Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Der Messias. Bd. 3. Halle, 1769.

Bild:
<< vorherige Seite

Der Messias.
Wie sie konnten, die Mutter, und sanken mit ihr! ... Verstumme!
Denn du vermagst nicht, o du der wehmuthtönenden Harfe
Leisester Laut, das erste Stammeln der Mutter zu weinen,
Da sie nun wieder emporgerichtet stand, und die Arme
Nach der Hülfe des Herrn ausbreitete! ... Nieder vom Himmel
Blickt' auf sie der liebende Sohn, und bereitet' ihr Wonne.
Aber die war ihr verborgen, und bleich, wie Sterbende, fuhr sie
Also fort zu klagen: Noch Einmal sie sehen? warum! ach
Brachtet ihr sie? Jch sah sie von seinem Blute starrend
Lang' um sein Haupt! ... Allein der im Himmel wohnt, hat furchtbar
Seinen Bogen auf mich gespannt, und tödtlich Geschoß drauf,
Weh mir Armen! gelegt! Jch bin sein Ziel! zum Verderben
Richtet er zu den flammenden Pfeil. Jst unter den Himmeln
Jrgendwo noch, gebahr noch Eine der Mütter, die sterben
Einen Sohn sah, welcher dem heiligen Todten am Kreuz glich?

Also jammerte sie. Doch Lazarus Schwester, Maria,
Lag zu sterben. Es kündeten ihr schon kältere Schweisse,
Und in Arbeit ihr Herz, zu leben sich mühend, den Tod an.
Ueber sie senkte sich schon der schwere Schlummer, der Führer
Jenes ewigen Schlafs im Schoosse der stummen Verwesung.
Jetzo erhub sie noch aus den Tiefen, in die sie der Schlummer
Niederdrückt', ihr Haupt, und suchte mit trübem Blicke
Martha's Auge voll müden Schmerzes. Das war zu Thränen
Ueber dem langen Weinen vertrocknet. Die Sterbende sagte:
Schwester, ich schwieg; nun kann ich nicht mehr. Noch verlassen mich Alle,
Lazarus, und Nathanael selber! und sieh, ich sterbe!
Ach! ich lebte mit ihnen; und ohne sie soll ich sterben?
Klage

Der Meſſias.
Wie ſie konnten, die Mutter, und ſanken mit ihr! … Verſtumme!
Denn du vermagſt nicht, o du der wehmuthtoͤnenden Harfe
Leiſeſter Laut, das erſte Stammeln der Mutter zu weinen,
Da ſie nun wieder emporgerichtet ſtand, und die Arme
Nach der Huͤlfe des Herrn ausbreitete! … Nieder vom Himmel
Blickt’ auf ſie der liebende Sohn, und bereitet’ ihr Wonne.
Aber die war ihr verborgen, und bleich, wie Sterbende, fuhr ſie
Alſo fort zu klagen: Noch Einmal ſie ſehen? warum! ach
Brachtet ihr ſie? Jch ſah ſie von ſeinem Blute ſtarrend
Lang’ um ſein Haupt! … Allein der im Himmel wohnt, hat furchtbar
Seinen Bogen auf mich geſpannt, und toͤdtlich Geſchoß drauf,
Weh mir Armen! gelegt! Jch bin ſein Ziel! zum Verderben
Richtet er zu den flammenden Pfeil. Jſt unter den Himmeln
Jrgendwo noch, gebahr noch Eine der Muͤtter, die ſterben
Einen Sohn ſah, welcher dem heiligen Todten am Kreuz glich?

Alſo jammerte ſie. Doch Lazarus Schweſter, Maria,
Lag zu ſterben. Es kuͤndeten ihr ſchon kaͤltere Schweiſſe,
Und in Arbeit ihr Herz, zu leben ſich muͤhend, den Tod an.
Ueber ſie ſenkte ſich ſchon der ſchwere Schlummer, der Fuͤhrer
Jenes ewigen Schlafs im Schooſſe der ſtummen Verweſung.
Jetzo erhub ſie noch aus den Tiefen, in die ſie der Schlummer
Niederdruͤckt’, ihr Haupt, und ſuchte mit truͤbem Blicke
Martha’s Auge voll muͤden Schmerzes. Das war zu Thraͤnen
Ueber dem langen Weinen vertrocknet. Die Sterbende ſagte:
Schweſter, ich ſchwieg; nun kann ich nicht mehr. Noch verlaſſen mich Alle,
Lazarus, und Nathanael ſelber! und ſieh, ich ſterbe!
Ach! ich lebte mit ihnen; und ohne ſie ſoll ich ſterben?
Klage
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <lg type="poem">
          <lg n="46">
            <pb facs="#f0096" n="80"/>
            <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Der Me&#x017F;&#x017F;ias.</hi> </fw><lb/>
            <l>Wie &#x017F;ie konnten, die Mutter, und &#x017F;anken mit ihr! &#x2026; Ver&#x017F;tumme!</l><lb/>
            <l>Denn du vermag&#x017F;t nicht, o du der wehmuthto&#x0364;nenden Harfe</l><lb/>
            <l>Lei&#x017F;e&#x017F;ter Laut, das er&#x017F;te Stammeln der Mutter zu weinen,</l><lb/>
            <l>Da &#x017F;ie nun wieder emporgerichtet &#x017F;tand, und die Arme</l><lb/>
            <l>Nach der Hu&#x0364;lfe des Herrn ausbreitete! &#x2026; Nieder vom Himmel</l><lb/>
            <l>Blickt&#x2019; auf &#x017F;ie der liebende Sohn, und bereitet&#x2019; ihr Wonne.</l><lb/>
            <l>Aber die war ihr verborgen, und bleich, wie Sterbende, fuhr &#x017F;ie</l><lb/>
            <l>Al&#x017F;o fort zu klagen: Noch Einmal &#x017F;ie &#x017F;ehen? warum! ach</l><lb/>
            <l>Brachtet ihr &#x017F;ie? Jch &#x017F;ah &#x017F;ie von &#x017F;einem Blute &#x017F;tarrend</l><lb/>
            <l>Lang&#x2019; um &#x017F;ein Haupt! &#x2026; Allein der im Himmel wohnt, hat furchtbar</l><lb/>
            <l>Seinen Bogen auf mich ge&#x017F;pannt, und to&#x0364;dtlich Ge&#x017F;choß drauf,</l><lb/>
            <l>Weh mir Armen! gelegt! Jch bin &#x017F;ein Ziel! zum Verderben</l><lb/>
            <l>Richtet er zu den flammenden Pfeil. J&#x017F;t unter den Himmeln</l><lb/>
            <l>Jrgendwo noch, gebahr noch Eine der Mu&#x0364;tter, die &#x017F;terben</l><lb/>
            <l>Einen Sohn &#x017F;ah, welcher dem heiligen Todten am Kreuz glich?</l>
          </lg><lb/>
          <lg n="47">
            <l>Al&#x017F;o jammerte &#x017F;ie. Doch Lazarus Schwe&#x017F;ter, Maria,</l><lb/>
            <l>Lag zu &#x017F;terben. Es ku&#x0364;ndeten ihr &#x017F;chon ka&#x0364;ltere Schwei&#x017F;&#x017F;e,</l><lb/>
            <l>Und in Arbeit ihr Herz, zu leben &#x017F;ich mu&#x0364;hend, den Tod an.</l><lb/>
            <l>Ueber &#x017F;ie &#x017F;enkte &#x017F;ich &#x017F;chon der &#x017F;chwere Schlummer, der Fu&#x0364;hrer</l><lb/>
            <l>Jenes ewigen Schlafs im Schoo&#x017F;&#x017F;e der &#x017F;tummen Verwe&#x017F;ung.</l><lb/>
            <l>Jetzo erhub &#x017F;ie noch aus den Tiefen, in die &#x017F;ie der Schlummer</l><lb/>
            <l>Niederdru&#x0364;ckt&#x2019;, ihr Haupt, und &#x017F;uchte mit tru&#x0364;bem Blicke</l><lb/>
            <l>Martha&#x2019;s Auge voll mu&#x0364;den Schmerzes. Das war zu Thra&#x0364;nen</l><lb/>
            <l>Ueber dem langen Weinen vertrocknet. Die Sterbende &#x017F;agte:</l>
          </lg><lb/>
          <lg n="48">
            <l>Schwe&#x017F;ter, ich &#x017F;chwieg; nun kann ich nicht mehr. Noch verla&#x017F;&#x017F;en mich Alle,</l><lb/>
            <l>Lazarus, und Nathanael &#x017F;elber! und &#x017F;ieh, ich &#x017F;terbe!</l><lb/>
            <l>Ach! ich lebte mit ihnen; und ohne &#x017F;ie &#x017F;oll ich &#x017F;terben?</l>
          </lg><lb/>
          <fw place="bottom" type="catch">Klage</fw><lb/>
        </lg>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[80/0096] Der Meſſias. Wie ſie konnten, die Mutter, und ſanken mit ihr! … Verſtumme! Denn du vermagſt nicht, o du der wehmuthtoͤnenden Harfe Leiſeſter Laut, das erſte Stammeln der Mutter zu weinen, Da ſie nun wieder emporgerichtet ſtand, und die Arme Nach der Huͤlfe des Herrn ausbreitete! … Nieder vom Himmel Blickt’ auf ſie der liebende Sohn, und bereitet’ ihr Wonne. Aber die war ihr verborgen, und bleich, wie Sterbende, fuhr ſie Alſo fort zu klagen: Noch Einmal ſie ſehen? warum! ach Brachtet ihr ſie? Jch ſah ſie von ſeinem Blute ſtarrend Lang’ um ſein Haupt! … Allein der im Himmel wohnt, hat furchtbar Seinen Bogen auf mich geſpannt, und toͤdtlich Geſchoß drauf, Weh mir Armen! gelegt! Jch bin ſein Ziel! zum Verderben Richtet er zu den flammenden Pfeil. Jſt unter den Himmeln Jrgendwo noch, gebahr noch Eine der Muͤtter, die ſterben Einen Sohn ſah, welcher dem heiligen Todten am Kreuz glich? Alſo jammerte ſie. Doch Lazarus Schweſter, Maria, Lag zu ſterben. Es kuͤndeten ihr ſchon kaͤltere Schweiſſe, Und in Arbeit ihr Herz, zu leben ſich muͤhend, den Tod an. Ueber ſie ſenkte ſich ſchon der ſchwere Schlummer, der Fuͤhrer Jenes ewigen Schlafs im Schooſſe der ſtummen Verweſung. Jetzo erhub ſie noch aus den Tiefen, in die ſie der Schlummer Niederdruͤckt’, ihr Haupt, und ſuchte mit truͤbem Blicke Martha’s Auge voll muͤden Schmerzes. Das war zu Thraͤnen Ueber dem langen Weinen vertrocknet. Die Sterbende ſagte: Schweſter, ich ſchwieg; nun kann ich nicht mehr. Noch verlaſſen mich Alle, Lazarus, und Nathanael ſelber! und ſieh, ich ſterbe! Ach! ich lebte mit ihnen; und ohne ſie ſoll ich ſterben? Klage

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_messias03_1769
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_messias03_1769/96
Zitationshilfe: [Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Der Messias. Bd. 3. Halle, 1769, S. 80. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_messias03_1769/96>, abgerufen am 21.11.2024.