[Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Der Messias. Bd. 3. Halle, 1769.Funfzehnter Gesang. Gingen ihm bis an die Seele. Beruhigung sucht' er, und fand sieAuch nicht auf den Gefilden voll Frühling. Jtzt kehrt' er verspätet Zwischen den Gräbern am Oelberg um. Verirrendes Dunkel War sein Führer. Er ging in den tiefen Krümmen, und suchte. Jst das Kidrons Geräusch? und jenes Wehen, der Palmen Jn Gethsemane? Nein! das ist ein Brausen in Klüften. Sind das Menschenstimmen? Jndem erblickt' er ein Schimmern, Das beynahe verlosch, geweht vom Winde. Dem folgt' er. Und er kam an ein Todtengewölb', aus welchen sie Leichen Trugen. Ein Reicher erkaufte den Felsen von einem Armen. Und sie trugen ein ganzes Geschlecht, des dürftigen Väter Aus dem Gewölbe. Dilean blieb an der Oeffnung des Grabmaals. Und sie gingen mit ächzendem Schritt' heraus, mit verdroßnem Langsam wieder hinein, bewundne Gebeine zu hohlen. Glückliche sinds, die ihr tragt! Gebt mir der Todtenfackeln Eine, damit dort hinten ich sie bey den Leichen euch halte. Und sie gaben ihm eine, da ging er hinter ins Grabmaal. Und er hielt die Flamme, gelehnt an den Felsen, und dachte: Glückliche, glückliche Todte! ... Die seyd ihr auch, ihr Geliebten, Die mich verliessen. Wenn erst auch eure Leichengewande Einst veralten, wie dieser, so bin ich, wie ihr, auch glücklich! Aber nun ... Euch hab ich Verlaßner verloren, ihr Lieben, Meine Seligkeit hier! ... und, meine Seligkeit künftig, Gottes Propheten, verlor ich auch! ... Jst eine nun künftig, Da er Tyrannen erlag? Sorgt Gott, sie ewig zu machen, Ach für die, bey denen die Besten den Schlimmsten erliegen? Bin ich ewig? oder verstäub' ich? Erstand er? verwest er? Diese
Funfzehnter Geſang. Gingen ihm bis an die Seele. Beruhigung ſucht’ er, und fand ſieAuch nicht auf den Gefilden voll Fruͤhling. Jtzt kehrt’ er verſpaͤtet Zwiſchen den Graͤbern am Oelberg um. Verirrendes Dunkel War ſein Fuͤhrer. Er ging in den tiefen Kruͤmmen, und ſuchte. Jſt das Kidrons Geraͤuſch? und jenes Wehen, der Palmen Jn Gethſemane? Nein! das iſt ein Brauſen in Kluͤften. Sind das Menſchenſtimmen? Jndem erblickt’ er ein Schimmern, Das beynahe verloſch, geweht vom Winde. Dem folgt’ er. Und er kam an ein Todtengewoͤlb’, aus welchen ſie Leichen Trugen. Ein Reicher erkaufte den Felſen von einem Armen. Und ſie trugen ein ganzes Geſchlecht, des duͤrftigen Vaͤter Aus dem Gewoͤlbe. Dilean blieb an der Oeffnung des Grabmaals. Und ſie gingen mit aͤchzendem Schritt’ heraus, mit verdroßnem Langſam wieder hinein, bewundne Gebeine zu hohlen. Gluͤckliche ſinds, die ihr tragt! Gebt mir der Todtenfackeln Eine, damit dort hinten ich ſie bey den Leichen euch halte. Und ſie gaben ihm eine, da ging er hinter ins Grabmaal. Und er hielt die Flamme, gelehnt an den Felſen, und dachte: Gluͤckliche, gluͤckliche Todte! … Die ſeyd ihr auch, ihr Geliebten, Die mich verlieſſen. Wenn erſt auch eure Leichengewande Einſt veralten, wie dieſer, ſo bin ich, wie ihr, auch gluͤcklich! Aber nun … Euch hab ich Verlaßner verloren, ihr Lieben, Meine Seligkeit hier! … und, meine Seligkeit kuͤnftig, Gottes Propheten, verlor ich auch! … Jſt eine nun kuͤnftig, Da er Tyrannen erlag? Sorgt Gott, ſie ewig zu machen, Ach fuͤr die, bey denen die Beſten den Schlimmſten erliegen? Bin ich ewig? oder verſtaͤub’ ich? Erſtand er? verweſt er? Dieſe
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Funfzehnter Geſang.
Gingen ihm bis an die Seele. Beruhigung ſucht’ er, und fand ſie
Auch nicht auf den Gefilden voll Fruͤhling. Jtzt kehrt’ er verſpaͤtet
Zwiſchen den Graͤbern am Oelberg um. Verirrendes Dunkel
War ſein Fuͤhrer. Er ging in den tiefen Kruͤmmen, und ſuchte.
Jſt das Kidrons Geraͤuſch? und jenes Wehen, der Palmen
Jn Gethſemane? Nein! das iſt ein Brauſen in Kluͤften.
Sind das Menſchenſtimmen? Jndem erblickt’ er ein Schimmern,
Das beynahe verloſch, geweht vom Winde. Dem folgt’ er.
Und er kam an ein Todtengewoͤlb’, aus welchen ſie Leichen
Trugen. Ein Reicher erkaufte den Felſen von einem Armen.
Und ſie trugen ein ganzes Geſchlecht, des duͤrftigen Vaͤter
Aus dem Gewoͤlbe. Dilean blieb an der Oeffnung des Grabmaals.
Und ſie gingen mit aͤchzendem Schritt’ heraus, mit verdroßnem
Langſam wieder hinein, bewundne Gebeine zu hohlen.
Gluͤckliche ſinds, die ihr tragt! Gebt mir der Todtenfackeln
Eine, damit dort hinten ich ſie bey den Leichen euch halte.
Und ſie gaben ihm eine, da ging er hinter ins Grabmaal.
Und er hielt die Flamme, gelehnt an den Felſen, und dachte:
Gluͤckliche, gluͤckliche Todte! … Die ſeyd ihr auch, ihr Geliebten,
Die mich verlieſſen. Wenn erſt auch eure Leichengewande
Einſt veralten, wie dieſer, ſo bin ich, wie ihr, auch gluͤcklich!
Aber nun … Euch hab ich Verlaßner verloren, ihr Lieben,
Meine Seligkeit hier! … und, meine Seligkeit kuͤnftig,
Gottes Propheten, verlor ich auch! … Jſt eine nun kuͤnftig,
Da er Tyrannen erlag? Sorgt Gott, ſie ewig zu machen,
Ach fuͤr die, bey denen die Beſten den Schlimmſten erliegen?
Bin ich ewig? oder verſtaͤub’ ich? Erſtand er? verweſt er?
Dieſe
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