Reden wir jezt aber auch von dem Betra¬ gen, von den Pflichten des Lesers gegen den Schriftsteller! Zuerst soll, denke ich, Jener nie vergessen, daß Dieser sich nicht nach dem Ge¬ schmacke jedes Einzelnen richten kann. Was für Dich, in Deiner Lage, in Deiner Stimmung, höchst interessant ist, das scheint einem Andern vielleicht äusserst langweilig und unbedeutend, und wahrlich der Mann müsste ein Hexenmei¬ ster seyn, der ein Buch verfassen könnte, in welchem Jeder für sein Paar Groschen fände, was er suchte. Es giebt Bücher, die man durchaus nur dann lesen muß, wenn man eben so gestimmt ist, als der Mann war, der sie schrieb, so wie es auch andre giebt deren Sinn und Schönheit man immer, in jeder Laune, fas¬ sen, und sich eigen machen kann. Nicht immer sind darum Jene geistvoll, groß und erhaben von Inhalte, noch im Gegentheil immer schwär¬ merisch und fieberhaft. Nicht immer enthalten darum Diese lauter bestimmte, ewige Wahrhei¬ ten, auf kalte, unwiederlegbare, allein des voll¬ kommnen Mannes würdige, unerschütterliche Philosophie gegründet, oder, im Gegentheile,
nicht
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Reden wir jezt aber auch von dem Betra¬ gen, von den Pflichten des Leſers gegen den Schriftſteller! Zuerſt ſoll, denke ich, Jener nie vergeſſen, daß Dieſer ſich nicht nach dem Ge¬ ſchmacke jedes Einzelnen richten kann. Was fuͤr Dich, in Deiner Lage, in Deiner Stimmung, hoͤchſt intereſſant iſt, das ſcheint einem Andern vielleicht aͤuſſerſt langweilig und unbedeutend, und wahrlich der Mann muͤſſte ein Hexenmei¬ ſter ſeyn, der ein Buch verfaſſen koͤnnte, in welchem Jeder fuͤr ſein Paar Groſchen faͤnde, was er ſuchte. Es giebt Buͤcher, die man durchaus nur dann leſen muß, wenn man eben ſo geſtimmt iſt, als der Mann war, der ſie ſchrieb, ſo wie es auch andre giebt deren Sinn und Schoͤnheit man immer, in jeder Laune, faſ¬ ſen, und ſich eigen machen kann. Nicht immer ſind darum Jene geiſtvoll, groß und erhaben von Inhalte, noch im Gegentheil immer ſchwaͤr¬ meriſch und fieberhaft. Nicht immer enthalten darum Dieſe lauter beſtimmte, ewige Wahrhei¬ ten, auf kalte, unwiederlegbare, allein des voll¬ kommnen Mannes wuͤrdige, unerſchuͤtterliche Philoſophie gegruͤndet, oder, im Gegentheile,
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Reden wir jezt aber auch von dem Betra¬
gen, von den Pflichten des Leſers gegen den
Schriftſteller! Zuerſt ſoll, denke ich, Jener nie
vergeſſen, daß Dieſer ſich nicht nach dem Ge¬
ſchmacke jedes Einzelnen richten kann. Was
fuͤr Dich, in Deiner Lage, in Deiner Stimmung,
hoͤchſt intereſſant iſt, das ſcheint einem Andern
vielleicht aͤuſſerſt langweilig und unbedeutend,
und wahrlich der Mann muͤſſte ein Hexenmei¬
ſter ſeyn, der ein Buch verfaſſen koͤnnte, in
welchem Jeder fuͤr ſein Paar Groſchen faͤnde,
was er ſuchte. Es giebt Buͤcher, die man
durchaus nur dann leſen muß, wenn man eben
ſo geſtimmt iſt, als der Mann war, der ſie
ſchrieb, ſo wie es auch andre giebt deren Sinn
und Schoͤnheit man immer, in jeder Laune, faſ¬
ſen, und ſich eigen machen kann. Nicht immer
ſind darum Jene geiſtvoll, groß und erhaben
von Inhalte, noch im Gegentheil immer ſchwaͤr¬
meriſch und fieberhaft. Nicht immer enthalten
darum Dieſe lauter beſtimmte, ewige Wahrhei¬
ten, auf kalte, unwiederlegbare, allein des voll¬
kommnen Mannes wuͤrdige, unerſchuͤtterliche
Philoſophie gegruͤndet, oder, im Gegentheile,
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Knigge, Adolph von: Ueber den Umgang mit Menschen. Bd. 2. Hannover, 1788, S. 313. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/knigge_umgang02_1788/335>, abgerufen am 21.11.2024.
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