Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Klopstock, Friedrich Gottlieb: Der Messias. Ein Heldengedicht. Halle, 1749.

Bild:
<< vorherige Seite

Zweyter Gesang.
Jn zusammengebirgte zerrüttete Felsen gehauen.
Dick und finster verwachsene Wälder verwahrten den Ein-
gang

Vor dem Blicke des fliehenden Wandrers. Ein trauriger
Morgen

Stieg, wenn über Jerusalem schon der Mittag sich senkte,
Zu den Gräbern noch dämmernd mit kühlem Schauer hin-
unter.

Samma, so hieß der besessene Mann, lag neben dem
Grabe

Seines jüngsten geliebtesten Sohns in kläglicher Ohn-
macht,

Satan ließ ihm die Ruh, ihn desto ergrimmter zu quälen.
Hier lag er bey den Gebeinen des Knabens in Moder und
Asche,

Neben ihm stand sein anderer Sohn, und weinte zu GOtt
auf.

Jenen verstorbenen, welchen der Vater und Bruder be-
weinten,

Hatte vordem die zu zärtliche Mutter, durch Flehen erwei-
chet,

Mit in die Gräber zum Vater hinab gebracht, welchen der
Satan

Ungestüm und voll grimmiger Wut bey den Todten her-
umtrieb,

Ach mein Vater! so rief der kleine geliebte Benoni,
Und entfloh den Armen der Mutter, die ängstlich ihm nach-
lief;

Ach mein Vater, umarme mich doch! und hielt seine
Hände,

Drückte sie an sein Herz. Der Vater umfaßt ihn, und bebte

Da
D

Zweyter Geſang.
Jn zuſammengebirgte zerruͤttete Felſen gehauen.
Dick und finſter verwachſene Waͤlder verwahrten den Ein-
gang

Vor dem Blicke des fliehenden Wandrers. Ein trauriger
Morgen

Stieg, wenn uͤber Jeruſalem ſchon der Mittag ſich ſenkte,
Zu den Graͤbern noch daͤmmernd mit kuͤhlem Schauer hin-
unter.

Samma, ſo hieß der beſeſſene Mann, lag neben dem
Grabe

Seines juͤngſten geliebteſten Sohns in klaͤglicher Ohn-
macht,

Satan ließ ihm die Ruh, ihn deſto ergrimmter zu quaͤlen.
Hier lag er bey den Gebeinen des Knabens in Moder und
Aſche,

Neben ihm ſtand ſein anderer Sohn, und weinte zu GOtt
auf.

Jenen verſtorbenen, welchen der Vater und Bruder be-
weinten,

Hatte vordem die zu zaͤrtliche Mutter, durch Flehen erwei-
chet,

Mit in die Graͤber zum Vater hinab gebracht, welchen der
Satan

Ungeſtuͤm und voll grimmiger Wut bey den Todten her-
umtrieb,

Ach mein Vater! ſo rief der kleine geliebte Benoni,
Und entfloh den Armen der Mutter, die aͤngſtlich ihm nach-
lief;

Ach mein Vater, umarme mich doch! und hielt ſeine
Haͤnde,

Druͤckte ſie an ſein Herz. Der Vater umfaßt ihn, und bebte

Da
D
<TEI>
  <text>
    <body>
      <lg type="poem">
        <lg n="9">
          <pb facs="#f0053" n="49"/>
          <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Zweyter Ge&#x017F;ang.</hi> </fw><lb/>
          <l>Jn zu&#x017F;ammengebirgte zerru&#x0364;ttete Fel&#x017F;en gehauen.</l><lb/>
          <l>Dick und fin&#x017F;ter verwach&#x017F;ene Wa&#x0364;lder verwahrten den Ein-<lb/><hi rendition="#et">gang</hi></l><lb/>
          <l>Vor dem Blicke des fliehenden Wandrers. Ein trauriger<lb/><hi rendition="#et">Morgen</hi></l><lb/>
          <l>Stieg, wenn u&#x0364;ber Jeru&#x017F;alem &#x017F;chon der Mittag &#x017F;ich &#x017F;enkte,</l><lb/>
          <l>Zu den Gra&#x0364;bern noch da&#x0364;mmernd mit ku&#x0364;hlem Schauer hin-<lb/><hi rendition="#et">unter.</hi></l><lb/>
          <l>Samma, &#x017F;o hieß der be&#x017F;e&#x017F;&#x017F;ene Mann, lag neben dem<lb/><hi rendition="#et">Grabe</hi></l><lb/>
          <l>Seines ju&#x0364;ng&#x017F;ten geliebte&#x017F;ten Sohns in kla&#x0364;glicher Ohn-<lb/><hi rendition="#et">macht,</hi></l><lb/>
          <l>Satan ließ ihm die Ruh, ihn de&#x017F;to ergrimmter zu qua&#x0364;len.</l><lb/>
          <l>Hier lag er bey den Gebeinen des Knabens in Moder und<lb/><hi rendition="#et">A&#x017F;che,</hi></l><lb/>
          <l>Neben ihm &#x017F;tand &#x017F;ein anderer Sohn, und weinte zu GOtt<lb/><hi rendition="#et">auf.</hi></l><lb/>
          <l>Jenen ver&#x017F;torbenen, welchen der Vater und Bruder be-<lb/><hi rendition="#et">weinten,</hi></l><lb/>
          <l>Hatte vordem die zu za&#x0364;rtliche Mutter, durch Flehen erwei-<lb/><hi rendition="#et">chet,</hi></l><lb/>
          <l>Mit in die Gra&#x0364;ber zum Vater hinab gebracht, welchen der<lb/><hi rendition="#et">Satan</hi></l><lb/>
          <l>Unge&#x017F;tu&#x0364;m und voll grimmiger Wut bey den Todten her-<lb/><hi rendition="#et">umtrieb,</hi></l><lb/>
          <l>Ach mein Vater! &#x017F;o rief der kleine geliebte Benoni,</l><lb/>
          <l>Und entfloh den Armen der Mutter, die a&#x0364;ng&#x017F;tlich ihm nach-<lb/><hi rendition="#et">lief;</hi></l><lb/>
          <l>Ach mein Vater, umarme mich doch! und hielt &#x017F;eine<lb/><hi rendition="#et">Ha&#x0364;nde,</hi></l><lb/>
          <l>Dru&#x0364;ckte &#x017F;ie an &#x017F;ein Herz. Der Vater umfaßt ihn, und bebte</l><lb/>
          <fw place="bottom" type="sig">D</fw>
          <fw place="bottom" type="catch">Da</fw><lb/>
        </lg>
      </lg>
    </body>
  </text>
</TEI>
[49/0053] Zweyter Geſang. Jn zuſammengebirgte zerruͤttete Felſen gehauen. Dick und finſter verwachſene Waͤlder verwahrten den Ein- gang Vor dem Blicke des fliehenden Wandrers. Ein trauriger Morgen Stieg, wenn uͤber Jeruſalem ſchon der Mittag ſich ſenkte, Zu den Graͤbern noch daͤmmernd mit kuͤhlem Schauer hin- unter. Samma, ſo hieß der beſeſſene Mann, lag neben dem Grabe Seines juͤngſten geliebteſten Sohns in klaͤglicher Ohn- macht, Satan ließ ihm die Ruh, ihn deſto ergrimmter zu quaͤlen. Hier lag er bey den Gebeinen des Knabens in Moder und Aſche, Neben ihm ſtand ſein anderer Sohn, und weinte zu GOtt auf. Jenen verſtorbenen, welchen der Vater und Bruder be- weinten, Hatte vordem die zu zaͤrtliche Mutter, durch Flehen erwei- chet, Mit in die Graͤber zum Vater hinab gebracht, welchen der Satan Ungeſtuͤm und voll grimmiger Wut bey den Todten her- umtrieb, Ach mein Vater! ſo rief der kleine geliebte Benoni, Und entfloh den Armen der Mutter, die aͤngſtlich ihm nach- lief; Ach mein Vater, umarme mich doch! und hielt ſeine Haͤnde, Druͤckte ſie an ſein Herz. Der Vater umfaßt ihn, und bebte Da D

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Die ersten drei Gesänge von Klopstocks ‚Messias‘ … [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_messias_1749
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_messias_1749/53
Zitationshilfe: Klopstock, Friedrich Gottlieb: Der Messias. Ein Heldengedicht. Halle, 1749, S. 49. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_messias_1749/53>, abgerufen am 16.05.2024.