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[Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Der Messias. Bd. 3. Halle, 1769.

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Funfzehnter Gesang.
Du dein Herz, und willst dich nicht trösten! Dich ja nicht zu trösten,
Forscht dein Verstand, und strebet dein Herz. Jch kenne dich, Beor,
War zugegen, als du die Schöpfung das erstemal sahest.

Wenn du mich kennst, so kennst du den Schwermuthsvollsten der Menschen!
Desto schwermuthsvoller, je mehr die Kraft mir versagt ist,
Das in mir zu beherrschen, was mich zu der Traurigkeit hinreißt.
Aber wähne nur nicht, daß mirs an des Traurens Ursach
Mangle. Den Heitersten stürzt' ein Elend, wie meins, zu der Erde!
War ich nicht blind seit meiner Geburt, und lang', und des Lebens
Beste Zeit? Bin ich nicht an Einsicht blinder, den grossen
Göttlichen Mann zu erkennen, der Wunder zu wirken, von Gott kam?
Und wird etwa sein Tod, zu neuem Erkenntniß mir Licht seyn?
Kennest du nun ein Elend, wie meins ist? und müssen nicht fürchten,
Jmmer elend zu seyn, Elende von ihrer Geburt an?
Jst nicht unablassende Pein der künftigen Bote?
Ach bestraft der Gerechte nicht mehr, als Anderer Sünden,
Meine Sünden? Jch fluche dem Tage meiner Geburt nicht,
Aber ich wünsche beynah, nicht zu seyn! Hier endete Beor.
That er dir nicht auf Einmal, als du es am wenigsten hoftest,
Seines Allerheiligsten Vorhof, die herrliche Welt, auf?
Jhre Fülle der Segen, von seiner Sonne bestrahlet?
Freuden hattest du da, wie der Jmmersehenden keiner
Jemals empfand! Und öfnet' er dir in die künftige Welt nicht
Einen Blick, als er sich den Sohn des Ewigen nannte?
War dieß, Beor, auch Elend? auch Strafe der Sünde? Die Sünde
Straft er an dir nicht mehr, wie an Andern. Die Herrlichkeit Gottes
Wollte strahlend an dir, du Elendbeseligter, Jesus
Offen-
P 4

Funfzehnter Geſang.
Du dein Herz, und willſt dich nicht troͤſten! Dich ja nicht zu troͤſten,
Forſcht dein Verſtand, und ſtrebet dein Herz. Jch kenne dich, Beor,
War zugegen, als du die Schoͤpfung das erſtemal ſaheſt.

Weñ du mich keñſt, ſo keñſt du den Schwermuthsvollſten der Menſchen!
Deſto ſchwermuthsvoller, je mehr die Kraft mir verſagt iſt,
Das in mir zu beherrſchen, was mich zu der Traurigkeit hinreißt.
Aber waͤhne nur nicht, daß mirs an des Traurens Urſach
Mangle. Den Heiterſten ſtuͤrzt’ ein Elend, wie meins, zu der Erde!
War ich nicht blind ſeit meiner Geburt, und lang’, und des Lebens
Beſte Zeit? Bin ich nicht an Einſicht blinder, den groſſen
Goͤttlichen Mann zu erkennen, der Wunder zu wirken, von Gott kam?
Und wird etwa ſein Tod, zu neuem Erkenntniß mir Licht ſeyn?
Kenneſt du nun ein Elend, wie meins iſt? und muͤſſen nicht fuͤrchten,
Jmmer elend zu ſeyn, Elende von ihrer Geburt an?
Jſt nicht unablaſſende Pein der kuͤnftigen Bote?
Ach beſtraft der Gerechte nicht mehr, als Anderer Suͤnden,
Meine Suͤnden? Jch fluche dem Tage meiner Geburt nicht,
Aber ich wuͤnſche beynah, nicht zu ſeyn! Hier endete Beor.
That er dir nicht auf Einmal, als du es am wenigſten hofteſt,
Seines Allerheiligſten Vorhof, die herrliche Welt, auf?
Jhre Fuͤlle der Segen, von ſeiner Sonne beſtrahlet?
Freuden hatteſt du da, wie der Jmmerſehenden keiner
Jemals empfand! Und oͤfnet’ er dir in die kuͤnftige Welt nicht
Einen Blick, als er ſich den Sohn des Ewigen nannte?
War dieß, Beor, auch Elend? auch Strafe der Suͤnde? Die Suͤnde
Straft er an dir nicht mehr, wie an Andern. Die Herrlichkeit Gottes
Wollte ſtrahlend an dir, du Elendbeſeligter, Jeſus
Offen-
P 4
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[231/0247] Funfzehnter Geſang. Du dein Herz, und willſt dich nicht troͤſten! Dich ja nicht zu troͤſten, Forſcht dein Verſtand, und ſtrebet dein Herz. Jch kenne dich, Beor, War zugegen, als du die Schoͤpfung das erſtemal ſaheſt. Weñ du mich keñſt, ſo keñſt du den Schwermuthsvollſten der Menſchen! Deſto ſchwermuthsvoller, je mehr die Kraft mir verſagt iſt, Das in mir zu beherrſchen, was mich zu der Traurigkeit hinreißt. Aber waͤhne nur nicht, daß mirs an des Traurens Urſach Mangle. Den Heiterſten ſtuͤrzt’ ein Elend, wie meins, zu der Erde! War ich nicht blind ſeit meiner Geburt, und lang’, und des Lebens Beſte Zeit? Bin ich nicht an Einſicht blinder, den groſſen Goͤttlichen Mann zu erkennen, der Wunder zu wirken, von Gott kam? Und wird etwa ſein Tod, zu neuem Erkenntniß mir Licht ſeyn? Kenneſt du nun ein Elend, wie meins iſt? und muͤſſen nicht fuͤrchten, Jmmer elend zu ſeyn, Elende von ihrer Geburt an? Jſt nicht unablaſſende Pein der kuͤnftigen Bote? Ach beſtraft der Gerechte nicht mehr, als Anderer Suͤnden, Meine Suͤnden? Jch fluche dem Tage meiner Geburt nicht, Aber ich wuͤnſche beynah, nicht zu ſeyn! Hier endete Beor. That er dir nicht auf Einmal, als du es am wenigſten hofteſt, Seines Allerheiligſten Vorhof, die herrliche Welt, auf? Jhre Fuͤlle der Segen, von ſeiner Sonne beſtrahlet? Freuden hatteſt du da, wie der Jmmerſehenden keiner Jemals empfand! Und oͤfnet’ er dir in die kuͤnftige Welt nicht Einen Blick, als er ſich den Sohn des Ewigen nannte? War dieß, Beor, auch Elend? auch Strafe der Suͤnde? Die Suͤnde Straft er an dir nicht mehr, wie an Andern. Die Herrlichkeit Gottes Wollte ſtrahlend an dir, du Elendbeſeligter, Jeſus Offen- P 4

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Zitationshilfe: [Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Der Messias. Bd. 3. Halle, 1769, S. 231. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_messias03_1769/247>, abgerufen am 21.11.2024.