[Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Der Messias. Bd. 4. Halle, 1773.Neunzehnter Gesang. Euer Gewissen. Der Heilige, der das zarte Gefüh! selbstNach des Ewigen Richtschnur maß; und doch um Erbarmung Weinend flehte, war sich nicht rein, und wußte, wer Gott sey: Aber ihr waret euch rein! kaum, daß ihr die große Versöhnung Auch annahmet. Und dennoch habt ihr die edle Begierde, Welche zur Ehr' euch rief, zum Stolz herunter erniedert! Habt es gewagt, wer besser als ihr war, mit Strenge zu richten, Wer einfältiger, weiser; und tiefer drang in die Jrre Schwerer Pflichten, in sich geschärfter Gefühl des Guten Weckte, dieß Feuer nährte; mit Streng' und Wahne zu richten! Euch unheilig erkühnt, die Tugend in Staube dem Schalle Jhres Namens, dem Schimmer von ihr in der Könige Hütten, Oder auf anderer Höh der Schattengröße des Menschen, Gleich zu halten! Jhr bautet euch selbst Glückseligkeiten, Tempel eurer Erfindung, auf schmeichelnder Ruhe gegründet, Aber nicht auf der heiligen Pflicht. Den Namen der Vorsicht Nanntet ihr zwar; doch trautet ihr mehr dem Wege des Menschen; Eurem Wege! Die höhere Seele, die euch die Natur gab, Habt ihr weit von dem Zwecke verleitet, zu dem ihr gemacht war't! Habt der herzlichen, edlen, der frommen Menschlichkeit sanfte Liedestöne so oft mit rauhem Klange vermischet! So schien zwar nicht die That, des Gedankens Misbild; so war Aber das Herz in Verborgnem. Dort war es euch dunkel, der Friede Kam nicht in euer Herz, dem Feinde ganz zu verzeihen, Jhn in Stillem zu segnen!. O durft' auf die Krone denn hoffen, Wer nicht rein war vor Gott? so gar vor dem eignen Gefühl nicht Rein in der Stunde der Angst; traf's mächtiger ihn, daß er Mensch sey? Wer H 4
Neunzehnter Geſang. Euer Gewiſſen. Der Heilige, der das zarte Gefuͤh! ſelbſtNach des Ewigen Richtſchnur maß; und doch um Erbarmung Weinend flehte, war ſich nicht rein, und wußte, wer Gott ſey: Aber ihr waret euch rein! kaum, daß ihr die große Verſoͤhnung Auch annahmet. Und dennoch habt ihr die edle Begierde, Welche zur Ehr’ euch rief, zum Stolz herunter erniedert! Habt es gewagt, wer beſſer als ihr war, mit Strenge zu richten, Wer einfaͤltiger, weiſer; und tiefer drang in die Jrre Schwerer Pflichten, in ſich geſchaͤrfter Gefuͤhl des Guten Weckte, dieß Feuer naͤhrte; mit Streng’ und Wahne zu richten! Euch unheilig erkuͤhnt, die Tugend in Staube dem Schalle Jhres Namens, dem Schimmer von ihr in der Koͤnige Huͤtten, Oder auf anderer Hoͤh der Schattengroͤße des Menſchen, Gleich zu halten! Jhr bautet euch ſelbſt Gluͤckſeligkeiten, Tempel eurer Erfindung, auf ſchmeichelnder Ruhe gegruͤndet, Aber nicht auf der heiligen Pflicht. Den Namen der Vorſicht Nanntet ihr zwar; doch trautet ihr mehr dem Wege des Menſchen; Eurem Wege! Die hoͤhere Seele, die euch die Natur gab, Habt ihr weit von dem Zwecke verleitet, zu dem ihr gemacht war’t! Habt der herzlichen, edlen, der frommen Menſchlichkeit ſanfte Liedestoͤne ſo oft mit rauhem Klange vermiſchet! So ſchien zwar nicht die That, des Gedankens Misbild; ſo war Aber das Herz in Verborgnem. Dort war es euch dunkel, der Friede Kam nicht in euer Herz, dem Feinde ganz zu verzeihen, Jhn in Stillem zu ſegnen!. O durft’ auf die Krone denn hoffen, Wer nicht rein war vor Gott? ſo gar vor dem eignen Gefuͤhl nicht Rein in der Stunde der Angſt; traf’s maͤchtiger ihn, daß er Menſch ſey? Wer H 4
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Neunzehnter Geſang.
Euer Gewiſſen. Der Heilige, der das zarte Gefuͤh! ſelbſt
Nach des Ewigen Richtſchnur maß; und doch um Erbarmung
Weinend flehte, war ſich nicht rein, und wußte, wer Gott ſey:
Aber ihr waret euch rein! kaum, daß ihr die große Verſoͤhnung
Auch annahmet. Und dennoch habt ihr die edle Begierde,
Welche zur Ehr’ euch rief, zum Stolz herunter erniedert!
Habt es gewagt, wer beſſer als ihr war, mit Strenge zu richten,
Wer einfaͤltiger, weiſer; und tiefer drang in die Jrre
Schwerer Pflichten, in ſich geſchaͤrfter Gefuͤhl des Guten
Weckte, dieß Feuer naͤhrte; mit Streng’ und Wahne zu richten!
Euch unheilig erkuͤhnt, die Tugend in Staube dem Schalle
Jhres Namens, dem Schimmer von ihr in der Koͤnige Huͤtten,
Oder auf anderer Hoͤh der Schattengroͤße des Menſchen,
Gleich zu halten! Jhr bautet euch ſelbſt Gluͤckſeligkeiten,
Tempel eurer Erfindung, auf ſchmeichelnder Ruhe gegruͤndet,
Aber nicht auf der heiligen Pflicht. Den Namen der Vorſicht
Nanntet ihr zwar; doch trautet ihr mehr dem Wege des Menſchen;
Eurem Wege! Die hoͤhere Seele, die euch die Natur gab,
Habt ihr weit von dem Zwecke verleitet, zu dem ihr gemacht war’t!
Habt der herzlichen, edlen, der frommen Menſchlichkeit ſanfte
Liedestoͤne ſo oft mit rauhem Klange vermiſchet!
So ſchien zwar nicht die That, des Gedankens Misbild; ſo war
Aber das Herz in Verborgnem. Dort war es euch dunkel, der Friede
Kam nicht in euer Herz, dem Feinde ganz zu verzeihen,
Jhn in Stillem zu ſegnen!. O durft’ auf die Krone denn hoffen,
Wer nicht rein war vor Gott? ſo gar vor dem eignen Gefuͤhl nicht
Rein in der Stunde der Angſt; traf’s maͤchtiger ihn, daß er Menſch ſey?
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