Dies aber erlangst Du nicht, wenn Du als ein stolzer, strenger Gesetzprediger vor ihm hintritst; wenn Du ihm mit Deiner kalten Moral Langeweile machst; wenn Du ihn mit Anmerkungen über das Geschehene, das doch nun nicht mehr zu ändern ist, ermüdest, und ihm erzählst, wie es ganz anders würde gekom¬ men seyn, wenn -- es nicht so gekommen wäre, als es gekommen ist, wenn er Dir hätte folgen wollen. Nichts ist ferner so fähig, zur Nieder¬ trächtigkeit zu verleiten, als öffentliche Verach¬ tung und Bezeugung eines fortdauernden Mis¬ trauens in die Besserung eines Menschen. Wem es daher ein Ernst ist, einen Verirrten zurecht¬ zuführen, der begegne ihm mit Schonung, und zeige ihm wenigstens äusserlich, daß man die beste Erwartung von ihm habe, daß man von seinen herrlichen und guten Vorsätzen alles hof¬ fen könne, und gebe ihm zu verstehn, daß wenn er einmal wieder mit festem Fuße auf edlerer Bahn wandle, er sichrer vor neuer Verführung seyn werde, als Der, welcher die Gefahr nicht kennt! Man zeige ihm, wenn er würklich an¬ fängt sich zu bessern, wäre diese Besserung auch anfangs nur erzwungen oder verstellt, wie mit je¬
dem
Dies aber erlangſt Du nicht, wenn Du als ein ſtolzer, ſtrenger Geſetzprediger vor ihm hintritſt; wenn Du ihm mit Deiner kalten Moral Langeweile machſt; wenn Du ihn mit Anmerkungen uͤber das Geſchehene, das doch nun nicht mehr zu aͤndern iſt, ermuͤdeſt, und ihm erzaͤhlſt, wie es ganz anders wuͤrde gekom¬ men ſeyn, wenn — es nicht ſo gekommen waͤre, als es gekommen iſt, wenn er Dir haͤtte folgen wollen. Nichts iſt ferner ſo faͤhig, zur Nieder¬ traͤchtigkeit zu verleiten, als oͤffentliche Verach¬ tung und Bezeugung eines fortdauernden Mis¬ trauens in die Beſſerung eines Menſchen. Wem es daher ein Ernſt iſt, einen Verirrten zurecht¬ zufuͤhren, der begegne ihm mit Schonung, und zeige ihm wenigſtens aͤuſſerlich, daß man die beſte Erwartung von ihm habe, daß man von ſeinen herrlichen und guten Vorſaͤtzen alles hof¬ fen koͤnne, und gebe ihm zu verſtehn, daß wenn er einmal wieder mit feſtem Fuße auf edlerer Bahn wandle, er ſichrer vor neuer Verfuͤhrung ſeyn werde, als Der, welcher die Gefahr nicht kennt! Man zeige ihm, wenn er wuͤrklich an¬ faͤngt ſich zu beſſern, waͤre dieſe Beſſerung auch anfangs nur erzwungen oder verſtellt, wie mit je¬
dem
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Dies aber erlangſt Du nicht, wenn Du als
ein ſtolzer, ſtrenger Geſetzprediger vor ihm
hintritſt; wenn Du ihm mit Deiner kalten
Moral Langeweile machſt; wenn Du ihn mit
Anmerkungen uͤber das Geſchehene, das doch
nun nicht mehr zu aͤndern iſt, ermuͤdeſt, und
ihm erzaͤhlſt, wie es ganz anders wuͤrde gekom¬
men ſeyn, wenn — es nicht ſo gekommen waͤre,
als es gekommen iſt, wenn er Dir haͤtte folgen
wollen. Nichts iſt ferner ſo faͤhig, zur Nieder¬
traͤchtigkeit zu verleiten, als oͤffentliche Verach¬
tung und Bezeugung eines fortdauernden Mis¬
trauens in die Beſſerung eines Menſchen. Wem
es daher ein Ernſt iſt, einen Verirrten zurecht¬
zufuͤhren, der begegne ihm mit Schonung, und
zeige ihm wenigſtens aͤuſſerlich, daß man die
beſte Erwartung von ihm habe, daß man von
ſeinen herrlichen und guten Vorſaͤtzen alles hof¬
fen koͤnne, und gebe ihm zu verſtehn, daß wenn
er einmal wieder mit feſtem Fuße auf edlerer
Bahn wandle, er ſichrer vor neuer Verfuͤhrung
ſeyn werde, als Der, welcher die Gefahr nicht
kennt! Man zeige ihm, wenn er wuͤrklich an¬
faͤngt ſich zu beſſern, waͤre dieſe Beſſerung auch
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Knigge, Adolph von: Ueber den Umgang mit Menschen. Bd. 2. Hannover, 1788, S. 198. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/knigge_umgang02_1788/220>, abgerufen am 09.11.2024.
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