I. Einleitung. §. 5. Angriffe auf das geistige Eigenthum.
Wir Deutsche sehen in diesem Augenblicke mit Ungeduld und mit Genugthuung dem Ablaufe eines Privilegiums entge- gen, welches den Verlag der Werke unsrer grössten Dichter betrifft; mit Ungeduld, weil das Privilegium weit über die Dauer des allgemein gesetzlichen Verlagsrechtes hinaus er- streckt ist -- und mit Genugthuung, weil der Gebrauch, wel- cher von diesem Privilegium gemacht ist, die Schätze unsrer Literatur dem allgemeinen Gebrauche verschloss; weil der geringe Vortheil, welcher den Enkeln Göthes und Schillers aus diesem Privilegium zufloss, in keinem Verhältnisse stand zu der übermässig hohen Steuer, welche das Publikum an ih- ren privilegirten Verleger entrichten musste. Wir haben noch einzelne andere Beispiele vor Augen gehabt, in denen der Ver- leger nicht verstanden hat, den Vortheil des Publikums mit dem seinigen zu verbinden. Dennoch können wir nicht be- haupten, dass die allgemeine Anerkennung des Verlagsrechtes, wie Carey dies befürchtet, die Bücher vertheuert und die Schriftsteller übermässig bereichert habe.
Wir sind wie die Amerikaner ebenfalls lange Zeit in der Lage gewesen, einen Theil unsres literarischen Bedarfs von dem englischen und französischen Büchermarkte mit Nach- drucken und Uebersetzungen zu versorgen, ohne dafür zu zahlen. Dennoch haben sich keine Stimmen erhoben, welche die Aufrechterhaltung dieses Missbrauches im Namen der Ge- rechtigkeit und der Bildung gefordert hätten, welche behauptet hätten, dass der Schriftsteller für sein Honorar allein auf den Markt seiner Nation angewiesen sei und dass Nationen, die, ohne selbst zu produziren, von ausländischer Literatur zehren, dafür nicht zu zahlen gehalten seien. Auch hat uns die Er- fahrung gelehrt, dass die englischen Autoren und Verleger sich durch eigene wohlfeile Ausgaben den Preisen unsres Bücher- marktes anbequemt haben, dass die englischen Novellen durch das Verbot des Nachdrucks nicht theurer und dass die Ueber- setzungen jedenfalls nicht schlechter geworden sind.
Während das Verlagsrecht mit allen seinen Consequenzen bei uns sich einer fast unbestrittenen Anerkennung erfreut, werden gegen den andern Zweig des geistigen Eigenthumes,
Eine neue Vertheidigung der amerikanischen Gesetzgebung gegenüber der geplünderten deutschen Literatur enthält dagegen die Schrift des Buchhändlers E. Steiger: Der Nachdruck in Nordamerika. New-York 1867.
I. Einleitung. §. 5. Angriffe auf das geistige Eigenthum.
Wir Deutsche sehen in diesem Augenblicke mit Ungeduld und mit Genugthuung dem Ablaufe eines Privilegiums entge- gen, welches den Verlag der Werke unsrer grössten Dichter betrifft; mit Ungeduld, weil das Privilegium weit über die Dauer des allgemein gesetzlichen Verlagsrechtes hinaus er- streckt ist — und mit Genugthuung, weil der Gebrauch, wel- cher von diesem Privilegium gemacht ist, die Schätze unsrer Literatur dem allgemeinen Gebrauche verschloss; weil der geringe Vortheil, welcher den Enkeln Göthes und Schillers aus diesem Privilegium zufloss, in keinem Verhältnisse stand zu der übermässig hohen Steuer, welche das Publikum an ih- ren privilegirten Verleger entrichten musste. Wir haben noch einzelne andere Beispiele vor Augen gehabt, in denen der Ver- leger nicht verstanden hat, den Vortheil des Publikums mit dem seinigen zu verbinden. Dennoch können wir nicht be- haupten, dass die allgemeine Anerkennung des Verlagsrechtes, wie Carey dies befürchtet, die Bücher vertheuert und die Schriftsteller übermässig bereichert habe.
Wir sind wie die Amerikaner ebenfalls lange Zeit in der Lage gewesen, einen Theil unsres literarischen Bedarfs von dem englischen und französischen Büchermarkte mit Nach- drucken und Uebersetzungen zu versorgen, ohne dafür zu zahlen. Dennoch haben sich keine Stimmen erhoben, welche die Aufrechterhaltung dieses Missbrauches im Namen der Ge- rechtigkeit und der Bildung gefordert hätten, welche behauptet hätten, dass der Schriftsteller für sein Honorar allein auf den Markt seiner Nation angewiesen sei und dass Nationen, die, ohne selbst zu produziren, von ausländischer Literatur zehren, dafür nicht zu zahlen gehalten seien. Auch hat uns die Er- fahrung gelehrt, dass die englischen Autoren und Verleger sich durch eigene wohlfeile Ausgaben den Preisen unsres Bücher- marktes anbequemt haben, dass die englischen Novellen durch das Verbot des Nachdrucks nicht theurer und dass die Ueber- setzungen jedenfalls nicht schlechter geworden sind.
Während das Verlagsrecht mit allen seinen Consequenzen bei uns sich einer fast unbestrittenen Anerkennung erfreut, werden gegen den andern Zweig des geistigen Eigenthumes,
Eine neue Vertheidigung der amerikanischen Gesetzgebung gegenüber der geplünderten deutschen Literatur enthält dagegen die Schrift des Buchhändlers E. Steiger: Der Nachdruck in Nordamerika. New-York 1867.
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I. Einleitung. §. 5. Angriffe auf das geistige Eigenthum.
Wir Deutsche sehen in diesem Augenblicke mit Ungeduld
und mit Genugthuung dem Ablaufe eines Privilegiums entge-
gen, welches den Verlag der Werke unsrer grössten Dichter
betrifft; mit Ungeduld, weil das Privilegium weit über die
Dauer des allgemein gesetzlichen Verlagsrechtes hinaus er-
streckt ist — und mit Genugthuung, weil der Gebrauch, wel-
cher von diesem Privilegium gemacht ist, die Schätze unsrer
Literatur dem allgemeinen Gebrauche verschloss; weil der
geringe Vortheil, welcher den Enkeln Göthes und Schillers
aus diesem Privilegium zufloss, in keinem Verhältnisse stand
zu der übermässig hohen Steuer, welche das Publikum an ih-
ren privilegirten Verleger entrichten musste. Wir haben noch
einzelne andere Beispiele vor Augen gehabt, in denen der Ver-
leger nicht verstanden hat, den Vortheil des Publikums mit
dem seinigen zu verbinden. Dennoch können wir nicht be-
haupten, dass die allgemeine Anerkennung des Verlagsrechtes,
wie Carey dies befürchtet, die Bücher vertheuert und die
Schriftsteller übermässig bereichert habe.
Wir sind wie die Amerikaner ebenfalls lange Zeit in der
Lage gewesen, einen Theil unsres literarischen Bedarfs von
dem englischen und französischen Büchermarkte mit Nach-
drucken und Uebersetzungen zu versorgen, ohne dafür zu
zahlen. Dennoch haben sich keine Stimmen erhoben, welche
die Aufrechterhaltung dieses Missbrauches im Namen der Ge-
rechtigkeit und der Bildung gefordert hätten, welche behauptet
hätten, dass der Schriftsteller für sein Honorar allein auf den
Markt seiner Nation angewiesen sei und dass Nationen, die,
ohne selbst zu produziren, von ausländischer Literatur zehren,
dafür nicht zu zahlen gehalten seien. Auch hat uns die Er-
fahrung gelehrt, dass die englischen Autoren und Verleger sich
durch eigene wohlfeile Ausgaben den Preisen unsres Bücher-
marktes anbequemt haben, dass die englischen Novellen durch
das Verbot des Nachdrucks nicht theurer und dass die Ueber-
setzungen jedenfalls nicht schlechter geworden sind.
Während das Verlagsrecht mit allen seinen Consequenzen
bei uns sich einer fast unbestrittenen Anerkennung erfreut,
werden gegen den andern Zweig des geistigen Eigenthumes,
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1) Eine neue Vertheidigung der amerikanischen Gesetzgebung gegenüber
der geplünderten deutschen Literatur enthält dagegen die Schrift des
Buchhändlers E. Steiger: Der Nachdruck in Nordamerika. New-York 1867.
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Klostermann, Rudolf: Das geistige Eigenthum an Schriften, Kunstwerken und Erfindungen. Bd. 1. Berlin, 1867, S. 30. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/klostermann_eigenthum01_1867/46>, abgerufen am 21.11.2024.
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