Der Besizzer unsers Dorfs wohnt eine kleine Strekke von uns, um seine würdige Gattin trauert noch unsre Gemeine; sie war unsre Freundin, fromm und lieb. Wir alle weinten um sie, und meine Schwester pflanzte eine Ro- senhekke um ihre Urne -- Aber ihr Gatte weinte nicht, er hat ein hartes Herz, täglich fühlen wir's. Auch dies war sein Werk. Noch zween Monden, so ist es ein Jahr, da kam sein Sohn von der hohen Schule zurük, Julius hatte den Geist nnd die Eigenschaften seiner Mutter, vom Vater hatte er nichts als den Namen geerbt, er sah Lotten, sah sie oft und viel, liebte sie, und sie ihn. Keine Liebe ist je vollkommener, edler, tugendhafter gewesen, aber sie sollte nicht Blü- ten und Früchte treiben. Die Mutter des edlen Jünglings liebte Lotten als ihr Kind, denn nicht Rang, Würde und Reichtum sondern der Adel der Seele bestimmte in ihren Augen den wahren Wert.
Sie trennte nicht ein Band, das Natur und harmonische Tugend knüpfte. Wie es aber immer Menschen giebt, die Unschuld und Tugend zu untergraben trachten, so gieng's auch hier. Der alte N ... hatte kein Herz für die Tugend,
Der Beſizzer unſers Dorfs wohnt eine kleine Strekke von uns, um ſeine wuͤrdige Gattin trauert noch unſre Gemeine; ſie war unſre Freundin, fromm und lieb. Wir alle weinten um ſie, und meine Schweſter pflanzte eine Ro- ſenhekke um ihre Urne — Aber ihr Gatte weinte nicht, er hat ein hartes Herz, taͤglich fuͤhlen wir’s. Auch dies war ſein Werk. Noch zween Monden, ſo iſt es ein Jahr, da kam ſein Sohn von der hohen Schule zuruͤk, Julius hatte den Geiſt nnd die Eigenſchaften ſeiner Mutter, vom Vater hatte er nichts als den Namen geerbt, er ſah Lotten, ſah ſie oft und viel, liebte ſie, und ſie ihn. Keine Liebe iſt je vollkommener, edler, tugendhafter geweſen, aber ſie ſollte nicht Bluͤ- ten und Fruͤchte treiben. Die Mutter des edlen Juͤnglings liebte Lotten als ihr Kind, denn nicht Rang, Wuͤrde und Reichtum ſondern der Adel der Seele beſtimmte in ihren Augen den wahren Wert.
Sie trennte nicht ein Band, das Natur und harmoniſche Tugend knuͤpfte. Wie es aber immer Menſchen giebt, die Unſchuld und Tugend zu untergraben trachten, ſo gieng’s auch hier. Der alte N … hatte kein Herz fuͤr die Tugend,
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0117"n="109"/><p>Der Beſizzer unſers Dorfs wohnt eine kleine<lb/>
Strekke von uns, um ſeine wuͤrdige Gattin<lb/>
trauert noch unſre Gemeine; ſie war unſre<lb/>
Freundin, fromm und lieb. Wir alle weinten<lb/>
um ſie, und meine Schweſter pflanzte eine Ro-<lb/>ſenhekke um ihre Urne — Aber ihr Gatte weinte<lb/>
nicht, er hat ein hartes Herz, taͤglich fuͤhlen<lb/>
wir’s. Auch dies war ſein Werk. Noch zween<lb/>
Monden, ſo iſt es ein Jahr, da kam ſein Sohn<lb/>
von der hohen Schule zuruͤk, <hirendition="#fr">Julius</hi> hatte den<lb/>
Geiſt nnd die Eigenſchaften ſeiner Mutter, vom<lb/>
Vater hatte er nichts als den Namen geerbt, er<lb/>ſah <hirendition="#fr">Lotten,</hi>ſah ſie oft und viel, liebte ſie, und<lb/>ſie ihn. Keine Liebe iſt je vollkommener, edler,<lb/>
tugendhafter geweſen, aber ſie ſollte nicht Bluͤ-<lb/>
ten und Fruͤchte treiben. Die Mutter des edlen<lb/>
Juͤnglings liebte <hirendition="#fr">Lotten</hi> als ihr Kind, denn<lb/>
nicht Rang, Wuͤrde und Reichtum ſondern der<lb/>
Adel der Seele beſtimmte in ihren Augen den<lb/>
wahren Wert.</p><lb/><p>Sie trennte nicht ein Band, das Natur und<lb/>
harmoniſche Tugend knuͤpfte. Wie es aber immer<lb/>
Menſchen giebt, die Unſchuld und Tugend zu<lb/>
untergraben trachten, ſo gieng’s auch hier. Der<lb/>
alte N … hatte kein Herz fuͤr die Tugend,<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[109/0117]
Der Beſizzer unſers Dorfs wohnt eine kleine
Strekke von uns, um ſeine wuͤrdige Gattin
trauert noch unſre Gemeine; ſie war unſre
Freundin, fromm und lieb. Wir alle weinten
um ſie, und meine Schweſter pflanzte eine Ro-
ſenhekke um ihre Urne — Aber ihr Gatte weinte
nicht, er hat ein hartes Herz, taͤglich fuͤhlen
wir’s. Auch dies war ſein Werk. Noch zween
Monden, ſo iſt es ein Jahr, da kam ſein Sohn
von der hohen Schule zuruͤk, Julius hatte den
Geiſt nnd die Eigenſchaften ſeiner Mutter, vom
Vater hatte er nichts als den Namen geerbt, er
ſah Lotten, ſah ſie oft und viel, liebte ſie, und
ſie ihn. Keine Liebe iſt je vollkommener, edler,
tugendhafter geweſen, aber ſie ſollte nicht Bluͤ-
ten und Fruͤchte treiben. Die Mutter des edlen
Juͤnglings liebte Lotten als ihr Kind, denn
nicht Rang, Wuͤrde und Reichtum ſondern der
Adel der Seele beſtimmte in ihren Augen den
wahren Wert.
Sie trennte nicht ein Band, das Natur und
harmoniſche Tugend knuͤpfte. Wie es aber immer
Menſchen giebt, die Unſchuld und Tugend zu
untergraben trachten, ſo gieng’s auch hier. Der
alte N … hatte kein Herz fuͤr die Tugend,
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Knüppeln, Julius Friedrich: Die Rechte der Natur und Menschheit, entweiht durch Menschen. Berlin, 1784, S. 109. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/knueppeln_rechte_1784/117>, abgerufen am 18.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.