und sein System genauer kennen zu lernen; so hüte man sich, vorher Unglauben und Vorwitz zu offenbahren! Er wird sonst bald merken, daß mit uns nicht viel anzufangen ist, daß wir nicht empfänglich für seine Weisheit sind; Er wird uns nicht einweyhn in seine Geheimnisse, nicht zulassen zu seinem esoterischen Unterrichte, und wir werden den Vortheil entbehren, uns und unsre Freunde von dem wahren Zusammenhange zu unterrichten -- ohngerechnet, daß es sich würk¬ lich für einen vernünftigen Mann nicht schickt, sich früher vor oder gegen eine Sache einnehmen zu lassen, bevor er dieselbe kaltblütig untersucht hat, wäre auch aller Anschein dagegen, beson¬ ders wenn es Dinge betrifft, in welchen selbst der Weiseste lebenslang im Finstern tappt.
Glaubt man zuversichtlich einen Betrug ent¬ deckt zu haben; so ist Spott, so ist Persifflage nicht das Mittel, Schwärmer zu bekehren. Man gehe also Schritt vor Schritt, und, da die Sinne leichter getäuscht werden können, als die Vernunft; so fordere man, bevor man sich auf Erscheinungen, Proben und Processe einlässt, daß uns vor allen Dingen zuerst die Theorie,
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und ſein Syſtem genauer kennen zu lernen; ſo huͤte man ſich, vorher Unglauben und Vorwitz zu offenbahren! Er wird ſonſt bald merken, daß mit uns nicht viel anzufangen iſt, daß wir nicht empfaͤnglich fuͤr ſeine Weisheit ſind; Er wird uns nicht einweyhn in ſeine Geheimniſſe, nicht zulaſſen zu ſeinem eſoteriſchen Unterrichte, und wir werden den Vortheil entbehren, uns und unſre Freunde von dem wahren Zuſammenhange zu unterrichten — ohngerechnet, daß es ſich wuͤrk¬ lich fuͤr einen vernuͤnftigen Mann nicht ſchickt, ſich fruͤher vor oder gegen eine Sache einnehmen zu laſſen, bevor er dieſelbe kaltbluͤtig unterſucht hat, waͤre auch aller Anſchein dagegen, beſon¬ ders wenn es Dinge betrifft, in welchen ſelbſt der Weiſeſte lebenslang im Finſtern tappt.
Glaubt man zuverſichtlich einen Betrug ent¬ deckt zu haben; ſo iſt Spott, ſo iſt Perſifflage nicht das Mittel, Schwaͤrmer zu bekehren. Man gehe alſo Schritt vor Schritt, und, da die Sinne leichter getaͤuſcht werden koͤnnen, als die Vernunft; ſo fordere man, bevor man ſich auf Erſcheinungen, Proben und Proceſſe einlaͤſſt, daß uns vor allen Dingen zuerſt die Theorie,
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und ſein Syſtem genauer kennen zu lernen; ſo
huͤte man ſich, vorher Unglauben und Vorwitz
zu offenbahren! Er wird ſonſt bald merken, daß
mit uns nicht viel anzufangen iſt, daß wir nicht
empfaͤnglich fuͤr ſeine Weisheit ſind; Er wird
uns nicht einweyhn in ſeine Geheimniſſe, nicht
zulaſſen zu ſeinem eſoteriſchen Unterrichte, und
wir werden den Vortheil entbehren, uns und
unſre Freunde von dem wahren Zuſammenhange
zu unterrichten — ohngerechnet, daß es ſich wuͤrk¬
lich fuͤr einen vernuͤnftigen Mann nicht ſchickt,
ſich fruͤher vor oder gegen eine Sache einnehmen
zu laſſen, bevor er dieſelbe kaltbluͤtig unterſucht
hat, waͤre auch aller Anſchein dagegen, beſon¬
ders wenn es Dinge betrifft, in welchen ſelbſt
der Weiſeſte lebenslang im Finſtern tappt.
Glaubt man zuverſichtlich einen Betrug ent¬
deckt zu haben; ſo iſt Spott, ſo iſt Perſifflage
nicht das Mittel, Schwaͤrmer zu bekehren. Man
gehe alſo Schritt vor Schritt, und, da die
Sinne leichter getaͤuſcht werden koͤnnen, als die
Vernunft; ſo fordere man, bevor man ſich auf
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Knigge, Adolph von: Ueber den Umgang mit Menschen. Bd. 2. Hannover, 1788, S. 163. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/knigge_umgang02_1788/185>, abgerufen am 17.02.2025.
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