von Schandthaten mit der treffendsten Wahr¬ heit dargestellt haben, und dennoch Rechtschaft¬ fenheit und Sanftmuth in ihren Handlungen zeigen; kenne endlich Satyriker, voll Menschen¬ liebe und Wohlwollen.
Eine andre Art von Ungerechtigkeit gegen Schrifftsteller und Künstler begeht man, wenn man von ihnen erwartet, sie sollen auch im ge¬ meinen Leben nichts als Sentenzen reden, nichts als Weisheit und Gelehrsamkeit predigen. Der Mann, der am glänzendsten von einer Kunst schwätzt, ist darum nicht immer der, welcher die gründlichsten Kenntnisse davon besitzt. Es ist nicht einmal angenehm und schmeckt nach Pedanterey, wenn wir Jeden ohne Unterlaß von unsern eigenen Lieblings-Beschäftigungen unterhalten. Man geht in Gesellschaften, um sich zu zerstreuen, um auch einmal Andre als sich selbst zu hören. Nicht Jeder hat so viel Gegen¬ wart des Geistes, mitten im Getümmel, und wenn er durch Fragen und Vorwitz überrascht wird, mit Würde und Bestimmtheit von Ge¬ genständen zu reden, die er vielleicht zu Hause in seinem einsamen Zimmer mit der größten
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von Schandthaten mit der treffendſten Wahr¬ heit dargeſtellt haben, und dennoch Rechtſchaft¬ fenheit und Sanftmuth in ihren Handlungen zeigen; kenne endlich Satyriker, voll Menſchen¬ liebe und Wohlwollen.
Eine andre Art von Ungerechtigkeit gegen Schrifftſteller und Kuͤnſtler begeht man, wenn man von ihnen erwartet, ſie ſollen auch im ge¬ meinen Leben nichts als Sentenzen reden, nichts als Weisheit und Gelehrſamkeit predigen. Der Mann, der am glaͤnzendſten von einer Kunſt ſchwaͤtzt, iſt darum nicht immer der, welcher die gruͤndlichſten Kenntniſſe davon beſitzt. Es iſt nicht einmal angenehm und ſchmeckt nach Pedanterey, wenn wir Jeden ohne Unterlaß von unſern eigenen Lieblings-Beſchaͤftigungen unterhalten. Man geht in Geſellſchaften, um ſich zu zerſtreuen, um auch einmal Andre als ſich ſelbſt zu hoͤren. Nicht Jeder hat ſo viel Gegen¬ wart des Geiſtes, mitten im Getuͤmmel, und wenn er durch Fragen und Vorwitz uͤberraſcht wird, mit Wuͤrde und Beſtimmtheit von Ge¬ genſtaͤnden zu reden, die er vielleicht zu Hauſe in ſeinem einſamen Zimmer mit der groͤßten
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von Schandthaten mit der treffendſten Wahr¬
heit dargeſtellt haben, und dennoch Rechtſchaft¬
fenheit und Sanftmuth in ihren Handlungen
zeigen; kenne endlich Satyriker, voll Menſchen¬
liebe und Wohlwollen.
Eine andre Art von Ungerechtigkeit gegen
Schrifftſteller und Kuͤnſtler begeht man, wenn
man von ihnen erwartet, ſie ſollen auch im ge¬
meinen Leben nichts als Sentenzen reden, nichts
als Weisheit und Gelehrſamkeit predigen. Der
Mann, der am glaͤnzendſten von einer Kunſt
ſchwaͤtzt, iſt darum nicht immer der, welcher
die gruͤndlichſten Kenntniſſe davon beſitzt. Es
iſt nicht einmal angenehm und ſchmeckt nach
Pedanterey, wenn wir Jeden ohne Unterlaß
von unſern eigenen Lieblings-Beſchaͤftigungen
unterhalten. Man geht in Geſellſchaften, um
ſich zu zerſtreuen, um auch einmal Andre als ſich
ſelbſt zu hoͤren. Nicht Jeder hat ſo viel Gegen¬
wart des Geiſtes, mitten im Getuͤmmel, und
wenn er durch Fragen und Vorwitz uͤberraſcht
wird, mit Wuͤrde und Beſtimmtheit von Ge¬
genſtaͤnden zu reden, die er vielleicht zu Hauſe
in ſeinem einſamen Zimmer mit der groͤßten
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Knigge, Adolph von: Ueber den Umgang mit Menschen. Bd. 2. Hannover, 1788, S. 71. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/knigge_umgang02_1788/93>, abgerufen am 09.11.2024.
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