mein Gebet zu ihm hinaufgedrungen zu sein. Ein schleichendes Gift ist in meine Adern gedrungen, und ein Fieber mattet mich zusehends ab, ich werde verwelken wie eine Blume, die der nachlässige Gärt- ner nicht labet, und was soll ich auch mehr in dieser Stäte des Jammers? Jch habe mein Schiff an ei- nem Felsen scheitern sehen -- alles habe ich verloren, und nichts als der Himmel bleibt mir zu hoffen übrig. Und in dem Glauben einer künftigen Fort- dauer, strekke ich meine matten Hände empor, und bitte Gott, daß er mir Kräfte verleih, das kleine Maas von Elend noch auszudulden, was mir noch übrig ist. Nichts bindet mich mehr an diese Welt, selbst die bösen Nachrichten, die man mir von mei- nem Gemal hinterbringt, kränken mich nicht mehr. Er soll mein Vermögen bald mit Unzucht und Spie- len verschwendet haben; mag er's doch! er wird einst zur Erkenntniß kommen; meine Vorwürfe darf er nicht fürchten, indessen habe ich ihn lange nicht mehr gesehen. Mein Vater, dieser harte Mann! scheint jezt, aber zu spät, mein Elend zu fühlen, und er suchte gestern sogar eine Träne zu unterdrükken, die sich hervordringen wollte, da er mich so völlig auf meinen Abschied aus der Welt resignirt fand. Auch ich will ihm keine Vorwürfe machen, denn es wird eine Zeit kommen, wo er es fühlt, was es heisse, sein Kind unglüklich gemacht zu haben. Wie
mein Gebet zu ihm hinaufgedrungen zu ſein. Ein ſchleichendes Gift iſt in meine Adern gedrungen, und ein Fieber mattet mich zuſehends ab, ich werde verwelken wie eine Blume, die der nachlaͤſſige Gaͤrt- ner nicht labet, und was ſoll ich auch mehr in dieſer Staͤte des Jammers? Jch habe mein Schiff an ei- nem Felſen ſcheitern ſehen — alles habe ich verloren, und nichts als der Himmel bleibt mir zu hoffen uͤbrig. Und in dem Glauben einer kuͤnftigen Fort- dauer, ſtrekke ich meine matten Haͤnde empor, und bitte Gott, daß er mir Kraͤfte verleih, das kleine Maas von Elend noch auszudulden, was mir noch uͤbrig iſt. Nichts bindet mich mehr an dieſe Welt, ſelbſt die boͤſen Nachrichten, die man mir von mei- nem Gemal hinterbringt, kraͤnken mich nicht mehr. Er ſoll mein Vermoͤgen bald mit Unzucht und Spie- len verſchwendet haben; mag er’s doch! er wird einſt zur Erkenntniß kommen; meine Vorwuͤrfe darf er nicht fuͤrchten, indeſſen habe ich ihn lange nicht mehr geſehen. Mein Vater, dieſer harte Mann! ſcheint jezt, aber zu ſpaͤt, mein Elend zu fuͤhlen, und er ſuchte geſtern ſogar eine Traͤne zu unterdruͤkken, die ſich hervordringen wollte, da er mich ſo voͤllig auf meinen Abſchied aus der Welt reſignirt fand. Auch ich will ihm keine Vorwuͤrfe machen, denn es wird eine Zeit kommen, wo er es fuͤhlt, was es heiſſe, ſein Kind ungluͤklich gemacht zu haben. Wie
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ſchleichendes Gift iſt in meine Adern gedrungen,
und ein Fieber mattet mich zuſehends ab, ich werde
verwelken wie eine Blume, die der nachlaͤſſige Gaͤrt-
ner nicht labet, und was ſoll ich auch mehr in dieſer
Staͤte des Jammers? Jch habe mein Schiff an ei-
nem Felſen ſcheitern ſehen — alles habe ich verloren,
und nichts als der Himmel bleibt mir zu hoffen
uͤbrig. Und in dem Glauben einer kuͤnftigen Fort-
dauer, ſtrekke ich meine matten Haͤnde empor, und
bitte Gott, daß er mir Kraͤfte verleih, das kleine
Maas von Elend noch auszudulden, was mir noch
uͤbrig iſt. Nichts bindet mich mehr an dieſe Welt,
ſelbſt die boͤſen Nachrichten, die man mir von mei-
nem Gemal hinterbringt, kraͤnken mich nicht mehr.
Er ſoll mein Vermoͤgen bald mit Unzucht und Spie-
len verſchwendet haben; mag er’s doch! er wird
einſt zur Erkenntniß kommen; meine Vorwuͤrfe darf
er nicht fuͤrchten, indeſſen habe ich ihn lange nicht
mehr geſehen. Mein Vater, dieſer harte Mann!
ſcheint jezt, aber zu ſpaͤt, mein Elend zu fuͤhlen,
und er ſuchte geſtern ſogar eine Traͤne zu unterdruͤkken,
die ſich hervordringen wollte, da er mich ſo voͤllig
auf meinen Abſchied aus der Welt reſignirt fand.
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Knüppeln, Julius Friedrich: Die Rechte der Natur und Menschheit, entweiht durch Menschen. Berlin, 1784, S. 100. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/knueppeln_rechte_1784/108>, abgerufen am 16.02.2025.
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