Vierzehnter Geſang. Dann der Linken. Und nun vermochte ſie auch in des Sohnes Antlitz hinaufzuſchaun. Wie das Angeſicht eines Engels Wurd ihr Angeſicht, als ſie hinaufſah. … Meine Mutter, Hier auch wurd ich durchſtochen. Er zeigt’ ihr das Maal der Wunde, Aus der Waſſer herab und Blut floß, als ihn des Todes Nacht ſchon umgab. Jhr ward, wie das Angeſicht eines Engels Wieder ihr Angeſicht. Schon umknieten die Meiſten ihn, ſahen Seine Wunden, und reichten ihm die Haͤnde. Die nahmſt du, Sohn des Vaters, und hielteſt, und ließeſt ſie ſinken, der Andern Ausgeſtreckte, zitternde Haͤnde zu nehmen, Erbarmer! Und, ein Jubelgeſang dem Auferſtandnen, erhub ſich, Mit gebrochenen Worten, die Stimme des ſanften Weinens. Ueber die Wange des Goͤttlichen rann jetzt eine Thraͤne. Lange hielt Johannes die Rechte des Liebenden, lange Sah er mit glaͤnzendem Aug’ hinauf in ſein Antlitz, und wollt’ ihn Fragen, und fragt’ ihn nicht! ihm ſagen, wie innig, wie herzlich Er ihm dankte, wie tief er ihn anbetet’, und thats nicht! Jetzo begann er, und ſchnell verſtummt’ er noch mehr. Deñ der Gottmenſch Redet’ ihn an. Du ſtandeſt am Kreuz, und bliebſt bis zum Tode! Aber wo iſt Lebbaͤus? Lebbaͤus lag auf der Erde, Hielt, und kuͤßte den Saum an des Mittlers Gewande. Da ſtand er Eilend auf, da die Stimme des Herrn bey dem Namen ihn nannte, Nahte ſich, bleich, wie ein Todter, vor Freude. Der Goͤttliche ſagte: Hier iſt meine Rechte, Lebbaͤus. Und reicht ihm die Rechte. Und Lebbaͤus ſtreckte verſtummend die Hand nach dem Herrn aus! Aber ſie ſank ihm nieder. Da beugte Jeſus ſich vorwaͤrts Nach dem Juͤngling, ergriff die Hand des Sinkenden, hielt ſie Lange

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_messias03_1769
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_messias03_1769/205
Zitationshilfe: [Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Der Messias. Bd. 3. Halle, 1769, S. 189. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_messias03_1769/205>, abgerufen am 21.11.2024.