Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Klopstock, Friedrich Gottlieb: Der Messias. Ein Heldengedicht. Halle, 1749.

Bild:
<< vorherige Seite

Zweyter Gesang.

Und die Verzweiflung untröstbarer Müttter, der Ausfluß
der Leichen,

Der, mit Seelen vermischt, mir wallend entgegen dampfte,
Waren für meine befriedigte Gottheit ein liebliches
Opfer.

Wandelt nicht dort der Schatten Herodes? Verworfene
Seele,

War ichs nicht selbst, der in dir den Gedanken, die Beth-
lehemiten

Umzubringen, erschuf? Kann etwa des Himmels Bewoh-
ner

Seiner Bildungen mühsames Werk, die unsterblichen
Seelen,

Vor mir beschützen, daß ich sie mit meiner verborgnen
Begeistrung

Nicht umschatte, und über sie nicht zum Verderben mich
breite?

Ja, Verlaßner, dein klägliches Winseln, dein banges
Verzweifeln,

Und der Seelen Geschrey, die du sonst noch unschuldig
erwürgtest,

Daß sie sündigend starben, und dir, und der Vorsehung
fluchten,

Jst nun deinem befriedigten GOtt auch ein liebliches
Opfer

Als er starb, versammelte Götter, da kehrte der Knabe
Aus Alegyptens Gefilden zurück. Die Jahre der Jugend
Bracht er im Schosse der zärtlichen Mutter, in ihrer Um-
armung

Unbekannt zu. Kein jugendlich Feuer, kein edles Erküh-
nen

Trieb
E 5

Zweyter Geſang.

Und die Verzweiflung untroͤſtbarer Muͤttter, der Ausfluß
der Leichen,

Der, mit Seelen vermiſcht, mir wallend entgegen dampfte,
Waren fuͤr meine befriedigte Gottheit ein liebliches
Opfer.

Wandelt nicht dort der Schatten Herodes? Verworfene
Seele,

War ichs nicht ſelbſt, der in dir den Gedanken, die Beth-
lehemiten

Umzubringen, erſchuf? Kann etwa des Himmels Bewoh-
ner

Seiner Bildungen muͤhſames Werk, die unſterblichen
Seelen,

Vor mir beſchuͤtzen, daß ich ſie mit meiner verborgnen
Begeiſtrung

Nicht umſchatte, und uͤber ſie nicht zum Verderben mich
breite?

Ja, Verlaßner, dein klaͤgliches Winſeln, dein banges
Verzweifeln,

Und der Seelen Geſchrey, die du ſonſt noch unſchuldig
erwuͤrgteſt,

Daß ſie ſuͤndigend ſtarben, und dir, und der Vorſehung
fluchten,

Jſt nun deinem befriedigten GOtt auch ein liebliches
Opfer

Als er ſtarb, verſammelte Goͤtter, da kehrte der Knabe
Aus Alegyptens Gefilden zuruͤck. Die Jahre der Jugend
Bracht er im Schoſſe der zaͤrtlichen Mutter, in ihrer Um-
armung

Unbekannt zu. Kein jugendlich Feuer, kein edles Erkuͤh-
nen

Trieb
E 5
<TEI>
  <text>
    <body>
      <lg type="poem">
        <lg n="21">
          <l>
            <pb facs="#f0077" n="73"/>
            <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Zweyter Ge&#x017F;ang.</hi> </fw>
          </l><lb/>
          <l>Und die Verzweiflung untro&#x0364;&#x017F;tbarer Mu&#x0364;ttter, der Ausfluß<lb/><hi rendition="#et">der Leichen,</hi></l><lb/>
          <l>Der, mit Seelen vermi&#x017F;cht, mir wallend entgegen dampfte,</l><lb/>
          <l>Waren fu&#x0364;r meine befriedigte Gottheit ein liebliches<lb/><hi rendition="#et">Opfer.</hi></l><lb/>
          <l>Wandelt nicht dort der Schatten Herodes? Verworfene<lb/><hi rendition="#et">Seele,</hi></l><lb/>
          <l>War ichs nicht &#x017F;elb&#x017F;t, der in dir den Gedanken, die Beth-<lb/><hi rendition="#et">lehemiten</hi></l><lb/>
          <l>Umzubringen, er&#x017F;chuf? Kann etwa des Himmels Bewoh-<lb/><hi rendition="#et">ner</hi></l><lb/>
          <l>Seiner Bildungen mu&#x0364;h&#x017F;ames Werk, die un&#x017F;terblichen<lb/><hi rendition="#et">Seelen,</hi></l><lb/>
          <l>Vor mir be&#x017F;chu&#x0364;tzen, daß ich &#x017F;ie mit meiner verborgnen<lb/><hi rendition="#et">Begei&#x017F;trung</hi></l><lb/>
          <l>Nicht um&#x017F;chatte, und u&#x0364;ber &#x017F;ie nicht zum Verderben mich<lb/><hi rendition="#et">breite?</hi></l><lb/>
          <l>Ja, Verlaßner, dein kla&#x0364;gliches Win&#x017F;eln, dein banges<lb/><hi rendition="#et">Verzweifeln,</hi></l><lb/>
          <l>Und der Seelen Ge&#x017F;chrey, die du &#x017F;on&#x017F;t noch un&#x017F;chuldig<lb/><hi rendition="#et">erwu&#x0364;rgte&#x017F;t,</hi></l><lb/>
          <l>Daß &#x017F;ie &#x017F;u&#x0364;ndigend &#x017F;tarben, und dir, und der Vor&#x017F;ehung<lb/><hi rendition="#et">fluchten,</hi></l><lb/>
          <l>J&#x017F;t nun deinem befriedigten GOtt auch ein liebliches<lb/><hi rendition="#et">Opfer</hi></l><lb/>
          <l>Als er &#x017F;tarb, ver&#x017F;ammelte Go&#x0364;tter, da kehrte der Knabe</l><lb/>
          <l>Aus Alegyptens Gefilden zuru&#x0364;ck. Die Jahre der Jugend</l><lb/>
          <l>Bracht er im Scho&#x017F;&#x017F;e der za&#x0364;rtlichen Mutter, in ihrer Um-<lb/><hi rendition="#et">armung</hi></l><lb/>
          <l>Unbekannt zu. Kein jugendlich Feuer, kein edles Erku&#x0364;h-<lb/><hi rendition="#et">nen</hi><lb/>
<fw place="bottom" type="sig">E 5</fw><fw place="bottom" type="catch">Trieb</fw><lb/></l>
        </lg>
      </lg>
    </body>
  </text>
</TEI>
[73/0077] Zweyter Geſang. Und die Verzweiflung untroͤſtbarer Muͤttter, der Ausfluß der Leichen, Der, mit Seelen vermiſcht, mir wallend entgegen dampfte, Waren fuͤr meine befriedigte Gottheit ein liebliches Opfer. Wandelt nicht dort der Schatten Herodes? Verworfene Seele, War ichs nicht ſelbſt, der in dir den Gedanken, die Beth- lehemiten Umzubringen, erſchuf? Kann etwa des Himmels Bewoh- ner Seiner Bildungen muͤhſames Werk, die unſterblichen Seelen, Vor mir beſchuͤtzen, daß ich ſie mit meiner verborgnen Begeiſtrung Nicht umſchatte, und uͤber ſie nicht zum Verderben mich breite? Ja, Verlaßner, dein klaͤgliches Winſeln, dein banges Verzweifeln, Und der Seelen Geſchrey, die du ſonſt noch unſchuldig erwuͤrgteſt, Daß ſie ſuͤndigend ſtarben, und dir, und der Vorſehung fluchten, Jſt nun deinem befriedigten GOtt auch ein liebliches Opfer Als er ſtarb, verſammelte Goͤtter, da kehrte der Knabe Aus Alegyptens Gefilden zuruͤck. Die Jahre der Jugend Bracht er im Schoſſe der zaͤrtlichen Mutter, in ihrer Um- armung Unbekannt zu. Kein jugendlich Feuer, kein edles Erkuͤh- nen Trieb E 5

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Die ersten drei Gesänge von Klopstocks ‚Messias‘ … [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_messias_1749
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_messias_1749/77
Zitationshilfe: Klopstock, Friedrich Gottlieb: Der Messias. Ein Heldengedicht. Halle, 1749, S. 73. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_messias_1749/77>, abgerufen am 21.11.2024.