Klopstock, Friedrich Gottlieb: Der Messias. Ein Heldengedicht. Halle, 1749.Erster Gesang. Willst du die Nacht, o Göttlicher, hier im Gebete durch- wachen? Oder verlangt dein ermüdeter Leib nach seiner Erqui- ckung? Soll ich zu deinem unsterblichen Haupt ein Lager bereiten? Sieh, itzt streckt schon der Sprößling der Ceder den grünenden Arm aus. Und die weiche balsamische Staude. Beym Grabmal der Seher Wächst dort unten das ruhige Moos im kühlenden Erd- reich. Soll ich hieraus, o Göttlicher, dir ein Lager bereiten? Wie ist dein Leib, o Erlöser, ermüdet! Wie vieles erträgst du Hier auf Erden aus brünstiger Liebe zum Menschenge- schlechte! Also sagt er. Der Mittler belohnt ihn mit segnenden Blicken, Und stand voll Ernst auf der Höhe des Bergs am benach- barten Himmel. GOtt war daselbst. Hier betet er. Unter ihm tönte die Erde, Und ein wandelndes Jauchzen durchdrang die Pforten der Tiefen, Als sie von ihm die gewaltige Stimme tief unten ver- nahmen. Denn es war nicht mehr die Stimme des Fluchs, die Stimme von Stürmen Furchtbar verkündiget, und in donnernden Wettern ge- sprochen, Die die Erde vernahm. Sie hörte des Segnenden Rede, Der A 4
Erſter Geſang. Willſt du die Nacht, o Goͤttlicher, hier im Gebete durch- wachen? Oder verlangt dein ermuͤdeter Leib nach ſeiner Erqui- ckung? Soll ich zu deinem unſterblichen Haupt ein Lager bereiten? Sieh, itzt ſtreckt ſchon der Sproͤßling der Ceder den gruͤnenden Arm aus. Und die weiche balſamiſche Staude. Beym Grabmal der Seher Waͤchſt dort unten das ruhige Moos im kuͤhlenden Erd- reich. Soll ich hieraus, o Goͤttlicher, dir ein Lager bereiten? Wie iſt dein Leib, o Erloͤſer, ermuͤdet! Wie vieles ertraͤgſt du Hier auf Erden aus bruͤnſtiger Liebe zum Menſchenge- ſchlechte! Alſo ſagt er. Der Mittler belohnt ihn mit ſegnenden Blicken, Und ſtand voll Ernſt auf der Hoͤhe des Bergs am benach- barten Himmel. GOtt war daſelbſt. Hier betet er. Unter ihm toͤnte die Erde, Und ein wandelndes Jauchzen durchdrang die Pforten der Tiefen, Als ſie von ihm die gewaltige Stimme tief unten ver- nahmen. Denn es war nicht mehr die Stimme des Fluchs, die Stimme von Stuͤrmen Furchtbar verkuͤndiget, und in donnernden Wettern ge- ſprochen, Die die Erde vernahm. Sie hoͤrte des Segnenden Rede, Der A 4
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Erſter Geſang.
Willſt du die Nacht, o Goͤttlicher, hier im Gebete durch-
wachen?
Oder verlangt dein ermuͤdeter Leib nach ſeiner Erqui-
ckung?
Soll ich zu deinem unſterblichen Haupt ein Lager bereiten?
Sieh, itzt ſtreckt ſchon der Sproͤßling der Ceder den
gruͤnenden Arm aus.
Und die weiche balſamiſche Staude. Beym Grabmal der
Seher
Waͤchſt dort unten das ruhige Moos im kuͤhlenden Erd-
reich.
Soll ich hieraus, o Goͤttlicher, dir ein Lager bereiten?
Wie iſt dein Leib, o Erloͤſer, ermuͤdet! Wie vieles ertraͤgſt du
Hier auf Erden aus bruͤnſtiger Liebe zum Menſchenge-
ſchlechte!
Alſo ſagt er. Der Mittler belohnt ihn mit ſegnenden
Blicken,
Und ſtand voll Ernſt auf der Hoͤhe des Bergs am benach-
barten Himmel.
GOtt war daſelbſt. Hier betet er. Unter ihm toͤnte die
Erde,
Und ein wandelndes Jauchzen durchdrang die Pforten
der Tiefen,
Als ſie von ihm die gewaltige Stimme tief unten ver-
nahmen.
Denn es war nicht mehr die Stimme des Fluchs, die
Stimme von Stuͤrmen
Furchtbar verkuͤndiget, und in donnernden Wettern ge-
ſprochen,
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Der
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