wir verwechseln nur gar zu leicht die Grundsä¬ tze, welche auf diese Uebereinkünfte beruhen, mit den unwandelbaren Vorschriften der reinen Weisheit. Wir sind nun einmal gewöhnt, nach jenem Maßstabe zu denken, oder vielmehr Worte nachzulallen, deren zweydeutigen Sinn wir Mühe haben würden, einem ganz rohen Wilden zu erklären; und so halten wir denn Denjenigen für einen Schafskopf, der von allem diesen auswendig gelernten Zeuge nichts weiß, und nur so redet -- wie ihm der Schnabel ge¬ wachsen ist. Wie oft haben mich, über Kunst¬ werke, die Aussprüche gemeiner Leute ohne alle Cultur, Aussprüche, die dem so genannten Kenner sehr abgeschmackt vorkommen würden, aus dem Zauber einer falschen, erzwungenen Illusion gerissen, und den Sinn für wahre, ächte Natur in mir wieder erweckt! Wie oft habe ich im Schauspielhause erst das nüchterne Urtheil der Gallerie erwartet, habe erwartet, was für Eindruck eine Scene aus das unbesto¬ chene Volk, das wir Pöbel nennen, machen, habe erwartet, ob ein rührender Auftritt allge¬ meine Stille, oder lautes Gelächter verbreiten würde, um mich zu bestimmen in meinem Glau¬
ben,
wir verwechſeln nur gar zu leicht die Grundſaͤ¬ tze, welche auf dieſe Uebereinkuͤnfte beruhen, mit den unwandelbaren Vorſchriften der reinen Weisheit. Wir ſind nun einmal gewoͤhnt, nach jenem Maßſtabe zu denken, oder vielmehr Worte nachzulallen, deren zweydeutigen Sinn wir Muͤhe haben wuͤrden, einem ganz rohen Wilden zu erklaͤren; und ſo halten wir denn Denjenigen fuͤr einen Schafskopf, der von allem dieſen auswendig gelernten Zeuge nichts weiß, und nur ſo redet — wie ihm der Schnabel ge¬ wachſen iſt. Wie oft haben mich, uͤber Kunſt¬ werke, die Ausſpruͤche gemeiner Leute ohne alle Cultur, Ausſpruͤche, die dem ſo genannten Kenner ſehr abgeſchmackt vorkommen wuͤrden, aus dem Zauber einer falſchen, erzwungenen Illuſion geriſſen, und den Sinn fuͤr wahre, aͤchte Natur in mir wieder erweckt! Wie oft habe ich im Schauſpielhauſe erſt das nuͤchterne Urtheil der Gallerie erwartet, habe erwartet, was fuͤr Eindruck eine Scene aus das unbeſto¬ chene Volk, das wir Poͤbel nennen, machen, habe erwartet, ob ein ruͤhrender Auftritt allge¬ meine Stille, oder lautes Gelaͤchter verbreiten wuͤrde, um mich zu beſtimmen in meinem Glau¬
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wir verwechſeln nur gar zu leicht die Grundſaͤ¬
tze, welche auf dieſe Uebereinkuͤnfte beruhen,
mit den unwandelbaren Vorſchriften der reinen
Weisheit. Wir ſind nun einmal gewoͤhnt,
nach jenem Maßſtabe zu denken, oder vielmehr
Worte nachzulallen, deren zweydeutigen Sinn
wir Muͤhe haben wuͤrden, einem ganz rohen
Wilden zu erklaͤren; und ſo halten wir denn
Denjenigen fuͤr einen Schafskopf, der von allem
dieſen auswendig gelernten Zeuge nichts weiß,
und nur ſo redet — wie ihm der Schnabel ge¬
wachſen iſt. Wie oft haben mich, uͤber Kunſt¬
werke, die Ausſpruͤche gemeiner Leute ohne
alle Cultur, Ausſpruͤche, die dem ſo genannten
Kenner ſehr abgeſchmackt vorkommen wuͤrden,
aus dem Zauber einer falſchen, erzwungenen
Illuſion geriſſen, und den Sinn fuͤr wahre,
aͤchte Natur in mir wieder erweckt! Wie oft
habe ich im Schauſpielhauſe erſt das nuͤchterne
Urtheil der Gallerie erwartet, habe erwartet,
was fuͤr Eindruck eine Scene aus das unbeſto¬
chene Volk, das wir Poͤbel nennen, machen,
habe erwartet, ob ein ruͤhrender Auftritt allge¬
meine Stille, oder lautes Gelaͤchter verbreiten
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Knigge, Adolph von: Ueber den Umgang mit Menschen. Bd. 2. Hannover, 1788, S. 251. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/knigge_umgang02_1788/273>, abgerufen am 24.11.2024.
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