Nicht toleranter als die Frömmler pflegen ihre Gegenfüßler, die Deisten, Freygeister und Religions-Spötter von gemeiner Art zu seyn. Ein Mann der unglücklich genug ist, sich von der Wahrheit, Heiligkeit und Noth¬ wendigkeit der christlichen Religion nicht über¬ zeugen zu können, verdient Mitleiden, weil er ein sehr wesentliches Glück, einen kräftigen Trost im Leben und Sterben entbehrt; Er verdient mehr als Mitleiden, er verdient Liebe und Ach¬ tung, wenn er dabey seine Pflichten als Mensch und Bürger, so viel an ihm ist, treulich erfüllt, und niemand in seinem Glauben irremacht; Wenn aber jemand, der aus bösem Willen, aus Verkehrtheit des Kopf oder des Herzens, ein Religions-Verächter geworden, oder gar zu seyn nur affectirt, aller Orten Proseliten zu werben sucht, öffentlich mit schaalem Witze oder nachgebetheten voltairischen Floskeln der Lehren spottet, auf welche andre Menschen ihre einzige Hofnung, ihre zeitliche und ewige Glückselig¬ keit bauen; Wenn er Jeden verfolgt, verachtet, schimpft, Jeden einen Heuchler oder heimlichen Jesuiten schilt, der nicht wie Er denkt; so ist
ein
29.
Nicht toleranter als die Froͤmmler pflegen ihre Gegenfuͤßler, die Deiſten, Freygeiſter und Religions-Spoͤtter von gemeiner Art zu ſeyn. Ein Mann der ungluͤcklich genug iſt, ſich von der Wahrheit, Heiligkeit und Noth¬ wendigkeit der chriſtlichen Religion nicht uͤber¬ zeugen zu koͤnnen, verdient Mitleiden, weil er ein ſehr weſentliches Gluͤck, einen kraͤftigen Troſt im Leben und Sterben entbehrt; Er verdient mehr als Mitleiden, er verdient Liebe und Ach¬ tung, wenn er dabey ſeine Pflichten als Menſch und Buͤrger, ſo viel an ihm iſt, treulich erfuͤllt, und niemand in ſeinem Glauben irremacht; Wenn aber jemand, der aus boͤſem Willen, aus Verkehrtheit des Kopf oder des Herzens, ein Religions-Veraͤchter geworden, oder gar zu ſeyn nur affectirt, aller Orten Proſeliten zu werben ſucht, oͤffentlich mit ſchaalem Witze oder nachgebetheten voltairiſchen Floskeln der Lehren ſpottet, auf welche andre Menſchen ihre einzige Hofnung, ihre zeitliche und ewige Gluͤckſelig¬ keit bauen; Wenn er Jeden verfolgt, verachtet, ſchimpft, Jeden einen Heuchler oder heimlichen Jeſuiten ſchilt, der nicht wie Er denkt; ſo iſt
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29.
Nicht toleranter als die Froͤmmler pflegen
ihre Gegenfuͤßler, die Deiſten, Freygeiſter
und Religions-Spoͤtter von gemeiner Art
zu ſeyn. Ein Mann der ungluͤcklich genug iſt,
ſich von der Wahrheit, Heiligkeit und Noth¬
wendigkeit der chriſtlichen Religion nicht uͤber¬
zeugen zu koͤnnen, verdient Mitleiden, weil er
ein ſehr weſentliches Gluͤck, einen kraͤftigen Troſt
im Leben und Sterben entbehrt; Er verdient
mehr als Mitleiden, er verdient Liebe und Ach¬
tung, wenn er dabey ſeine Pflichten als Menſch
und Buͤrger, ſo viel an ihm iſt, treulich erfuͤllt,
und niemand in ſeinem Glauben irremacht;
Wenn aber jemand, der aus boͤſem Willen,
aus Verkehrtheit des Kopf oder des Herzens,
ein Religions-Veraͤchter geworden, oder gar zu
ſeyn nur affectirt, aller Orten Proſeliten zu
werben ſucht, oͤffentlich mit ſchaalem Witze oder
nachgebetheten voltairiſchen Floskeln der Lehren
ſpottet, auf welche andre Menſchen ihre einzige
Hofnung, ihre zeitliche und ewige Gluͤckſelig¬
keit bauen; Wenn er Jeden verfolgt, verachtet,
ſchimpft, Jeden einen Heuchler oder heimlichen
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Knigge, Adolph von: Ueber den Umgang mit Menschen. Bd. 2. Hannover, 1788, S. 266. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/knigge_umgang02_1788/288>, abgerufen am 24.11.2024.
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