Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Knüppeln, Julius Friedrich: Die Rechte der Natur und Menschheit, entweiht durch Menschen. Berlin, 1784.

Bild:
<< vorherige Seite

der Staar vom blinden Auge weggenommen
wird, und wir die unerforschlichen Wege der
Vorsicht ganz durchschauen können.

Euch, geistige, gefühlvolle Seelen!
die ihr alles mit Wärme umfasset, und in euch
selbst verschlossen, herrliche Träume denket, will
ich auch diese Empfindungen einer gerührten
Seele weihen -- schüzt sie wider das Hohu-
gelächter der Fühllosen, die alles für schwärmeri-
sche Schimären halten, was nicht mit ihren Lei-
denschaften bestehen kann, die dem hellleuchtenden
Schimmer der Warheit ausweichen, weil er ihre
blöden Augen verblendet, die alles, was ehrwür-
dig und gut ist, mit ihrem Wizze vergiften, und
töden wollen. Das werden sie aber nie! Die
Tugend bleibt Tugend,
wenn sie gleich
arm und verachtet, sich unter Trümmern
verschleicht; es kommen immer Stunden der
Vergeltung, wo sie gern die Tage zurük erkaufen
mögten, die sie im Wolleben und Ueppigkeit
verpraßt haben, wo sie vergebens nach Ausübung
einer guten That schmachten, um ihre bösen
Handlungen einigermaßen aufzuwiegen. Wir
nicht also, laßt uns auch manchmal unter den
Cipressen und Wermuthsstauden verweilen, da-

A 5

der Staar vom blinden Auge weggenommen
wird, und wir die unerforſchlichen Wege der
Vorſicht ganz durchſchauen koͤnnen.

Euch, geiſtige, gefuͤhlvolle Seelen!
die ihr alles mit Waͤrme umfaſſet, und in euch
ſelbſt verſchloſſen, herrliche Traͤume denket, will
ich auch dieſe Empfindungen einer geruͤhrten
Seele weihen — ſchuͤzt ſie wider das Hohu-
gelaͤchter der Fuͤhlloſen, die alles fuͤr ſchwaͤrmeri-
ſche Schimaͤren halten, was nicht mit ihren Lei-
denſchaften beſtehen kann, die dem hellleuchtenden
Schimmer der Warheit ausweichen, weil er ihre
bloͤden Augen verblendet, die alles, was ehrwuͤr-
dig und gut iſt, mit ihrem Wizze vergiften, und
toͤden wollen. Das werden ſie aber nie! Die
Tugend bleibt Tugend,
wenn ſie gleich
arm und verachtet, ſich unter Truͤmmern
verſchleicht; es kommen immer Stunden der
Vergeltung, wo ſie gern die Tage zuruͤk erkaufen
moͤgten, die ſie im Wolleben und Ueppigkeit
verpraßt haben, wo ſie vergebens nach Ausuͤbung
einer guten That ſchmachten, um ihre boͤſen
Handlungen einigermaßen aufzuwiegen. Wir
nicht alſo, laßt uns auch manchmal unter den
Cipreſſen und Wermuthsſtauden verweilen, da-

A 5
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0017" n="9"/>
der Staar vom blinden Auge weggenommen<lb/>
wird, und wir die unerfor&#x017F;chlichen Wege der<lb/>
Vor&#x017F;icht ganz durch&#x017F;chauen ko&#x0364;nnen.</p><lb/>
        <p><hi rendition="#fr">Euch, gei&#x017F;tige, gefu&#x0364;hlvolle Seelen!</hi><lb/>
die ihr alles mit Wa&#x0364;rme umfa&#x017F;&#x017F;et, und in euch<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t ver&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en, herrliche Tra&#x0364;ume denket, will<lb/>
ich auch die&#x017F;e Empfindungen einer geru&#x0364;hrten<lb/>
Seele weihen &#x2014; &#x017F;chu&#x0364;zt &#x017F;ie wider das Hohu-<lb/>
gela&#x0364;chter der Fu&#x0364;hllo&#x017F;en, die alles fu&#x0364;r &#x017F;chwa&#x0364;rmeri-<lb/>
&#x017F;che Schima&#x0364;ren halten, was nicht mit ihren Lei-<lb/>
den&#x017F;chaften be&#x017F;tehen kann, die dem hellleuchtenden<lb/>
Schimmer der Warheit ausweichen, weil er ihre<lb/>
blo&#x0364;den Augen verblendet, die alles, was ehrwu&#x0364;r-<lb/>
dig und gut i&#x017F;t, mit ihrem Wizze vergiften, und<lb/>
to&#x0364;den wollen. Das werden &#x017F;ie aber nie! <hi rendition="#fr">Die<lb/>
Tugend bleibt Tugend,</hi> wenn &#x017F;ie gleich<lb/>
arm und verachtet, &#x017F;ich unter Tru&#x0364;mmern<lb/>
ver&#x017F;chleicht; es kommen immer Stunden der<lb/>
Vergeltung, wo &#x017F;ie gern die Tage zuru&#x0364;k erkaufen<lb/>
mo&#x0364;gten, die &#x017F;ie im Wolleben und Ueppigkeit<lb/>
verpraßt haben, wo &#x017F;ie vergebens nach Ausu&#x0364;bung<lb/>
einer guten That &#x017F;chmachten, um ihre bo&#x0364;&#x017F;en<lb/>
Handlungen einigermaßen aufzuwiegen. <hi rendition="#fr">Wir</hi><lb/>
nicht al&#x017F;o, laßt uns auch manchmal unter den<lb/>
Cipre&#x017F;&#x017F;en und Wermuths&#x017F;tauden verweilen, da-<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">A 5</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[9/0017] der Staar vom blinden Auge weggenommen wird, und wir die unerforſchlichen Wege der Vorſicht ganz durchſchauen koͤnnen. Euch, geiſtige, gefuͤhlvolle Seelen! die ihr alles mit Waͤrme umfaſſet, und in euch ſelbſt verſchloſſen, herrliche Traͤume denket, will ich auch dieſe Empfindungen einer geruͤhrten Seele weihen — ſchuͤzt ſie wider das Hohu- gelaͤchter der Fuͤhlloſen, die alles fuͤr ſchwaͤrmeri- ſche Schimaͤren halten, was nicht mit ihren Lei- denſchaften beſtehen kann, die dem hellleuchtenden Schimmer der Warheit ausweichen, weil er ihre bloͤden Augen verblendet, die alles, was ehrwuͤr- dig und gut iſt, mit ihrem Wizze vergiften, und toͤden wollen. Das werden ſie aber nie! Die Tugend bleibt Tugend, wenn ſie gleich arm und verachtet, ſich unter Truͤmmern verſchleicht; es kommen immer Stunden der Vergeltung, wo ſie gern die Tage zuruͤk erkaufen moͤgten, die ſie im Wolleben und Ueppigkeit verpraßt haben, wo ſie vergebens nach Ausuͤbung einer guten That ſchmachten, um ihre boͤſen Handlungen einigermaßen aufzuwiegen. Wir nicht alſo, laßt uns auch manchmal unter den Cipreſſen und Wermuthsſtauden verweilen, da- A 5

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/knueppeln_rechte_1784
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/knueppeln_rechte_1784/17
Zitationshilfe: Knüppeln, Julius Friedrich: Die Rechte der Natur und Menschheit, entweiht durch Menschen. Berlin, 1784, S. 9. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/knueppeln_rechte_1784/17>, abgerufen am 21.11.2024.