Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Klostermann, Rudolf: Das geistige Eigenthum an Schriften, Kunstwerken und Erfindungen. Bd. 1. Berlin, 1867.

Bild:
<< vorherige Seite

II. Geschichte des geistigen Eigenthumes. §. 8. Neuere Zeit. (Forts.)
vorgeschrieben, welche Waaren sie fabriziren durfte, war ferner
für jede Waare bestimmt, in welchen Grössen und Mustern, in
welcher Farbe und Beschaffenheit sie dargestellt wurde. Der
Prozess zwischen den Trödlern und den Schneidern von Paris
über das Recht ganze Anzüge zu verkaufen und über die
Grenze zwischen neuen und getragenen Kleidungsstücken
dauerte von 1530 bis 1776 und die Pariser Zünfte allein
gaben gegen 800,000 Franken jährlich für die über Zunft-
rechte geführten Prozesse aus. 1) Jede Fabrik erhielt bei ihrer
Concessionirung ein Reglement, durch welches die Gattung der
anzufertigenden Waaren, die Stoffe, die verwendet wurden, die
Art der Zubereitung, die Farben, Formen und Muster bis in's
Kleinste bestimmt wurden. Jede Abweichung von diesen Vor-
schriften war mit schweren Geldbussen bedroht.

Heutzutage lacht man über diese Sonderbarkeiten, deren
Möglichkeit man bald vielleicht auch in Mecklenburg nicht
mehr begreift. Damals weinte man darüber. Der schwere
Druck, welchen jene Reglementirung auf die Industrie ausübte,
wird von Roland, dem späteren Minister des Innern, nach sei-
nen Erfahrungen als Generalinspector der Fabriken in der Pi-
cardie wie folgt geschildert: 2)

"Man wollte die Industrie meistern und man hat das Ver-
mögen, ja die Ehre der Bürger in einer so gehässigen Weise,
so leichtfertig zugleich und so grausam angetastet, dass die
Nachwelt ebensowohl aus unsern Reglements die Barbarei der
Zeiten beweisen, als aus den Verhandlungen unsrer Akademien
auf einen hohen Bildungsgrad schliessen könnte."

"Kein Handgriff ist so geringfügig, dass er nicht von der
Verwaltung vorgeschrieben wäre. Sie zeichnet dem Arbeiter
den Weg vor, den er zu gehen hat, immer bei schweren Stra-
fen für jede Abweichung. Und doch verhüte Gott, dass sie
es besser verstände, die Stoffe zu wählen, die Fäden zu spin-
nen und zu zwirnen, als der Arbeiter, der davon lebt und
dessen Existenz von seiner Geschicklichkeit abhängt!"

"Die Ausführung der Reglements verletzt das Hausrecht,
sie gibt den Vorwand zum Durchwühlen der Fabrikräume,

1) Renouard, Traite des brevets d'inventions. Paris 1865. S. 52.
2) Encyclopedie methodique: Manufactures, arts et metiers s. v.
Reglement.

II. Geschichte des geistigen Eigenthumes. §. 8. Neuere Zeit. (Forts.)
vorgeschrieben, welche Waaren sie fabriziren durfte, war ferner
für jede Waare bestimmt, in welchen Grössen und Mustern, in
welcher Farbe und Beschaffenheit sie dargestellt wurde. Der
Prozess zwischen den Trödlern und den Schneidern von Paris
über das Recht ganze Anzüge zu verkaufen und über die
Grenze zwischen neuen und getragenen Kleidungsstücken
dauerte von 1530 bis 1776 und die Pariser Zünfte allein
gaben gegen 800,000 Franken jährlich für die über Zunft-
rechte geführten Prozesse aus. 1) Jede Fabrik erhielt bei ihrer
Concessionirung ein Reglement, durch welches die Gattung der
anzufertigenden Waaren, die Stoffe, die verwendet wurden, die
Art der Zubereitung, die Farben, Formen und Muster bis in’s
Kleinste bestimmt wurden. Jede Abweichung von diesen Vor-
schriften war mit schweren Geldbussen bedroht.

Heutzutage lacht man über diese Sonderbarkeiten, deren
Möglichkeit man bald vielleicht auch in Mecklenburg nicht
mehr begreift. Damals weinte man darüber. Der schwere
Druck, welchen jene Reglementirung auf die Industrie ausübte,
wird von Roland, dem späteren Minister des Innern, nach sei-
nen Erfahrungen als Generalinspector der Fabriken in der Pi-
cardie wie folgt geschildert: 2)

»Man wollte die Industrie meistern und man hat das Ver-
mögen, ja die Ehre der Bürger in einer so gehässigen Weise,
so leichtfertig zugleich und so grausam angetastet, dass die
Nachwelt ebensowohl aus unsern Reglements die Barbarei der
Zeiten beweisen, als aus den Verhandlungen unsrer Akademien
auf einen hohen Bildungsgrad schliessen könnte.«

»Kein Handgriff ist so geringfügig, dass er nicht von der
Verwaltung vorgeschrieben wäre. Sie zeichnet dem Arbeiter
den Weg vor, den er zu gehen hat, immer bei schweren Stra-
fen für jede Abweichung. Und doch verhüte Gott, dass sie
es besser verstände, die Stoffe zu wählen, die Fäden zu spin-
nen und zu zwirnen, als der Arbeiter, der davon lebt und
dessen Existenz von seiner Geschicklichkeit abhängt!«

»Die Ausführung der Reglements verletzt das Hausrecht,
sie gibt den Vorwand zum Durchwühlen der Fabrikräume,

1) Renouard, Traité des brevets d’inventions. Paris 1865. S. 52.
2) Encyclopédie méthodique: Manufactures, arts et metiers s. v.
Règlement.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0080" n="64"/><fw place="top" type="header">II. Geschichte des geistigen Eigenthumes. §. 8. Neuere Zeit. (Forts.)</fw><lb/>
vorgeschrieben, welche Waaren sie fabriziren durfte, war ferner<lb/>
für jede Waare bestimmt, in welchen Grössen und Mustern, in<lb/>
welcher Farbe und Beschaffenheit sie dargestellt wurde. Der<lb/>
Prozess zwischen den Trödlern und den Schneidern von Paris<lb/>
über das Recht ganze Anzüge zu verkaufen und über die<lb/>
Grenze zwischen neuen und getragenen Kleidungsstücken<lb/>
dauerte von 1530 bis 1776 und die Pariser Zünfte allein<lb/>
gaben gegen 800,000 Franken jährlich für die über Zunft-<lb/>
rechte geführten Prozesse aus. <note place="foot" n="1)">Renouard, Traité des brevets d&#x2019;inventions. Paris 1865. S. 52.</note> Jede Fabrik erhielt bei ihrer<lb/>
Concessionirung ein Reglement, durch welches die Gattung der<lb/>
anzufertigenden Waaren, die Stoffe, die verwendet wurden, die<lb/>
Art der Zubereitung, die Farben, Formen und Muster bis in&#x2019;s<lb/>
Kleinste bestimmt wurden. Jede Abweichung von diesen Vor-<lb/>
schriften war mit schweren Geldbussen bedroht.</p><lb/>
            <p>Heutzutage lacht man über diese Sonderbarkeiten, deren<lb/>
Möglichkeit man bald vielleicht auch in Mecklenburg nicht<lb/>
mehr begreift. Damals weinte man darüber. Der schwere<lb/>
Druck, welchen jene Reglementirung auf die Industrie ausübte,<lb/>
wird von Roland, dem späteren Minister des Innern, nach sei-<lb/>
nen Erfahrungen als Generalinspector der Fabriken in der Pi-<lb/>
cardie wie folgt geschildert: <note place="foot" n="2)">Encyclopédie méthodique: Manufactures, arts et metiers s. v.<lb/>
Règlement.</note></p><lb/>
            <p>»Man wollte die Industrie meistern und man hat das Ver-<lb/>
mögen, ja die Ehre der Bürger in einer so gehässigen Weise,<lb/>
so leichtfertig zugleich und so grausam angetastet, dass die<lb/>
Nachwelt ebensowohl aus unsern Reglements die Barbarei der<lb/>
Zeiten beweisen, als aus den Verhandlungen unsrer Akademien<lb/>
auf einen hohen Bildungsgrad schliessen könnte.«</p><lb/>
            <p>»Kein Handgriff ist so geringfügig, dass er nicht von der<lb/>
Verwaltung vorgeschrieben wäre. Sie zeichnet dem Arbeiter<lb/>
den Weg vor, den er zu gehen hat, immer bei schweren Stra-<lb/>
fen für jede Abweichung. Und doch verhüte Gott, dass sie<lb/>
es besser verstände, die Stoffe zu wählen, die Fäden zu spin-<lb/>
nen und zu zwirnen, als der Arbeiter, der davon lebt und<lb/>
dessen Existenz von seiner Geschicklichkeit abhängt!«</p><lb/>
            <p>»Die Ausführung der Reglements verletzt das Hausrecht,<lb/>
sie gibt den Vorwand zum Durchwühlen der Fabrikräume,<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[64/0080] II. Geschichte des geistigen Eigenthumes. §. 8. Neuere Zeit. (Forts.) vorgeschrieben, welche Waaren sie fabriziren durfte, war ferner für jede Waare bestimmt, in welchen Grössen und Mustern, in welcher Farbe und Beschaffenheit sie dargestellt wurde. Der Prozess zwischen den Trödlern und den Schneidern von Paris über das Recht ganze Anzüge zu verkaufen und über die Grenze zwischen neuen und getragenen Kleidungsstücken dauerte von 1530 bis 1776 und die Pariser Zünfte allein gaben gegen 800,000 Franken jährlich für die über Zunft- rechte geführten Prozesse aus. 1) Jede Fabrik erhielt bei ihrer Concessionirung ein Reglement, durch welches die Gattung der anzufertigenden Waaren, die Stoffe, die verwendet wurden, die Art der Zubereitung, die Farben, Formen und Muster bis in’s Kleinste bestimmt wurden. Jede Abweichung von diesen Vor- schriften war mit schweren Geldbussen bedroht. Heutzutage lacht man über diese Sonderbarkeiten, deren Möglichkeit man bald vielleicht auch in Mecklenburg nicht mehr begreift. Damals weinte man darüber. Der schwere Druck, welchen jene Reglementirung auf die Industrie ausübte, wird von Roland, dem späteren Minister des Innern, nach sei- nen Erfahrungen als Generalinspector der Fabriken in der Pi- cardie wie folgt geschildert: 2) »Man wollte die Industrie meistern und man hat das Ver- mögen, ja die Ehre der Bürger in einer so gehässigen Weise, so leichtfertig zugleich und so grausam angetastet, dass die Nachwelt ebensowohl aus unsern Reglements die Barbarei der Zeiten beweisen, als aus den Verhandlungen unsrer Akademien auf einen hohen Bildungsgrad schliessen könnte.« »Kein Handgriff ist so geringfügig, dass er nicht von der Verwaltung vorgeschrieben wäre. Sie zeichnet dem Arbeiter den Weg vor, den er zu gehen hat, immer bei schweren Stra- fen für jede Abweichung. Und doch verhüte Gott, dass sie es besser verstände, die Stoffe zu wählen, die Fäden zu spin- nen und zu zwirnen, als der Arbeiter, der davon lebt und dessen Existenz von seiner Geschicklichkeit abhängt!« »Die Ausführung der Reglements verletzt das Hausrecht, sie gibt den Vorwand zum Durchwühlen der Fabrikräume, 1) Renouard, Traité des brevets d’inventions. Paris 1865. S. 52. 2) Encyclopédie méthodique: Manufactures, arts et metiers s. v. Règlement.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/klostermann_eigenthum01_1867
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/klostermann_eigenthum01_1867/80
Zitationshilfe: Klostermann, Rudolf: Das geistige Eigenthum an Schriften, Kunstwerken und Erfindungen. Bd. 1. Berlin, 1867, S. 64. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/klostermann_eigenthum01_1867/80>, abgerufen am 21.11.2024.