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Knigge, Adolph von: Ueber den Umgang mit Menschen. Bd. 1. Hannover, 1788.

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"den Argwohn erweckt hat; der Versöhnte dankt
"durch das zärtlichste Lächeln und durch die fröh¬
"lichste, plötzlich aufwachende Laune; Man
"nimt mit den Augen Verabredungen auf mor¬
"gen, entschuldigt sich, warnet vor Beobachtern,
"erkennt sich gegenseitige Rechte auf einander
"an -- und hat sich doch noch mit keinem Wört¬
"gen gesagt, was man für einander fühlt.
"Allein man sucht von beyden Seiten ernstlich
"die Gelegenheit dazu; sie kömmt, kömmt oft,
"und man lässt sie ohngenützt vorbeystreichen,
"drückt sich höchstens einmal leise die Hand, und
"doch auch das nie ohne irgend einen schicklichen
"Vorwand, sagt sich aber kein Wort, ist mi߬
"müthig, zweifelt an Gegenliebe, und hat sich
"oft noch nicht gegen einander erklärt, wenn
"man schon die Fabel der ganzen Stadt und
"der Gegenstand der schändlichsten Verleum¬
"dung ist. Ist endlich das längst im Busen
"pochende Bekenntniß den furchtsamen Lippen
"stotternd entflohn, und mit gebrochenen, er¬
"stickten Worten, von einem bis in das In¬
"nerste dringenden Händedrucke begleitet, be¬
"antwortet worden; dann lebt man vollends
"erst ganz für einander, ist so wenig um die

übrige

„den Argwohn erweckt hat; der Verſoͤhnte dankt
„durch das zaͤrtlichſte Laͤcheln und durch die froͤh¬
„lichſte, ploͤtzlich aufwachende Laune; Man
„nimt mit den Augen Verabredungen auf mor¬
„gen, entſchuldigt ſich, warnet vor Beobachtern,
„erkennt ſich gegenſeitige Rechte auf einander
„an — und hat ſich doch noch mit keinem Woͤrt¬
„gen geſagt, was man fuͤr einander fuͤhlt.
„Allein man ſucht von beyden Seiten ernſtlich
„die Gelegenheit dazu; ſie koͤmmt, koͤmmt oft,
„und man laͤſſt ſie ohngenuͤtzt vorbeyſtreichen,
„druͤckt ſich hoͤchſtens einmal leiſe die Hand, und
„doch auch das nie ohne irgend einen ſchicklichen
„Vorwand, ſagt ſich aber kein Wort, iſt mi߬
„muͤthig, zweifelt an Gegenliebe, und hat ſich
„oft noch nicht gegen einander erklaͤrt, wenn
„man ſchon die Fabel der ganzen Stadt und
„der Gegenſtand der ſchaͤndlichſten Verleum¬
„dung iſt. Iſt endlich das laͤngſt im Buſen
„pochende Bekenntniß den furchtſamen Lippen
„ſtotternd entflohn, und mit gebrochenen, er¬
„ſtickten Worten, von einem bis in das In¬
„nerſte dringenden Haͤndedrucke begleitet, be¬
„antwortet worden; dann lebt man vollends
„erſt ganz fuͤr einander, iſt ſo wenig um die

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[166/0196] „den Argwohn erweckt hat; der Verſoͤhnte dankt „durch das zaͤrtlichſte Laͤcheln und durch die froͤh¬ „lichſte, ploͤtzlich aufwachende Laune; Man „nimt mit den Augen Verabredungen auf mor¬ „gen, entſchuldigt ſich, warnet vor Beobachtern, „erkennt ſich gegenſeitige Rechte auf einander „an — und hat ſich doch noch mit keinem Woͤrt¬ „gen geſagt, was man fuͤr einander fuͤhlt. „Allein man ſucht von beyden Seiten ernſtlich „die Gelegenheit dazu; ſie koͤmmt, koͤmmt oft, „und man laͤſſt ſie ohngenuͤtzt vorbeyſtreichen, „druͤckt ſich hoͤchſtens einmal leiſe die Hand, und „doch auch das nie ohne irgend einen ſchicklichen „Vorwand, ſagt ſich aber kein Wort, iſt mi߬ „muͤthig, zweifelt an Gegenliebe, und hat ſich „oft noch nicht gegen einander erklaͤrt, wenn „man ſchon die Fabel der ganzen Stadt und „der Gegenſtand der ſchaͤndlichſten Verleum¬ „dung iſt. Iſt endlich das laͤngſt im Buſen „pochende Bekenntniß den furchtſamen Lippen „ſtotternd entflohn, und mit gebrochenen, er¬ „ſtickten Worten, von einem bis in das In¬ „nerſte dringenden Haͤndedrucke begleitet, be¬ „antwortet worden; dann lebt man vollends „erſt ganz fuͤr einander, iſt ſo wenig um die uͤbrige

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Zitationshilfe: Knigge, Adolph von: Ueber den Umgang mit Menschen. Bd. 1. Hannover, 1788, S. 166. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/knigge_umgang01_1788/196>, abgerufen am 23.11.2024.