Gegenstand etwas zu sagen; also zur Sache! Nichts bessert weniger, als kalte moralische Pre¬ digten. Es giebt wenig Menschen, selbst unter den Lasterhaften, die nicht eine Menge herrli¬ cher Gemeinsprüche über die Pflichten, welche sie übertreten, zu sagen wüssten; das Unglück will nur, daß die Stimme der Leidenschaft mit wärmerer Beredsamkeit spricht, als die Stimme der Vernunft. Willst Du also dieser gegen jene Gewicht geben; so musst Du die Kunst ver¬ stehn, Deine Tugend-Lehren in ein reizendes Gewand zu hüllen, musst nicht nur den Kopf, sondern auch das Herz und die Sinnlichkeit Des¬ sen, den Du zurechtweisen willst, auf Deine Seite bringen; Dein Vortrag muß warm, und nach den Umständen bildreich, sinnlich, erschüt¬ ternd, hinreissend seyn; Allein der Mann, den Du vor Dir hast, muß Dich auch lieben und hochschätzen, muß sich zu Dir hingezogen füh¬ len, muß mit Enthusiasmus für das Gute und Schöne erfüllt werden, und dabey in der Ent¬ fernung Ehre, Freude und Genuß auf dem Wege voraussehn, auf welchen Du ihn zu lei¬ ten die Absicht hast. Dein Umgang, Dein Rath muß ihm zum Bedürfnisse werden.
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Gegenſtand etwas zu ſagen; alſo zur Sache! Nichts beſſert weniger, als kalte moraliſche Pre¬ digten. Es giebt wenig Menſchen, ſelbſt unter den Laſterhaften, die nicht eine Menge herrli¬ cher Gemeinſpruͤche uͤber die Pflichten, welche ſie uͤbertreten, zu ſagen wuͤſſten; das Ungluͤck will nur, daß die Stimme der Leidenſchaft mit waͤrmerer Beredſamkeit ſpricht, als die Stimme der Vernunft. Willſt Du alſo dieſer gegen jene Gewicht geben; ſo muſſt Du die Kunſt ver¬ ſtehn, Deine Tugend-Lehren in ein reizendes Gewand zu huͤllen, muſſt nicht nur den Kopf, ſondern auch das Herz und die Sinnlichkeit Deſ¬ ſen, den Du zurechtweiſen willſt, auf Deine Seite bringen; Dein Vortrag muß warm, und nach den Umſtaͤnden bildreich, ſinnlich, erſchuͤt¬ ternd, hinreiſſend ſeyn; Allein der Mann, den Du vor Dir haſt, muß Dich auch lieben und hochſchaͤtzen, muß ſich zu Dir hingezogen fuͤh¬ len, muß mit Enthuſiasmus fuͤr das Gute und Schoͤne erfuͤllt werden, und dabey in der Ent¬ fernung Ehre, Freude und Genuß auf dem Wege vorausſehn, auf welchen Du ihn zu lei¬ ten die Abſicht haſt. Dein Umgang, Dein Rath muß ihm zum Beduͤrfniſſe werden.
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Gegenſtand etwas zu ſagen; alſo zur Sache!
Nichts beſſert weniger, als kalte moraliſche Pre¬
digten. Es giebt wenig Menſchen, ſelbſt unter
den Laſterhaften, die nicht eine Menge herrli¬
cher Gemeinſpruͤche uͤber die Pflichten, welche
ſie uͤbertreten, zu ſagen wuͤſſten; das Ungluͤck
will nur, daß die Stimme der Leidenſchaft mit
waͤrmerer Beredſamkeit ſpricht, als die Stimme
der Vernunft. Willſt Du alſo dieſer gegen jene
Gewicht geben; ſo muſſt Du die Kunſt ver¬
ſtehn, Deine Tugend-Lehren in ein reizendes
Gewand zu huͤllen, muſſt nicht nur den Kopf,
ſondern auch das Herz und die Sinnlichkeit Deſ¬
ſen, den Du zurechtweiſen willſt, auf Deine
Seite bringen; Dein Vortrag muß warm, und
nach den Umſtaͤnden bildreich, ſinnlich, erſchuͤt¬
ternd, hinreiſſend ſeyn; Allein der Mann, den
Du vor Dir haſt, muß Dich auch lieben und
hochſchaͤtzen, muß ſich zu Dir hingezogen fuͤh¬
len, muß mit Enthuſiasmus fuͤr das Gute und
Schoͤne erfuͤllt werden, und dabey in der Ent¬
fernung Ehre, Freude und Genuß auf dem
Wege vorausſehn, auf welchen Du ihn zu lei¬
ten die Abſicht haſt. Dein Umgang, Dein
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Knigge, Adolph von: Ueber den Umgang mit Menschen. Bd. 2. Hannover, 1788, S. 197. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/knigge_umgang02_1788/219>, abgerufen am 09.11.2024.
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