ihn nicht mehr zu lieben -- das konnte ich nicht! Ach, ich hab' ihn so unaussprechlich geliebt, so liebte Eloise ihren Abeillard nicht! Unsere Liebe ist zwar tod für diese Welt, aber für jene nicht, dort wer- den wir uns nach einer so langen Trennung wieder finden, und keine sklavische Vorurteile werden da die Bande der Simpathie, und Liebe zerreissen, die wir hier verleugnen mußten.
O! warum müssen wir mit diesem vollen über- fliessenden Herzen in eine Welt versezt werden, wo wir so selten jemanden finden, vor dem wir es aus- schütten, dem wir die glühenden Empfindungen un- serer Seele entziffern können, und haben wir ihn endlich nach langem Suchen gefunden, so plözlich wieder verlieren müssen! und wie unersezlich ist die- ser Verlust, wie niederdrükkend für die Seele, die nun endlich all' ihre Wünsche auf den Gegenstand beschränkt, der ihr so plözlich entrükt wird. Gewis es ist ein trauriges Los, fühlendes Herzens gewesen zu sein, sich dieses einstigen Glüks erinnern zu kön- nen, und es nun auf einmal verloren zu haben, durch die verloren zu haben, die unser Leben, das sie uns gaben, heiter und froh machen, und jeden Tag mit neuer Freude, mit neuer Wonne bezeichnen sollten. Ja, meine Freundin! mein Alles, mein Einziges, das ich noch aus dem Schiffbruch dieses Lebens geret- tet habe, es ist aus mit mir, ausgeleert ist die Fülle
ihn nicht mehr zu lieben — das konnte ich nicht! Ach, ich hab’ ihn ſo unausſprechlich geliebt, ſo liebte Eloiſe ihren Abeillard nicht! Unſere Liebe iſt zwar tod fuͤr dieſe Welt, aber fuͤr jene nicht, dort wer- den wir uns nach einer ſo langen Trennung wieder finden, und keine ſklaviſche Vorurteile werden da die Bande der Simpathie, und Liebe zerreiſſen, die wir hier verleugnen mußten.
O! warum muͤſſen wir mit dieſem vollen uͤber- flieſſenden Herzen in eine Welt verſezt werden, wo wir ſo ſelten jemanden finden, vor dem wir es aus- ſchuͤtten, dem wir die gluͤhenden Empfindungen un- ſerer Seele entziffern koͤnnen, und haben wir ihn endlich nach langem Suchen gefunden, ſo ploͤzlich wieder verlieren muͤſſen! und wie unerſezlich iſt die- ſer Verluſt, wie niederdruͤkkend fuͤr die Seele, die nun endlich all’ ihre Wuͤnſche auf den Gegenſtand beſchraͤnkt, der ihr ſo ploͤzlich entruͤkt wird. Gewis es iſt ein trauriges Los, fuͤhlendes Herzens geweſen zu ſein, ſich dieſes einſtigen Gluͤks erinnern zu koͤn- nen, und es nun auf einmal verloren zu haben, durch die verloren zu haben, die unſer Leben, das ſie uns gaben, heiter und froh machen, und jeden Tag mit neuer Freude, mit neuer Wonne bezeichnen ſollten. Ja, meine Freundin! mein Alles, mein Einziges, das ich noch aus dem Schiffbruch dieſes Lebens geret- tet habe, es iſt aus mit mir, ausgeleert iſt die Fuͤlle
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ihn nicht mehr zu lieben — das konnte ich nicht!
Ach, ich hab’ ihn ſo unausſprechlich geliebt, ſo liebte
Eloiſe ihren Abeillard nicht! Unſere Liebe iſt zwar
tod fuͤr dieſe Welt, aber fuͤr jene nicht, dort wer-
den wir uns nach einer ſo langen Trennung wieder
finden, und keine ſklaviſche Vorurteile werden da
die Bande der Simpathie, und Liebe zerreiſſen, die
wir hier verleugnen mußten.
O! warum muͤſſen wir mit dieſem vollen uͤber-
flieſſenden Herzen in eine Welt verſezt werden, wo
wir ſo ſelten jemanden finden, vor dem wir es aus-
ſchuͤtten, dem wir die gluͤhenden Empfindungen un-
ſerer Seele entziffern koͤnnen, und haben wir ihn
endlich nach langem Suchen gefunden, ſo ploͤzlich
wieder verlieren muͤſſen! und wie unerſezlich iſt die-
ſer Verluſt, wie niederdruͤkkend fuͤr die Seele, die
nun endlich all’ ihre Wuͤnſche auf den Gegenſtand
beſchraͤnkt, der ihr ſo ploͤzlich entruͤkt wird. Gewis
es iſt ein trauriges Los, fuͤhlendes Herzens geweſen
zu ſein, ſich dieſes einſtigen Gluͤks erinnern zu koͤn-
nen, und es nun auf einmal verloren zu haben, durch
die verloren zu haben, die unſer Leben, das ſie uns
gaben, heiter und froh machen, und jeden Tag mit
neuer Freude, mit neuer Wonne bezeichnen ſollten.
Ja, meine Freundin! mein Alles, mein Einziges,
das ich noch aus dem Schiffbruch dieſes Lebens geret-
tet habe, es iſt aus mit mir, ausgeleert iſt die Fuͤlle
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Knüppeln, Julius Friedrich: Die Rechte der Natur und Menschheit, entweiht durch Menschen. Berlin, 1784, S. 93. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/knueppeln_rechte_1784/101>, abgerufen am 16.02.2025.
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