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Knigge, Adolph von: Ueber den Umgang mit Menschen. Bd. 2. Hannover, 1788.

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wachender Hochmuth an seiner Seele, indeß er
seinen Cörper durch Ausschweifungen zerrüttete.
Er wurde würklich ein Narr, und einmal so ra¬
send, daß man ihn ein halbes Jahr hindurch an
der Kette verwahren musste. Als ich ihn sahe,
war er ein alter Mann, trieb sich in einem arm¬
seligen Zustande umher, wurde als ein verrück¬
ter Mensch angesehn, war aber mehr ein Ge¬
genstand des Wiederwillens, als des Mitleidens,
und hatte doch noch helle Augenblicke, in wel¬
chen er ungewöhnlichen Scharfsinn, Witz und
Genie verrieth, auch, wenn er einen halben
Gulden erbetteln wollte, auf eine so feine Weise
zu schmeicheln, und mit so schlauer Menschen¬
kenntniß die schwachen Seiten der Leute zu
fassen verstand, daß ich nicht wusste, ob ich nicht
mehr über die Leute, die ihn so tief hinabgesto¬
ßen hatten, als über seine Verirrungen seufzen
sollte.

Der andre Mensch, von welchem ich reden
wollte, war einstens Verwalter auf einem ade¬
lichen Gute gewesen, nachher aber in Pension
gesetzt worden. Da nun solchergestalt die Herr¬
schaft nichts mit ihm anzufangen wusste; so

trieb

wachender Hochmuth an ſeiner Seele, indeß er
ſeinen Coͤrper durch Ausſchweifungen zerruͤttete.
Er wurde wuͤrklich ein Narr, und einmal ſo ra¬
ſend, daß man ihn ein halbes Jahr hindurch an
der Kette verwahren muſſte. Als ich ihn ſahe,
war er ein alter Mann, trieb ſich in einem arm¬
ſeligen Zuſtande umher, wurde als ein verruͤck¬
ter Menſch angeſehn, war aber mehr ein Ge¬
genſtand des Wiederwillens, als des Mitleidens,
und hatte doch noch helle Augenblicke, in wel¬
chen er ungewoͤhnlichen Scharfſinn, Witz und
Genie verrieth, auch, wenn er einen halben
Gulden erbetteln wollte, auf eine ſo feine Weiſe
zu ſchmeicheln, und mit ſo ſchlauer Menſchen¬
kenntniß die ſchwachen Seiten der Leute zu
faſſen verſtand, daß ich nicht wuſſte, ob ich nicht
mehr uͤber die Leute, die ihn ſo tief hinabgeſto¬
ßen hatten, als uͤber ſeine Verirrungen ſeufzen
ſollte.

Der andre Menſch, von welchem ich reden
wollte, war einſtens Verwalter auf einem ade¬
lichen Gute geweſen, nachher aber in Penſion
geſetzt worden. Da nun ſolchergeſtalt die Herr¬
ſchaft nichts mit ihm anzufangen wuſſte; ſo

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[272/0294] wachender Hochmuth an ſeiner Seele, indeß er ſeinen Coͤrper durch Ausſchweifungen zerruͤttete. Er wurde wuͤrklich ein Narr, und einmal ſo ra¬ ſend, daß man ihn ein halbes Jahr hindurch an der Kette verwahren muſſte. Als ich ihn ſahe, war er ein alter Mann, trieb ſich in einem arm¬ ſeligen Zuſtande umher, wurde als ein verruͤck¬ ter Menſch angeſehn, war aber mehr ein Ge¬ genſtand des Wiederwillens, als des Mitleidens, und hatte doch noch helle Augenblicke, in wel¬ chen er ungewoͤhnlichen Scharfſinn, Witz und Genie verrieth, auch, wenn er einen halben Gulden erbetteln wollte, auf eine ſo feine Weiſe zu ſchmeicheln, und mit ſo ſchlauer Menſchen¬ kenntniß die ſchwachen Seiten der Leute zu faſſen verſtand, daß ich nicht wuſſte, ob ich nicht mehr uͤber die Leute, die ihn ſo tief hinabgeſto¬ ßen hatten, als uͤber ſeine Verirrungen ſeufzen ſollte. Der andre Menſch, von welchem ich reden wollte, war einſtens Verwalter auf einem ade¬ lichen Gute geweſen, nachher aber in Penſion geſetzt worden. Da nun ſolchergeſtalt die Herr¬ ſchaft nichts mit ihm anzufangen wuſſte; ſo trieb

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Zitationshilfe: Knigge, Adolph von: Ueber den Umgang mit Menschen. Bd. 2. Hannover, 1788, S. 272. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/knigge_umgang02_1788/294>, abgerufen am 23.11.2024.