[Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Der Messias. Bd. 3. Halle, 1769.Der Messias. Keinen Bruder zurück! ... Doch empfind ich dir nach, o Benoni,Was du empfindest! So oft wir von unsern Geliebten uns trennen, Und um neue Befehle zum Thron des Ewigen steigen, Lassen wir Brüder zurück. ... Was ist es, mein himmlischer Bruder, Daß mein Grab sich bewegt? ach daß vom erschütterten Steine Joel aufspringt? daß es um mich wie Dämmrungen herschwimmt? Daß ich, o Gott, wo bin ich? o Geber des ewigen Lebens, Du erhältst doch, o du vernichtest mich nicht, du Geber? Also stammelt' er sanft, wie sich Wiederhalle verlieren. Und mit dem neuen Leibe der Auferstehung verherrlicht, Rief er: O du erhältst mich nicht nur, du unendlicher Geber, Du bekleidest mich auch mit diesem unsterblichen Leibe! Preis dir, Herrlicher, Herrlicher, welcher der Gaben so viel hat! Nun, mein Bruder, wenn einst dein Leichnam auch verwest ist, Weckt dein Schöpfer ihn auch, er, der der Gaben so viel hat! Wacht' ich? oder hatte der Schmerz sein fürchterlich Schlummern Ueber mich ausgebreitet? Empfind' ich in meiner Kindheit. Schon, was Samma empfand, wenn er in starrer Betäubung Niedersenkte sein Haupt, dann auf Einmal aufsprang, und rufte: Kind, Benoni, mein Kind, am blutigen Felsen zerschmettert! War ich also betäubt? ach oder bewegte der Stein sich Wirklich? Jhr ruht doch sanft, ihr meines Bruders Gebeine? Bebte die Erde noch nach? Da kommt mein Vater, und sucht mich. Siehe mein Vater, o Seraph! Ach weine, du redlicher Alter, Nicht bey meinem Grabmaal! Jch bin ja so selig, und leer ist Meines Staubes der Staub, den dieser ruhende Stein deckt. Lange
Der Meſſias. Keinen Bruder zuruͤck! … Doch empfind ich dir nach, o Benoni,Was du empfindeſt! So oft wir von unſern Geliebten uns trennen, Und um neue Befehle zum Thron des Ewigen ſteigen, Laſſen wir Bruͤder zuruͤck. … Was iſt es, mein himmliſcher Bruder, Daß mein Grab ſich bewegt? ach daß vom erſchuͤtterten Steine Joel aufſpringt? daß es um mich wie Daͤmmrungen herſchwimmt? Daß ich, o Gott, wo bin ich? o Geber des ewigen Lebens, Du erhaͤltſt doch, o du vernichteſt mich nicht, du Geber? Alſo ſtammelt’ er ſanft, wie ſich Wiederhalle verlieren. Und mit dem neuen Leibe der Auferſtehung verherrlicht, Rief er: O du erhaͤltſt mich nicht nur, du unendlicher Geber, Du bekleideſt mich auch mit dieſem unſterblichen Leibe! Preis dir, Herrlicher, Herrlicher, welcher der Gaben ſo viel hat! Nun, mein Bruder, wenn einſt dein Leichnam auch verweſt iſt, Weckt dein Schoͤpfer ihn auch, er, der der Gaben ſo viel hat! Wacht’ ich? oder hatte der Schmerz ſein fuͤrchterlich Schlummern Ueber mich ausgebreitet? Empfind’ ich in meiner Kindheit. Schon, was Samma empfand, wenn er in ſtarrer Betaͤubung Niederſenkte ſein Haupt, dann auf Einmal aufſprang, und rufte: Kind, Benoni, mein Kind, am blutigen Felſen zerſchmettert! War ich alſo betaͤubt? ach oder bewegte der Stein ſich Wirklich? Jhr ruht doch ſanft, ihr meines Bruders Gebeine? Bebte die Erde noch nach? Da kommt mein Vater, und ſucht mich. Siehe mein Vater, o Seraph! Ach weine, du redlicher Alter, Nicht bey meinem Grabmaal! Jch bin ja ſo ſelig, und leer iſt Meines Staubes der Staub, den dieſer ruhende Stein deckt. Lange
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Der Meſſias.
Keinen Bruder zuruͤck! … Doch empfind ich dir nach, o Benoni,
Was du empfindeſt! So oft wir von unſern Geliebten uns trennen,
Und um neue Befehle zum Thron des Ewigen ſteigen,
Laſſen wir Bruͤder zuruͤck. … Was iſt es, mein himmliſcher Bruder,
Daß mein Grab ſich bewegt? ach daß vom erſchuͤtterten Steine
Joel aufſpringt? daß es um mich wie Daͤmmrungen herſchwimmt?
Daß ich, o Gott, wo bin ich? o Geber des ewigen Lebens,
Du erhaͤltſt doch, o du vernichteſt mich nicht, du Geber?
Alſo ſtammelt’ er ſanft, wie ſich Wiederhalle verlieren.
Und mit dem neuen Leibe der Auferſtehung verherrlicht,
Rief er: O du erhaͤltſt mich nicht nur, du unendlicher Geber,
Du bekleideſt mich auch mit dieſem unſterblichen Leibe!
Preis dir, Herrlicher, Herrlicher, welcher der Gaben ſo viel hat!
Nun, mein Bruder, wenn einſt dein Leichnam auch verweſt iſt,
Weckt dein Schoͤpfer ihn auch, er, der der Gaben ſo viel hat!
Wacht’ ich? oder hatte der Schmerz ſein fuͤrchterlich Schlummern
Ueber mich ausgebreitet? Empfind’ ich in meiner Kindheit.
Schon, was Samma empfand, wenn er in ſtarrer Betaͤubung
Niederſenkte ſein Haupt, dann auf Einmal aufſprang, und rufte:
Kind, Benoni, mein Kind, am blutigen Felſen zerſchmettert!
War ich alſo betaͤubt? ach oder bewegte der Stein ſich
Wirklich? Jhr ruht doch ſanft, ihr meines Bruders Gebeine?
Bebte die Erde noch nach? Da kommt mein Vater, und ſucht mich.
Siehe mein Vater, o Seraph! Ach weine, du redlicher Alter,
Nicht bey meinem Grabmaal! Jch bin ja ſo ſelig, und leer iſt
Meines Staubes der Staub, den dieſer ruhende Stein deckt.
Lange
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