alle Gründe der Philosophie keinen Eingang finden, und da ist Mitgefühl oft das beste Lab¬ sal. Es giebt Kummer, dessen Tilgung man ruhig und still der Zeit überlassen muß; Es giebt Leidende, die erleichtert werden, wenn man mit ihnen über ihr Unglück plaudert; Es giebt Schmerzen, die nur Einsamkeit lindert; Es giebt andre Situationen, in welchen ein festes, männliches Zureden, Erweckung des Muths, Aufruf zu stolzerer Zuversicht angewendet wer¬ den müssen -- ja! es giebt Lagen, wo man den Niedergebeugten mit Gewalt herausziehn und der Verzweiflung entreissen muß. Die Klug¬ heit aber soll uns in jedem dieser einzelnen Fälle lehren, was für Mittel wir zu wählen haben.
Die Unglücklichen ketten sich gern an ein¬ ander. Statt sich aber gemeinschaftlich zu trö¬ sten, winseln sie mehrentheils nur mit einander, und versinken immer tiefer in Schwermuth und Hofnungslosigkeit. Hiervor warne ich daher, und rathe jeden Bedrängten, wenn weder Gründe der Vernunft, die er sich selbst vorhalten kann, noch Zerstreuungen seinen Zustand erträglich ma¬ chen, den Umgang eines verständigen, nicht
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alle Gruͤnde der Philoſophie keinen Eingang finden, und da iſt Mitgefuͤhl oft das beſte Lab¬ ſal. Es giebt Kummer, deſſen Tilgung man ruhig und ſtill der Zeit uͤberlaſſen muß; Es giebt Leidende, die erleichtert werden, wenn man mit ihnen uͤber ihr Ungluͤck plaudert; Es giebt Schmerzen, die nur Einſamkeit lindert; Es giebt andre Situationen, in welchen ein feſtes, maͤnnliches Zureden, Erweckung des Muths, Aufruf zu ſtolzerer Zuverſicht angewendet wer¬ den muͤſſen — ja! es giebt Lagen, wo man den Niedergebeugten mit Gewalt herausziehn und der Verzweiflung entreiſſen muß. Die Klug¬ heit aber ſoll uns in jedem dieſer einzelnen Faͤlle lehren, was fuͤr Mittel wir zu waͤhlen haben.
Die Ungluͤcklichen ketten ſich gern an ein¬ ander. Statt ſich aber gemeinſchaftlich zu troͤ¬ ſten, winſeln ſie mehrentheils nur mit einander, und verſinken immer tiefer in Schwermuth und Hofnungsloſigkeit. Hiervor warne ich daher, und rathe jeden Bedraͤngten, wenn weder Gruͤnde der Vernunft, die er ſich ſelbſt vorhalten kann, noch Zerſtreuungen ſeinen Zuſtand ertraͤglich ma¬ chen, den Umgang eines verſtaͤndigen, nicht
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alle Gruͤnde der Philoſophie keinen Eingang
finden, und da iſt Mitgefuͤhl oft das beſte Lab¬
ſal. Es giebt Kummer, deſſen Tilgung man
ruhig und ſtill der Zeit uͤberlaſſen muß; Es
giebt Leidende, die erleichtert werden, wenn man
mit ihnen uͤber ihr Ungluͤck plaudert; Es giebt
Schmerzen, die nur Einſamkeit lindert; Es
giebt andre Situationen, in welchen ein feſtes,
maͤnnliches Zureden, Erweckung des Muths,
Aufruf zu ſtolzerer Zuverſicht angewendet wer¬
den muͤſſen — ja! es giebt Lagen, wo man
den Niedergebeugten mit Gewalt herausziehn
und der Verzweiflung entreiſſen muß. Die Klug¬
heit aber ſoll uns in jedem dieſer einzelnen Faͤlle
lehren, was fuͤr Mittel wir zu waͤhlen haben.
Die Ungluͤcklichen ketten ſich gern an ein¬
ander. Statt ſich aber gemeinſchaftlich zu troͤ¬
ſten, winſeln ſie mehrentheils nur mit einander,
und verſinken immer tiefer in Schwermuth und
Hofnungsloſigkeit. Hiervor warne ich daher,
und rathe jeden Bedraͤngten, wenn weder Gruͤnde
der Vernunft, die er ſich ſelbſt vorhalten kann,
noch Zerſtreuungen ſeinen Zuſtand ertraͤglich ma¬
chen, den Umgang eines verſtaͤndigen, nicht
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Knigge, Adolph von: Ueber den Umgang mit Menschen. Bd. 2. Hannover, 1788, S. 192. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/knigge_umgang02_1788/214>, abgerufen am 24.11.2024.
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