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Knigge, Adolph von: Ueber den Umgang mit Menschen. Bd. 2. Hannover, 1788.

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ken, daß er vor Fehlern warnt, wenn er selbst
auch nicht stark genug ist, diese Fehler zu ver¬
meiden, und es würde unbillig seyn, ihn des¬
falls für einen Heuchler zu halten (obgleich es
eben so unbillig wäre, ohne Beweis vorauszu¬
setzen, er thue das Gegentheil von dem, was er
lehrt, oder man müsse seine Worte anders aus¬
legen, als sie lauten.) Von der andern Seite
soll man auch nicht die Grundsätze, die ein
Schriftsteller den Personen seiner eigenen Schö¬
pfung in den Mund legt, als seine eigenen an¬
sehn, noch einen Mann deswegen für einen Bö¬
sewicht, oder Faun, oder Menschenhasser hal¬
ten, weil seine üppige Phantasie, sein Feuer
ihn verleitet, irgend einen boshaften Character
von einer glänzenden Seite darzustellen, oder
eine wollüstige Scene mit lebhaften Farben zu
schildern, oder mit Bitterkeit über Thorheiten zu
spotten. Wohl thäte er besser, wenn er das un¬
terliesse, aber er ist darum noch kein schlechter
Mann, und so wie man bey hungrigem Magen
Götter-Malzeiten schildern kann; so kenne ich
Dichter, die Wein und materielle Liebe besin¬
gen, und dennoch die mäßigsten, keuschesten
Menschen sind; kenne Schriftsteller, die Greuel

von

ken, daß er vor Fehlern warnt, wenn er ſelbſt
auch nicht ſtark genug iſt, dieſe Fehler zu ver¬
meiden, und es wuͤrde unbillig ſeyn, ihn des¬
falls fuͤr einen Heuchler zu halten (obgleich es
eben ſo unbillig waͤre, ohne Beweis vorauszu¬
ſetzen, er thue das Gegentheil von dem, was er
lehrt, oder man muͤſſe ſeine Worte anders aus¬
legen, als ſie lauten.) Von der andern Seite
ſoll man auch nicht die Grundſaͤtze, die ein
Schriftſteller den Perſonen ſeiner eigenen Schoͤ¬
pfung in den Mund legt, als ſeine eigenen an¬
ſehn, noch einen Mann deswegen fuͤr einen Boͤ¬
ſewicht, oder Faun, oder Menſchenhaſſer hal¬
ten, weil ſeine uͤppige Phantaſie, ſein Feuer
ihn verleitet, irgend einen boshaften Character
von einer glaͤnzenden Seite darzuſtellen, oder
eine wolluͤſtige Scene mit lebhaften Farben zu
ſchildern, oder mit Bitterkeit uͤber Thorheiten zu
ſpotten. Wohl thaͤte er beſſer, wenn er das un¬
terlieſſe, aber er iſt darum noch kein ſchlechter
Mann, und ſo wie man bey hungrigem Magen
Goͤtter-Malzeiten ſchildern kann; ſo kenne ich
Dichter, die Wein und materielle Liebe beſin¬
gen, und dennoch die maͤßigſten, keuſcheſten
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[70/0092] ken, daß er vor Fehlern warnt, wenn er ſelbſt auch nicht ſtark genug iſt, dieſe Fehler zu ver¬ meiden, und es wuͤrde unbillig ſeyn, ihn des¬ falls fuͤr einen Heuchler zu halten (obgleich es eben ſo unbillig waͤre, ohne Beweis vorauszu¬ ſetzen, er thue das Gegentheil von dem, was er lehrt, oder man muͤſſe ſeine Worte anders aus¬ legen, als ſie lauten.) Von der andern Seite ſoll man auch nicht die Grundſaͤtze, die ein Schriftſteller den Perſonen ſeiner eigenen Schoͤ¬ pfung in den Mund legt, als ſeine eigenen an¬ ſehn, noch einen Mann deswegen fuͤr einen Boͤ¬ ſewicht, oder Faun, oder Menſchenhaſſer hal¬ ten, weil ſeine uͤppige Phantaſie, ſein Feuer ihn verleitet, irgend einen boshaften Character von einer glaͤnzenden Seite darzuſtellen, oder eine wolluͤſtige Scene mit lebhaften Farben zu ſchildern, oder mit Bitterkeit uͤber Thorheiten zu ſpotten. Wohl thaͤte er beſſer, wenn er das un¬ terlieſſe, aber er iſt darum noch kein ſchlechter Mann, und ſo wie man bey hungrigem Magen Goͤtter-Malzeiten ſchildern kann; ſo kenne ich Dichter, die Wein und materielle Liebe beſin¬ gen, und dennoch die maͤßigſten, keuſcheſten Menſchen ſind; kenne Schriftſteller, die Greuel von

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Zitationshilfe: Knigge, Adolph von: Ueber den Umgang mit Menschen. Bd. 2. Hannover, 1788, S. 70. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/knigge_umgang02_1788/92>, abgerufen am 19.05.2024.