wachender Hochmuth an seiner Seele, indeß er seinen Cörper durch Ausschweifungen zerrüttete. Er wurde würklich ein Narr, und einmal so ra¬ send, daß man ihn ein halbes Jahr hindurch an der Kette verwahren musste. Als ich ihn sahe, war er ein alter Mann, trieb sich in einem arm¬ seligen Zustande umher, wurde als ein verrück¬ ter Mensch angesehn, war aber mehr ein Ge¬ genstand des Wiederwillens, als des Mitleidens, und hatte doch noch helle Augenblicke, in wel¬ chen er ungewöhnlichen Scharfsinn, Witz und Genie verrieth, auch, wenn er einen halben Gulden erbetteln wollte, auf eine so feine Weise zu schmeicheln, und mit so schlauer Menschen¬ kenntniß die schwachen Seiten der Leute zu fassen verstand, daß ich nicht wusste, ob ich nicht mehr über die Leute, die ihn so tief hinabgesto¬ ßen hatten, als über seine Verirrungen seufzen sollte.
Der andre Mensch, von welchem ich reden wollte, war einstens Verwalter auf einem ade¬ lichen Gute gewesen, nachher aber in Pension gesetzt worden. Da nun solchergestalt die Herr¬ schaft nichts mit ihm anzufangen wusste; so
trieb
wachender Hochmuth an ſeiner Seele, indeß er ſeinen Coͤrper durch Ausſchweifungen zerruͤttete. Er wurde wuͤrklich ein Narr, und einmal ſo ra¬ ſend, daß man ihn ein halbes Jahr hindurch an der Kette verwahren muſſte. Als ich ihn ſahe, war er ein alter Mann, trieb ſich in einem arm¬ ſeligen Zuſtande umher, wurde als ein verruͤck¬ ter Menſch angeſehn, war aber mehr ein Ge¬ genſtand des Wiederwillens, als des Mitleidens, und hatte doch noch helle Augenblicke, in wel¬ chen er ungewoͤhnlichen Scharfſinn, Witz und Genie verrieth, auch, wenn er einen halben Gulden erbetteln wollte, auf eine ſo feine Weiſe zu ſchmeicheln, und mit ſo ſchlauer Menſchen¬ kenntniß die ſchwachen Seiten der Leute zu faſſen verſtand, daß ich nicht wuſſte, ob ich nicht mehr uͤber die Leute, die ihn ſo tief hinabgeſto¬ ßen hatten, als uͤber ſeine Verirrungen ſeufzen ſollte.
Der andre Menſch, von welchem ich reden wollte, war einſtens Verwalter auf einem ade¬ lichen Gute geweſen, nachher aber in Penſion geſetzt worden. Da nun ſolchergeſtalt die Herr¬ ſchaft nichts mit ihm anzufangen wuſſte; ſo
trieb
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wachender Hochmuth an ſeiner Seele, indeß er
ſeinen Coͤrper durch Ausſchweifungen zerruͤttete.
Er wurde wuͤrklich ein Narr, und einmal ſo ra¬
ſend, daß man ihn ein halbes Jahr hindurch an
der Kette verwahren muſſte. Als ich ihn ſahe,
war er ein alter Mann, trieb ſich in einem arm¬
ſeligen Zuſtande umher, wurde als ein verruͤck¬
ter Menſch angeſehn, war aber mehr ein Ge¬
genſtand des Wiederwillens, als des Mitleidens,
und hatte doch noch helle Augenblicke, in wel¬
chen er ungewoͤhnlichen Scharfſinn, Witz und
Genie verrieth, auch, wenn er einen halben
Gulden erbetteln wollte, auf eine ſo feine Weiſe
zu ſchmeicheln, und mit ſo ſchlauer Menſchen¬
kenntniß die ſchwachen Seiten der Leute zu
faſſen verſtand, daß ich nicht wuſſte, ob ich nicht
mehr uͤber die Leute, die ihn ſo tief hinabgeſto¬
ßen hatten, als uͤber ſeine Verirrungen ſeufzen
ſollte.
Der andre Menſch, von welchem ich reden
wollte, war einſtens Verwalter auf einem ade¬
lichen Gute geweſen, nachher aber in Penſion
geſetzt worden. Da nun ſolchergeſtalt die Herr¬
ſchaft nichts mit ihm anzufangen wuſſte; ſo
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Knigge, Adolph von: Ueber den Umgang mit Menschen. Bd. 2. Hannover, 1788, S. 272. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/knigge_umgang02_1788/294>, abgerufen am 23.11.2024.
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