Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Knüppeln, Julius Friedrich: Die Rechte der Natur und Menschheit, entweiht durch Menschen. Berlin, 1784.

Bild:
<< vorherige Seite

leblosen Saiten berührte, und ihnen Töne ent-
lokte, die ans Herz redeten.

Ach, Gott! auch Sie weinen schon (meine
Tränen glitten unaufhaltbar die Wangen herab)
sparen Sie ihre Tränen, Sie sollen noch mehr
hören, denn hätte sie der wilde Kalmuk gesehen,
er hätte nicht ehemals unsere Hütten geplündert,
unsere Saaten verwüstet.

Wir waren stolz auf sie, unsere Nachbarn
verehrten, Fremde bewunderten sie, man nannte
sie überall die schöne Lilla! Der Tod hat jezt
die Züge unkennbar gemacht, alle Reize vernich-
tet, ja, und das ist der Wurm der an unsern
Herzen naget, sie selbst hat den Faden ihres Le-
bens gekürzet, sie selbst wünschte, gab sich den
Tod -- Sie fiel, doch nicht wie Schwache und
Feige fallen, sie fiel unter der gewaltigen Hand
der Liebe. Ach! wie sie kämpfte, wie oft wir sie
hingeworfen auf grünenden Rasen in der Stunde
der Mitternacht fanden, wie das schlummernde
Gefühl vergeßner Liebe, von neuem ermuntert,
sich abarbeitete zur Ohnmacht, und das beste,
holdseligste Geschöpf so ohne Bewustsein in die
Arme des Todes sank!

lebloſen Saiten beruͤhrte, und ihnen Toͤne ent-
lokte, die ans Herz redeten.

Ach, Gott! auch Sie weinen ſchon (meine
Traͤnen glitten unaufhaltbar die Wangen herab)
ſparen Sie ihre Traͤnen, Sie ſollen noch mehr
hoͤren, denn haͤtte ſie der wilde Kalmuk geſehen,
er haͤtte nicht ehemals unſere Huͤtten gepluͤndert,
unſere Saaten verwuͤſtet.

Wir waren ſtolz auf ſie, unſere Nachbarn
verehrten, Fremde bewunderten ſie, man nannte
ſie uͤberall die ſchoͤne Lilla! Der Tod hat jezt
die Zuͤge unkennbar gemacht, alle Reize vernich-
tet, ja, und das iſt der Wurm der an unſern
Herzen naget, ſie ſelbſt hat den Faden ihres Le-
bens gekuͤrzet, ſie ſelbſt wuͤnſchte, gab ſich den
Tod — Sie fiel, doch nicht wie Schwache und
Feige fallen, ſie fiel unter der gewaltigen Hand
der Liebe. Ach! wie ſie kaͤmpfte, wie oft wir ſie
hingeworfen auf gruͤnenden Raſen in der Stunde
der Mitternacht fanden, wie das ſchlummernde
Gefuͤhl vergeßner Liebe, von neuem ermuntert,
ſich abarbeitete zur Ohnmacht, und das beſte,
holdſeligſte Geſchoͤpf ſo ohne Bewuſtſein in die
Arme des Todes ſank!

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0116" n="108"/>
leblo&#x017F;en Saiten beru&#x0364;hrte, und ihnen To&#x0364;ne ent-<lb/>
lokte, die ans Herz redeten.</p><lb/>
          <p>Ach, <hi rendition="#fr">Gott!</hi> auch Sie weinen &#x017F;chon (meine<lb/>
Tra&#x0364;nen glitten unaufhaltbar die Wangen herab)<lb/>
&#x017F;paren Sie ihre Tra&#x0364;nen, Sie &#x017F;ollen noch mehr<lb/>
ho&#x0364;ren, denn ha&#x0364;tte &#x017F;ie der wilde Kalmuk ge&#x017F;ehen,<lb/>
er ha&#x0364;tte nicht ehemals un&#x017F;ere Hu&#x0364;tten geplu&#x0364;ndert,<lb/>
un&#x017F;ere Saaten verwu&#x0364;&#x017F;tet.</p><lb/>
          <p>Wir waren &#x017F;tolz auf &#x017F;ie, un&#x017F;ere Nachbarn<lb/>
verehrten, Fremde bewunderten &#x017F;ie, man nannte<lb/>
&#x017F;ie u&#x0364;berall die <hi rendition="#fr">&#x017F;cho&#x0364;ne Lilla!</hi> Der Tod hat jezt<lb/>
die Zu&#x0364;ge unkennbar gemacht, alle Reize vernich-<lb/>
tet, ja, und das i&#x017F;t der Wurm der an un&#x017F;ern<lb/>
Herzen naget, &#x017F;ie &#x017F;elb&#x017F;t hat den Faden ihres Le-<lb/>
bens geku&#x0364;rzet, <hi rendition="#fr">&#x017F;ie &#x017F;elb&#x017F;t</hi> wu&#x0364;n&#x017F;chte, gab &#x017F;ich den<lb/>
Tod &#x2014; <hi rendition="#fr">Sie</hi> fiel, doch nicht wie Schwache und<lb/>
Feige fallen, <hi rendition="#fr">&#x017F;ie</hi> fiel unter der gewaltigen Hand<lb/>
der Liebe. Ach! wie &#x017F;ie ka&#x0364;mpfte, wie oft wir &#x017F;ie<lb/>
hingeworfen auf gru&#x0364;nenden Ra&#x017F;en in der Stunde<lb/>
der Mitternacht fanden, wie das &#x017F;chlummernde<lb/>
Gefu&#x0364;hl vergeßner Liebe, von neuem ermuntert,<lb/>
&#x017F;ich abarbeitete zur Ohnmacht, und das be&#x017F;te,<lb/>
hold&#x017F;elig&#x017F;te Ge&#x017F;cho&#x0364;pf &#x017F;o ohne Bewu&#x017F;t&#x017F;ein in die<lb/>
Arme des Todes &#x017F;ank!</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[108/0116] lebloſen Saiten beruͤhrte, und ihnen Toͤne ent- lokte, die ans Herz redeten. Ach, Gott! auch Sie weinen ſchon (meine Traͤnen glitten unaufhaltbar die Wangen herab) ſparen Sie ihre Traͤnen, Sie ſollen noch mehr hoͤren, denn haͤtte ſie der wilde Kalmuk geſehen, er haͤtte nicht ehemals unſere Huͤtten gepluͤndert, unſere Saaten verwuͤſtet. Wir waren ſtolz auf ſie, unſere Nachbarn verehrten, Fremde bewunderten ſie, man nannte ſie uͤberall die ſchoͤne Lilla! Der Tod hat jezt die Zuͤge unkennbar gemacht, alle Reize vernich- tet, ja, und das iſt der Wurm der an unſern Herzen naget, ſie ſelbſt hat den Faden ihres Le- bens gekuͤrzet, ſie ſelbſt wuͤnſchte, gab ſich den Tod — Sie fiel, doch nicht wie Schwache und Feige fallen, ſie fiel unter der gewaltigen Hand der Liebe. Ach! wie ſie kaͤmpfte, wie oft wir ſie hingeworfen auf gruͤnenden Raſen in der Stunde der Mitternacht fanden, wie das ſchlummernde Gefuͤhl vergeßner Liebe, von neuem ermuntert, ſich abarbeitete zur Ohnmacht, und das beſte, holdſeligſte Geſchoͤpf ſo ohne Bewuſtſein in die Arme des Todes ſank!

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/knueppeln_rechte_1784
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/knueppeln_rechte_1784/116
Zitationshilfe: Knüppeln, Julius Friedrich: Die Rechte der Natur und Menschheit, entweiht durch Menschen. Berlin, 1784, S. 108. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/knueppeln_rechte_1784/116>, abgerufen am 24.11.2024.