des Trostes, der Beruhigung -- nur einen Tropfen aus ihrem Freudenbecher, und ich fühlte neues Leben, gestälten Mut, Berge zu erstei- gen, und Felsen zu erklimmen -- Sie söhnte mich aus mit dem menschlichen Geschlecht, und lehrte mich, ganz Bruder sein. -- Jch ging so längst den Fluß hinab, ergözte mich an seiner Silberfläche, verlor mich dann wleder im An- schauen der sinkenden Natur, die ihre lezte ohnmächtige Kraft aufbot, die Geschöpfe zu be- leben. Schon rieselte das erstorbeue Laub unter meinem Fuß, ich sah es längst dem Strom hin- abgleiten, da dachte ich so bei mir selbst: die Natur entblüht, so vielleicht auch du in einem Augenblik! Viele sind schon dahin gegangen, mit denen du dich freutest, die mit dir die junge Na- tur keimen, wachsen und blühen, sie dahin wel- ken, und sterben sahen. Dieser Gedanke würkte so lebhaft in mir, daß ich Welt und Alles um mich her vergas. Jch schlenderte so über Berg und Thal, als auf einmal ein dumpfes Getöse mich aufschrekte, ein Aechzen, ein Gemisch von Trauren und Betrübnis schallte mir entgegen, und ich folgte dem Ton, der die Saiten meiner Seele berührte. Mein fliehender Fuß ereilte
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des Troſtes, der Beruhigung — nur einen Tropfen aus ihrem Freudenbecher, und ich fuͤhlte neues Leben, geſtaͤlten Mut, Berge zu erſtei- gen, und Felſen zu erklimmen — Sie ſoͤhnte mich aus mit dem menſchlichen Geſchlecht, und lehrte mich, ganz Bruder ſein. — Jch ging ſo laͤngſt den Fluß hinab, ergoͤzte mich an ſeiner Silberflaͤche, verlor mich dann wleder im An- ſchauen der ſinkenden Natur, die ihre lezte ohnmaͤchtige Kraft aufbot, die Geſchoͤpfe zu be- leben. Schon rieſelte das erſtorbeue Laub unter meinem Fuß, ich ſah es laͤngſt dem Strom hin- abgleiten, da dachte ich ſo bei mir ſelbſt: die Natur entbluͤht, ſo vielleicht auch du in einem Augenblik! Viele ſind ſchon dahin gegangen, mit denen du dich freuteſt, die mit dir die junge Na- tur keimen, wachſen und bluͤhen, ſie dahin wel- ken, und ſterben ſahen. Dieſer Gedanke wuͤrkte ſo lebhaft in mir, daß ich Welt und Alles um mich her vergas. Jch ſchlenderte ſo uͤber Berg und Thal, als auf einmal ein dumpfes Getoͤſe mich aufſchrekte, ein Aechzen, ein Gemiſch von Trauren und Betruͤbnis ſchallte mir entgegen, und ich folgte dem Ton, der die Saiten meiner Seele beruͤhrte. Mein fliehender Fuß ereilte
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des Troſtes, der Beruhigung — nur einen
Tropfen aus ihrem Freudenbecher, und ich fuͤhlte
neues Leben, geſtaͤlten Mut, Berge zu erſtei-
gen, und Felſen zu erklimmen — Sie ſoͤhnte
mich aus mit dem menſchlichen Geſchlecht, und
lehrte mich, ganz Bruder ſein. — Jch ging
ſo laͤngſt den Fluß hinab, ergoͤzte mich an ſeiner
Silberflaͤche, verlor mich dann wleder im An-
ſchauen der ſinkenden Natur, die ihre lezte
ohnmaͤchtige Kraft aufbot, die Geſchoͤpfe zu be-
leben. Schon rieſelte das erſtorbeue Laub unter
meinem Fuß, ich ſah es laͤngſt dem Strom hin-
abgleiten, da dachte ich ſo bei mir ſelbſt: die
Natur entbluͤht, ſo vielleicht auch du in einem
Augenblik! Viele ſind ſchon dahin gegangen, mit
denen du dich freuteſt, die mit dir die junge Na-
tur keimen, wachſen und bluͤhen, ſie dahin wel-
ken, und ſterben ſahen. Dieſer Gedanke wuͤrkte
ſo lebhaft in mir, daß ich Welt und Alles um
mich her vergas. Jch ſchlenderte ſo uͤber Berg
und Thal, als auf einmal ein dumpfes Getoͤſe
mich aufſchrekte, ein Aechzen, ein Gemiſch von
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Knüppeln, Julius Friedrich: Die Rechte der Natur und Menschheit, entweiht durch Menschen. Berlin, 1784, S. 105. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/knueppeln_rechte_1784/113>, abgerufen am 16.02.2025.
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